Die außergewöhnlichen Fälle des Harry Dresden
HARRY DRESDEN – MAGIER
Finden verlorener Gegenstände. Paranormale Untersuchungen.
Consulting. Hilfe. Angemessene Kosten.
Keine Liebestränke, keine Geldesel,
keine Parties oder sonstige Unterhaltungen.
Harry Blackstone Copperfield Dresden (benannt nach drei großen Bühnenzauberern: Harry Houdini, Harry Blackstone, Sr. und David Copperfield) ist mit dem soeben gelesenen Eintrag der einzige Magier, der im Telefonbuch von Chicago steht. Magier? Ja, richtig gelesen, und ich meine damit niemanden, der Kaninchen aus einem Hut zieht, oder mehr oder weniger jungfräuliche Damen schweben lässt, sondern einen echten Zauberer, der Feuerlanzen erzeugen und in die Geisterwelt wechseln kann. Sollte jemand ein – nennen wir es mal – „übernatürliches Problem“ haben, kann man ihn anheuern. Gegen Honorar versteht sich.
Eigentlich ist die Harry-Dresden-Reihe des Autoren Jim Butcher angelegt wie klassische Privatdetektiv-Abenteuer des Film-Noir-Genres, wie man sie von Chandler oder Hammett kennt. Zumindest sollte man dort die Wurzeln suchen, denn abgesehen von der oberflächlichen Ähnlichkeit (sarkastischer Einzelgänger nimmt Fälle an, manchmal eher unfreiwillig), hat der Schriftsteller das Setting nicht nur in ein Umfeld mit übernatürlichen Kräften extrapoliert, sondern auch was die Sprache angeht deutlich modernisiert. Harry Dresden mag ein Magier sein, aber er kennt die moderne Popkultur und so sind ihm auch auch Star Wars und Star Trek durchaus keine Fremdworte (wie man beispielsweise erkennt, wenn er einen Robe tragenden Gegenspieler flapsig-provokant als „Darth Bademantel“ bezeichnet). Er ist ja auch im richtigen Alter dafür, genau wie sein Autor Jim Butcher; der mag übrigens auch schlechte Science-Fiction-Filme, fechten, singen und Liverollenspiel (LARP), aber dazu mehr in einem anderen Artikel. Möglicherweise, denn die Agenten des Autoren sind überaus zickig, was Anfragen aus Deutschland angeht. Dresden residiert, wie bereits geschrieben, in Chicago. Abgesehen von den Aufträgen, die – wie man sich denken kann – nicht so zahlreich sind, dass man gut davon leben könnte, arbeitet er als Consultant für die lokale Polizei. Es gibt eine Abteilung, die sich mit „ungewöhnlichen Fällen“ befasst, früher das Abstellgleis für unbeliebte Officers, denn diese Fälle sind nunmal rational nicht aufzuklären. Wer würde schon freiwillig „Vampir“, „Werwolf“, „Voodoo“ oder gar „Schwarze Magie“ in einen Polizeibericht schreiben, in dem Wissen, dass man dann unweigerlich in der Klapse landet?Chefin der Abteilung ist Karrin Murphy, eine kleine irischstämmige Blonde, die man keinesfalls unterschätzen sollte (asiatische Kampfkunst und grosskalibrige Waffen) und die bei ihren Vorgesetzten nicht sonderlich beliebt ist. Hatte man doch auch sie auf die Position abgeschoben und jetzt hat sie in der undankbaren Stelle aufgrund der Hilfe des Magiers doch tatsächlich Erfolge aufzuweisen. Die Abschlußberichte müssen natürlich „höchst kreativ“ verfasst werden…
Harry und Karrin verbindet durch die gemeinsamen Erlebnisse eine spröde Freundschaft, wobei Butcher in ihrer Beziehung damit spielt, ob vielleicht mehr dabei herauskommt, was zu überaus unterhaltsamen Szenen führt und dem Leser die sympathischen Charaktere noch näher bringt, als sie es aufgrund der Beschreibungen ohnehin bereits sind. In ihrer Position als Leutnant der Sonderabteilung hat Murphy natürlich einen Einblick in die verborgene Wahrheit, die die meisten Menschen nicht kennen: Das „Übernatürliche“ ist kein Aberglauben, sondern – oftmals bittere – Realität. Jim Butcher spielt in den Romanen mit so ziemlich allen Versatzstücken des Horrorgenres, mischt aber gern mal frisch und konfrontiert den Leser mit unerwarteten Neuerungen. Vampire, Werwölfe, Zombies, Geister, Schwarzmagier, Sidhe, Götter, Engel und Dämonen geben sich ein Stelldichein in seinen Romanen, zum Teil behutsam an die moderne Zeit angepasst – oder auch einfach in der klassischen Form belassen. Wobei man immer mit dem Unerwarteten rechnen sollte, manchmal werden scheinbare Feinde zu – nicht immer bequemen – Verbündeten, oder umgekehrt. Und wenn man Rat bei einem vom kleinen Volk sucht, muss man diesem im Austausch für die Information etwas geben, gut wenn der übernatürliche Gesprächspartner auf Pizza steht.
Unterhalb seiner Wohnung im Tiefparterre hat Harry ein verstecktes Labor für magische Untersuchungen und Verrichtungen angelegt. Immerhin muss man hin und wieder einen Gegenstand magisch genauer begutachten oder einen Zaubertrank anrühren. Bei der Gestaltung der Rezepte dieser Tränke ist Dresden überaus kreativ und modern, ein Anti-Müdigkeits-Gebräu kann auch schonmal Coca Cola oder Kaffee enthalten, Severus Snape würde wahrscheinlich im Grab rotieren, aber auch hier zeigt sich Butchers originelle Anpassung der üblichen Klischees in die moderne Zeit.
Im Labor residiert auch Bob, der Berater des Magiers. Bob ist ein uralter Luftgeist, der in einen Schädel gezwungen wurde und nun darin existiert. Er dient Dresden wie geschrieben als Berater, aber auch als eine Art Bibliothek des magischen Wissens. Außerdem ist er vorlaut und steht auf Pornohefte. Des Weiteren hat auch Bob eine elaborierte Hintergrundgeschichte, die in einem der Romane ansatzweise beleuchtet wurde und in der Zukunft mit Sicherheit noch eine Rolle spielen wird.
In der Welt von Harry Dresden gibt es verschiedene Organisationen und Interessengruppen, die im Verborgenen agieren und dem Helden das Leben mehr oder weniger schwer machen. An erster Stelle sei Das Weiße Konzil genannt, eine Art Dachorganisation der Magier, dessen Vorstand als Der Merlin bezeichnet wird. Man stellt bereits in den ersten Romanen fest, dass Harry zum einen nicht besonders gut auf den Haufen zu sprechen ist und dieser sich zum anderen dadurch auszeichnet erzkonservativ und ziemlich reaktionär zu sein (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wie man es von einer uralten Magier-Organisation eigentlich auch erwarten kann.Dresden verbrachte seine Kindheit bei einem Onkel und wurde von diesem in den magischen Künsten ausgebildet. Dummerweise musste Harry eines Tages feststellen, dass sein Onkel nicht zu den Guten gehörte, sondern der schwarzen Magie zugetan war; in einem Akt der Notwehr tötete der junge Magier seinen Ausbilder, dummerweise griff er dabei auf schwarze Magie zurück. Es gibt allerdings eine Regel bei den angeblich „Guten“ vom Weißen Konzil: Wer schwarze Magie verwendet, verliert sein Leben. Harry hatte Glück im Unglück und er fand einen Zauberer, der ihn unter seine Fittiche nahm und für ihn bürgte, weswegen er nur unter den Bann des Damokles gestellt wurde, eine Art Bewährungsphase. Dennoch steht Dresden unter der Beobachtung der Wächter, so etwas wie der Polizei des Konzils. Und auch sein persönlicher Watcher ist weder zimperlich noch sonderlich sympathisch. Und da Harry Dresden es auch bisweilen mit den strengen Regeln des Ordens nicht sonderlich genau nimmt, oder manchmal gar gezwungen ist, seine schwarzmagischen Gegenspieler mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen, hält sich seine Beliebtheit bei der Organisation in Grenzen.
Neben den übernatürlichen Fraktionen, zu denen beispielsweise auch der Schwarze und der Rote Vampirhof und das Sommer- und Winterkönigreich der Sidhe gehören, hat er es auch mit ganz profanen Organisationen wie der Mafia zu tun, was das Leben natürlich nicht eben erleichtert. Auch die Tatsache, dass seine Patentante eine Sidhe ist, führt zu Verwicklungen.
Die Stories der aus Dresdens ich-Perspektive erzählten Romane gehen selten geradeaus und führen den Leser mit Irrungen und Wirrungen ebenso in falsche Richtungen wie den Protagonisten. Leichte Kost darf man handlungstechnisch nicht erwarten, allerdings sollte man sich auch nicht über zu schweren Lesestoff Sorgen machen, denn Butcher weiß die Handlung immer wieder durch humoristische Einlagen aufzulockern, die sich aus dem Anmerkungen des Helden ergeben, die ja, wie oben bereits angemerkt, aus Harrys Sicht geschildert sind. Somit weiß der Leser auch selten mehr als Dresden selbst.Womit man ebenfalls auf keinen Fall rechnen sollte, sind eindimensionale Charaktere, wie man sie aus einschlägigen Heftromanserien kennt. Die Figuren der Romane besitzen immer diverse Facetten und sind selten stereotyp einfach böse oder einfach gut. Auch die Handlungen der „Bösen“ sind immer motiviert und manchmal muß man feststellen, dass diese vielleicht so übel gar nicht sind. Es finden Entwicklungen durch die Romane statt, sowohl was den Haupthelden, wie auch andere Pro- und Antagonisten angeht. Diese Entwicklungen geschehen allerdings nicht unbedingt innerhalb eines Buches, sondern ziehen sich über die Serie hin.
Die Romane aus der Reihe THE DRESDEN FILES sind alle in sich abgeschlossen, so dass man nicht zwingend mit dem ersten anfangen muss. Man sollte das aber dennoch tun, denn es gibt einen roten Faden, der sich vordergründig durch die eben genannten Entwicklungen zeigt. Butcher hat auch schon angedeutet, dass es einen „Überplot“ gibt, der sich auch abzeichnet. Trotzdem kann man bei der Lektüre der Bücher in der korrekten Reihenfolge ganz entspannt sein: Es gibt keine Cliffhanger. Am Ende des Romans wurde der aktuelle Fall immer gelöst und man muss nicht nägelkauend auf die Auflösung in einem Jahr warten. Ich finde das sehr angenehm und aus diesem Grunde kommt hier mein Vorbehalt gegenüber Serien weniger zum tragen. Außerdem: Von Harry will man einfach unbedingt immer mehr lesen!
THE DRESDEN FILES sind eine moderne und originelle Aufarbeitung bekannter Themen, deren Erzählstil deutlich an Filme und TV-Serien erinnert, was aber hervorragend funktioniert. Überaus sympathische Charaktere und witzige Ideen sorgen für ein Lesevergnügen, das seinesgleichen sucht, weswegen ich diese Serie jedem Fan des Genres nur ausdrücklich ans Herz legen kann.Ich habe die Bücher im englischen Original gelesen und kann das jedem Interessierten eigentlich ebenfalls nur empfehlen, denn diverser Slang und Anspielungen mit Bezug auf Medien und den american way of life können nur in der ursprünglichen Sprache funktionieren. Ein kurzer Blick in übersetzte Fassungen bestätigten mich in dieser Vermutung.
So weit meine Einführung. Damit dieser Artikel nicht zu umfangreich wird, stelle ich die Romane und die danach gestaltete Fernsehserie in gesonderten Traktaten vor. Demnächst (Oktober 2008) gibt es übrigens auch Comics. Das Rollenspiel zur Serie konnte ich leider noch nicht in meine gierigen Finger bekommen.
Die Hörbücher zu den ersten Romanen wurden gesprochen von keinem Geringeren als James Marsters (Spike in BUFFY oder Brainiac in SMALLVILLE) und sind ein Hörgenuss erster Güte, denn Marsters ist die ideale Besetzung für Harry und allein der Tonfall absolut hörenswert.
Ich hoffe mit diesen Zeilen das Interesse an den überaus kurzweiligen, spannenden und witzigen Abenteuern des Harry Dresden geweckt zu haben und würde mich über Rückmeldungen der geneigten (oder dupierten) Leserschaft sehr freuen.
Webseite des Autoren:Harry Dresden in der Wikipedia (englisch):
en.?wikipedia.?org/?wiki/?Harry_?Dresden
Romane:
Storm Front
Fool Moon
Grave Peril
Summer Knight
Death Masks
Blood Rites
Dead Beat
Proven Guilty
White Night
Small Favor
Backup (Novelette, angekündigt für später in diesem Jahr, Hauptfigur ist Dresdens Bruder Thomas Raith)
Kurzgeschichten:A Restoration of Faith
Vignette
Something Borrowed
It’s My Birthday Too
Heorot
Unveröffentlichte (angekündigte) Kurzgeschichten:
Harry’s Day Off
Untitled Story
Comics:
Welcome To The Jungle (Oktober 2008)
Bildnachweis:
Alle Coverabbildungen: Copyright RoC, a division of Penguin Group
Bild von Jim Butcher: Copyright Bluemoon Photography LLC