Bereits zweimal portraitierte Maggie Smith den kauzigen Charakter der Miss Mary Shepherd, bevor Nicholas Hytner die Geschichte für die Leinwand adaptierte. Einmal in einer Hörspielfassung, und schließlich in einer Bühnenversion. Jetzt kommt diese außergewöhnliche Geschichte ins Kino, liebevoll umgesetzt von Nicholas Hytner, der sich neun Jahre seit seinem letzten Film HISTORY BOYS Zeit ließ, sein Nischenpublikum zu erfreuen. Nischenpublikum deswegen, weil englische Dramas mit stark komödiantischen Einschlag noch immer ein in die Ecke gedrängtes Dasein führen. Warum auch immer. Drehbuchschreiber und Bühnenautor Alan Bennett will die Geschichte um die Frau im Lieferwagen erlebt haben. Und selbst wenn nur die Hälfte von seiner Erzählung wahr sein sollte, glaubt man letztendlich daran, dass alles davon wirklich passiert ist.
In London wird ein ganzer Straßenzug aufgewertet, weil die Bewohner nach und nach gestorben sind, und finanzkräftige Familien, oder Junggesellen, das Viertel zu einem besseren machen wollen. Doch manche Altlasten wird man dennoch nicht los. Da ist Mary Shepherd, die etwas verwahrlost in ihrem Bedford-Lieferwagen auf der Straße lebt. Obwohl sich ein Großteil der Nachbarschaft tolerant genug zeigt, und ihr wohlgesonnen gegenübersteht, ist Mary unhöflich, ziemlich gemein, und meist auch unverschämt. Als Autor hat sich Alan Bennett einen besonderen Kniff ausgedacht, wie er sich glaubhaft selbst in seine Geschichte einbringen kann. Er tut das auf zwei Arten: In der Geschichte ist Alan Bennett stets doppelt im Bild. Im Film hat sich sein Bühnenautor von der real existierenden Person gelöst. Ihre Zwiegespräche sind mitunter witzig, aber oftmals auch sehr persönlich. Diese Szenen erklären durchaus auch Situationen, die man als Außenstehender schwer nachvollziehbar zuordnen würde.
Die Kraft in der Erzählung von LADY IN THE VAN liegt in seiner Unaufdringlichkeit, und entsteht durch seine unkonventionelle Art des Handlungsablaufes. Zum Ende hin wird der Film nicht mit einer überraschenden Wendung konfrontieren. Warum auch? Die Geschichte ist sich durchaus selbst genug, um ihr geneigtes Publikum zufriedenzustellen. Die einzige Überraschung ist Alan Bennett selbst, wie er sich in dieser Geschichte präsentiert und darstellt. Er will nicht der Held sein, oder der große Gönner, eigentlich ist er ein Kind seiner Menschlichkeit. Und in den Dialogen mit sich selbst kommt das sehr gut zur Geltung.
THE LADY IN THE VAN ist ein Film, den man gesehen haben sollte, um sich vergewissern zu können, dass es im Kino noch immer Geschichten gibt, die mit außergewöhnlichen Charakteren auch etwas anfangen können, um damit auch zu überzeugen. Wieviel Wahrheitsgehalt in Alan Bennetts Erzählung liegt, sollte nicht die Frage sein. Aber wieviel Menschlichkeit vermittelt diese Erzählung. Mary Shepherd ist eine äußerst schwierige Person, aber Regisseur Nicholas Hytner hat unentwegt Erklärungen dafür in der Hinterhand, welche diesen Charakter trotzdem liebenswert machen. Nicht nur weil er von Maggie Smith verkörpert wird, sondern weil Bennetts Wiedergabe der Geschichte auch genügend Potential dafür offeriert, Situationen zu kreieren, welche jede einzelne Situation nachvollziehbar zu gestalten versteht.
Wer mit skurrilen Charakteren und außergewöhnlichen Geschichten im Geiste geht, der wird mit LADY IN THE VAN sicherlich in endtäuscht werden. Zudem es sehr spannend wird, wie sich Mary Shepherds Weg tatsächlich auflösen wird.
THE LADY IN THE VAN
Darsteller: Maggie Smith, Alex Jennings, Jim Broadbent, Deborah Findlay, Roger Allem u.a.
Regie: Nicholas Hytner
Drehbuch: Alan Bennett, nach seinen Memoiren
Kamera: Andrew Dunn
Bildschnitt: Tariq Anwar
Musik: George Fenton
Produktionsdesign: John Beard
Großbritannien / 2015
104 Minuten
Promofotos Copyright Sony Pictures Releasing