Der diesmal zweigeteilte Teaser ist ein raffiniertes Exposé über den Verlust von Zwischenmenschlichkeit. Während Rick den Kontakt zu den Lebenden sucht, die bereits schon tot sein könnten, kniet Andrea über ihrer toten Schwester Amy, in der absurden Hoffnung, der Zustand könne sich umkehren. Ein ansprechender Einstieg, der regelrecht in diese Folge hineinzieht. WILDFIRE ist eine Episode, die nach der gelungenen Abhandlung von sozialer Struktur und Verantwortung in VATOS in einen absoluten Charakter-Modus hochschaltet. Hatte TELL IT TO THE FROGS noch mit Schwächen im fehlenden Zusammenspiel von Dialog und Charakter, Regie und Zuschauererwartung zu kämpfen, überträgt Glen Mazzaras Buch in WILDFIRE die emotionale Betroffenheit der einzelnen Figuren wesentlich gefasster auf die vom Chaos beherrschte Gesamtsituation.
Während Rick und Andrea weder von ihrer Hoffnung ablassen können, noch ihrer Verzweiflung wirklich Herr werden, schließt Carol sehr präzise mit der Ursache ihres bisher widrigen Lebens ab. Auch ihr prügelnder Gatte Ed fiel der vorangegangenen Attacke zum Opfer. Doch während andere im Lager mit einer Spitzhacke dafür sorgen, dass die Toten sich auch wirklich nicht mehr erheben, besteht Carol darauf, ihrem verblichenen Mann diesen Dienst persönlich schuldig zu sein. Aber mit nur drei Schlägen wird sehr deutlich, dass Carol hier keine erlösende Handlung vornimmt, sondern einen für sich befreienden Akt vollzieht. Diese kurze Sequenz hätte sehr plakativ geraten können, wären da nicht Melissa Suzanne McBrides zurückhaltendes Spiel und das ideale Timing im Schnitt. Anstatt, wie für das Fernsehen üblich, Emotionen überproportional zu inszenieren, setzt man auf die Wirkung subtiler Zwischentöne. Hier findet selbst das verwöhnteste Publikum seinen gelungenen Schauer. Zudem ist genau das die kleine Würzmischung, die WALKING DEAD so schmackhaft macht.
Der Zusammenhalt der Gruppe bricht auseinander. Während die einen das Zeltlager nicht mehr für sicher halten, glauben die anderen nur an einen einmaligen Zwischenfall. Die Gemeinschaft bewährt sich nicht mehr. Rick Grimes entgeht dabei allerdings, dass sein ärgster Feind ihm ständig gegenübersteht. Glaubt Rick in seinem Kumpel Shane ein ihn ergänzendes Element zu haben, weil dieser ständig Entscheidungen oder Meinungen in Frage oder zur Diskussion stellt, hat Shane längst seine Fronten für sich geklärt. Er möchte in dieser ohnehin traurigen Welt nicht auf Lori verzichten, die selbstredend in die Arme ihres zurückgekehrten Rick gefallen ist. Um diesen Umstand zu ändern, spielt Shane sogar mit dem Gedanken der wirklich letzten Konsequenz. Dass ihm dabei ausgerechnet der altersweise Dale auf die Schliche kommen muss, erhöht noch das Konfliktpotenzial. Und es erhöht ungemein die Spannung für den Zuschauer. Denn was hier im Argen ist, muss aufgelöst werden, das muss heraus. Und es wird auf kurz oder lang zur Konfrontation kommen.
Da ein Mitglied der Gruppe während des vorangegangenen Angriffes gebissen wurde, besteht Rick darauf, endlich das Zentrum für Seuchenkontrolle CDC aufzusuchen. Die Gruppe spaltet sich, das Camp wird aufgelöst. Der gebissene Jim allerdings schafft die Reise nicht mehr. Zu groß ist die Gefahr, er könnte jemanden verletzen. Anstatt ihn gezielt zu töten, lässt er sich an einer schönen Stelle am Waldweg aussetzen. Eine schöne Stelle, von der er bald nichts mehr haben wird, wenn seine Augen trübe werden und das Fieber nachlässt. Wenn er schlurfend durch den Wald wandelt, nur von der Lust getrieben, etwas Warmes zwischen die Zähne zu bekommen. Anders als bei Amy, bei der man die Verwandlung erlebt und ihren Kopfschuss gesehen hat, wird Jim am Ende eine jener anonymen Kreaturen sein, die niemand aus ihrer Misere befreien wird. Seine Angst, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, solange dies noch in seinem menschlichen Bewusstsein geschieht, birgt ein grausames, für den Zuschauer nachvollziehbares Dilemma.
In den letzten zehn Minuten erfährt die Serie einen radikalen Schnitt. Einen sehr positiven Schnitt, der die gesamte Handlung in eine ganz neue Richtung bringen wird. Die Geschichte wird unvermittelt im CDC fortgesetzt. Ein armer, verzweifelter Wissenschaftler, der bislang unermüdlich am Projekt Wildfire arbeitete, beschließt, seine Arbeit zu beenden und sein Leben mit einem sauberen Selbstmord. Offensichtlich ist >Wildfire< der Codename für die Seuche, welche sinnbildlich die Gräber geöffnet hat. Dass Noah Emmerich als Wissenschaftler allein im CDC ist und sich entschlossen hat, das Zeitliche zu segnen, lässt den leisen Verdacht aufkommen, dass gegen Wildfire kein Serum gewachsen ist. Dann klingelt es auch noch an den hermetisch abgeriegelten Toren, und es sind nicht die Zeugen Jehovas.
Mit relativ wenigen Haarspaltereien ist diese Episode der bisher unblutigste Ausflug in die Zombiewelt. Und dennoch ist auch hier WALKING DEAD am stärksten, wenn der Zombie nicht bloß zur plumpen Gefahr wird, sondern als abstrakt zu begreifender Hintergrund fungiert. In der nur sechs Episoden umfassenden Staffel werden mit WILDFIRE die überlebenden Charaktere endgültig definiert. Rick Grimes hat sogar seinen Sheriff-Hut gefunden, den er in der ersten Folge zurücklassen musste. Das hat keineswegs etwas von Indiana Jones, sondern zeigt und bestätigt den Charakter als Gesetzeshüter, ohne sein Wesen totquatschen zu müssen. Regisseur Dickerson versteht es sehr gut, die Figuren in Szenen zu setzen und ihnen über ihre Dialoge hinaus mehr Tiefe zu verleihen. Es wirkt, als würden die Macher groß ausholen für den emotionalen Paukenschlag, der die erste Staffel nicht einfach nur zum Abschluss bringen soll, sondern die menschliche Ebene für die Zukunft festigen wird. Das apokalyptische Szenario von Tod und Verderben wird nicht etwa in den Hintergrund gedrängt, sondern gewinnt an Intensität. Denn im allgegenwärtigen Alptraum von Ungewissheit, Misstrauen und dem Ende der Zivilisation wird Menschlichkeit zu einem ganz besonderen Faktor des Horrors.
Der erste Eindruck bei der Ankunft in Atlanta ist düster und unheilvoll. Tote überall, die die Straßen und Wege bedecken. Allesamt Opfer und Täter zugleich. Das CDC scheint keine Rettung. Die Hoffnung verschwindet mit den Unmengen an vermoderndem Fleisch, das die kleine Gruppe Überlebender umgibt. Und doch endet die Episode mit einer strahlenden Lichtflut, in die Rick und seine Mitstreiter getaucht werden. Das könnte Hoffnung signalisieren, die mit diesem einen Bild plötzlich übermächtig präsent wird. Das macht das Warten auf die nächste Folge zu einer Tortur. Allerdings ist danach aber auch die Staffel beendet, und das macht es nur noch schlimmer.
THE WALKING DEAD S01E05 – WILDFIRE
Darsteller: Andrew Lincoln, Jon Bernthal, Laurie Holden, Sarah Wayne Callies, Jeffrey DeMunn, Steven Yeun, Melissa Suzanne McBride, Chandler Riggs, IroniE Singleton, Andrew Rothenberg u.a.
Regie: Ernest R. Dickerson
Teleplay: Glen Mazzara – nach den Comics von Robert Kirkman
Kamera: David Boyd
Originalmusik: Bear McCreary
Bildschnitt: Julius Ramsay
Produktionsdesign: Alex Hajdu
Special-Makeup-Effects & Consulting Producer: Grec Nicotero
USA 2010 – zirka 45 Minuten
AMC
Bildnachweis Promo-Fotos: TWD Productions / AMC, Fotos von Scott Garfield