Was dieser Artikel mit Phantastik zu tun hat? Nichts. Er hat allerdings etwas mit der deutschen Fernsehlandschaft zu tun und damit, dass diese weitestgehend unzumutbar ist. Phantastik findet im Vergleich zu Großbritannien oder den USA nicht statt, andere Serienformate glänzen durch hundertmal wiedergekäutes ohne Neues oder gar Pep. Wenn mal eine TV-Produktion hochgelobt wird, hat sie mit Emigranten, Vertriebenen, dem zweiten Weltkrieg, oder allem zusammen zu tun.
Ich gebe es offen zu: deutsches Unterhaltungsfernsehen im Allgemeinen und den TATORT im Besonderen finde ich üblicherweise unerträglich. Till Schweiger ist mir eher egal, ich muss mir Filme mit ihm nicht ansehen, weil es sich dabei um deutsche Filme handeln würde – und die gehen einfach nicht. Ich wollte mir auch diesen TATORT nicht ansehen, aufgrund einiger Kommentare dazu habe ich es dann doch getan. Ich habe mich schon mal mehr gelangweilt, aber es war ganz okay. Ganz okay bedeutet nicht, dass ich das für die Rettung des deutschen Fernsehens halte.
Der geschiedene Polizist Nick Tschiller hat bislang als verdeckter Ermittler beim LKA in Frankfurt und Mitglied eines SEK gearbeitet. Um sich intensiver um seine 15-jährige Tochter Lenny zu kümmern, zieht er zu dem pubertierenden Mädchen nach Hamburg, da sich seine Exfrau Isabella wieder stärker ihrer eigenen Karriere widmen will.
Gut, gleich am Anfang geht’s dann mal ab. Man bemüht sich, um Actionszenen. Leider wirken die so dynamisch und modern wie Horst Tappert. Aber ich will mal nicht zu streng sein, an dieser Stelle des Krimis war ich eigentlich noch guter Dinge und hoffte auf Abwechslung von totgerittenen TATORT-Einerlei. Die Idee mit dem Rollstuhl, und der Rentner, der später fragt, ob er den Rolli zurück haben kann, waren sogar fast witzig. Die ersten paar Minuten gehen also im Prinzip in Ordnung, auch wenn ich in sachen Schnitt, Dynamik und Kameraführung nichts Neues sehe, sondern denselben langweiligen Mist, den mir das deutsche Fernsehen – und insbesondere die öffentlich rechtlichen Sender – immer anbietet. In denselben verwaschenen Farben. Ich kenne Hamburg, es ist auch bunt. Man hätte so schön mit den Gegensätzen aus grellbunter Fassade und Abgründen des Kietz spielen können. Und was machen sie daraus? Nichts.
Ich verfolge die US-Neuauflage Hawaii Five‑O. Was für ein Unterschied. Auch eine Cop-Serie mit zwei Partnern und einem Team. Ebenfalls Geschichten um Verbrechen, aber eben auch um die Hintergründe der Charaktere, mit familiären Problemen und Sorgerechts-Auseinandersetzungen um eine Tochter. Doch um wieviel entspannter und lockerer ist das gespielt? Zwischen dem gekünstelten TATORT, der immer noch verzweifelt versucht, eine Pseudo-Realität aufrecht zu erhalten, um dadurch mit durchsichtig erhobenem Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass es bei der Polizei ja gar nicht so ist, und den meisten US-Krimis, die gar nicht erst damit anfangen realistisch sein zu wollen, liegen Welten und Äonen. Können die beim TATORT nicht einfach mal den deutschen Stock aus dem Arsch nehmen und loslegen? Ohne Rücksicht auf Verluste und dennoch nicht so platt und völlig überzogen wie beispielsweise COBRA 9 beim Deppensender mit den drei farbigen Buchstaben?
Schweiger ist mir als Schauspieler im Großen und Ganzen egal, ich finde es bedauerlich, dass ein solcher Nuschler mit einer äußerst begrenzten Anzahl an Gesichtsausdrücken einer der bekanntsten deutschen Film-Mimen ist. Aber ich kann nicht sagen, dass ich ihn ansonsten jetzt besonders doof finde. Und in der Rolle war er sogar halbwegs in Ordnung. Es ging einfach nicht besser: wenn sich die Drehbuchautoren bei allen Klischees bedienen, die man sich vorstellen kann, wäre das okay, wenn sie wenigstens ein paar Twists einbauen würden. Klar, er hat den Dienst beim SEK quittiert, weil er sich um seine Tochter kümmern will. Na sicher, sein Ex-Partner ist irgendwie in den Fall verwickelt. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass es nicht auf das Ende hinaus läuft, auf das es hinaus gelaufen ist und dass dieser Ex-Partner eine nachvollziehbare Motivation für sein Handeln gehabt hätte. Hatte er aber nicht. Er ist einfach mal so übergelaufen und bringt einfach mal so seine Loverin um. Was da für ein Potential drin gesteckt hätte. Und die Autoren umschiffen geschickt jede Möglichkeit, die Handlung in Sachen dieser Charaktere interessant zu gestalten. Mann. Insbesondere über diese Ideenlosigkeit und Vorhersehbarkeit habe ich mich am Ende geärgert.
Und dann natürlich als Thema Kinderprostitution. Was auch sonst. Ich möchte mich dazu auch nicht weiter äußern, sonst werde ich noch ausfallend, denn das ist billige Effekthascherei und das Thema wird wie nebenbei abgehandelt, ohne dass es wirklich an emotionaler Tiefe gewinnt, selbst wenn es zwischendurch ein paar fast bewegende Szenen gegeben hätte, die dann regelmäßig wieder durch unpassendes Agieren oder einfach dummes Drehbuch gekippt wurden.
Ein Lichtblick in diesem TATORT war immerhin der angeschossene Partner Tschillers, der mit einem ruggedized Netbook Dinge aus dem Krankenhaus tut, die so natürlich nicht gehen. Und ein paar lockere Sprüche lässt. Wenn man diesen Stil intensiviert hätte und auch den Rest der Handlung so überzogen hätte, dann hätte aus dem TATORT mit Till was richtig Unterhaltsames werden können.
Sollte dieser Till-TATORT neue Impulse bringen? In Sachen Szenenbild hat er es ebensowenig getan, wie beim Schnitt oder der Kameraführung. Handkameragewackel und konfus-hektischer Schnitt in Actionszenen ist ebenso wenig Innovation, wie der Großteils des Restes mit den bekannten langen und hausbackenen Einstellungen. Wenn ich das sehe, frage ich mich, wann und warum das Fernsehhandwerk in Deutschland sich entschlossen hat, sich nicht mehr weiter zu entwickeln?
Dazu passt aber, dass sich auch der Vorspann nicht weiter entwickelt. Tut es wirklich Not, dass man immer noch ein Intro vorgesetzt bekommt, das vor zehn Jahren schon altbacken wirkte? Warum, um alles in der Welt, klammert man sich so an den alten Kram? Ist ein neuer Vorspann zu teuer? Keinen Bock? Man könnte sogar die Vorspannelemente weiter verwenden und von mir aus auch die Musik, aber wie lange sehen wir das jetzt schon so? Das hat mit Tradition nichts zu tun, sondern nur noch mit ARD-Starrsinn. Oder Evolutionsresistenz.
Alles in allem ist WILLKOMMEN IN HAMBURG (ein Titel wie aus einem Schulaufsatz) ein minimaler Schritt in eine richtige Richtung, aber noch Lichtjahre weit von modernem Fernsehen entfernt.
Eins hat mich am Ende aber noch so richtig geärgert. Wir erinnern uns daran, dass diverse TATORT-Autoren in einem »offenen Brief« (oder so was ähnlichem, vielleicht war es auch ein Manifest, ich weiß es nicht mehr genau) gegen Änderungen am Urheberrecht und gegen die Piraten gewettert haben. Kann mir einer der Herren Autoren vielleicht mal erklären, warum es im Abspann des TATORT keinerlei Hinweise auf die Musikurheber gibt? Vielleicht kann mir auch gleich jemand erläutern, warum dieser Abspann so kurz und nichtssagen ist, wie er ist? Wären da nicht deutlich mehr Personen zu nennen, die an der Produktion mitgewirkt haben? Warum werden die nicht genannt, sondern nur so ein paar Hansel? Aber insbesondere die Musiker der im Film gespielten Themen nicht? Hat die ARD so viel damit zu tun, Verleger von Sekundärliteratur zum TATORT zu bedrohen, dass es für ordentliche Credits nicht mehr reicht? Den Hinweis auf die Musik habe ich dann erst auf der ARD-Webseite gefunden.
Zum Abschluss: ich habe mir den TATORT nicht zur Sendezeit angesehen (weil er mich eigentlich nicht interessierte und ich erst aufgrund der Besprechungen den Wunsch verspürte, doch mal einen Blick darauf zu werfen). Sondern einen Tag später über die ARD-Mediathek. Knüller eins: der war ab 12, damit durfte ich ihn im Web erst ab 20:00 Uhr ansehen. Na hoffentlich waren da alle unter-12-Jährigen schon im Bett, oder man hat ihnen die Finger auf dem Rücken zusammen gebunden, damit sie Tastatur und Maus nicht nutzen können. Unfassbar. Und dann diese Bildqualität … Sogar in der höchsten Auflösung war das Bild schlecht und es hat immer wieder mal gestockt. Eine Raubkopie hätte besser ausgesehen. Und diese miserable und völlig indiskutable Leistung ist der Grund dafür, dass jetzt jeder für PCs Rundfunkbeiträge bezahlen soll?
Eine Unverschämtheit.
Ich werde mir vermutlich nochmal einen Till-TATORT ansehen, um festzustellen, ob sie es nach dieser Origin-Story besser machen. Allerdings vielleicht besser alkoholisiert, das könnte helfen. Till kann nix dafür, wirklich verbockt haben es Regisseur, Drehbuchautoren, Kamera und Schnitt. Immerhin war es besser als die gähnende Langeweile, die TATORTe sonst so verströmen. Aber nicht viel.
TATORT – WILLKOMMEN IN HAMBURG
Rolle | Darsteller |
Nick Tschiller | Til Schweiger |
Yalcin Gümer | Fahri Yardim |
Holger Petretti | Tim Wilde |
Ines Kallwey | Britta Hammelstein |
Lenny | Luna Schweiger |
Tereza | Nicole Mercedes Müller |
Max Brenner | Mark Waschke |
Sandra Bieber | Mavie Hörbiger |
Hanna Lennerz | Edita Malovcic |
Elina | Svetlana Ustinova |
Isabella Schoppenroth | Stefanie Stappenbeck |
Firat Astan | Erdal Yildiz |
Gast | Arthur Abraham |
Musik: Martin Todsharow
Kamera: The Chau Ngo
Buch: Christoph Darnstädt
Regie: Christian Alvart
ca. 90 Minuten, ARD 2013
Logo TATORT Copyright ARD, Pressefotos Copyright ARD/NDR/Constantin Film
So langsam glaube ich, dass ich der einzige Mensch bin, der sich bei diesem »Tatort« gut unterhalten gefühlt hat: Es hat gekracht und gescheppert, und es gab was fürs G’fühl.
Du hast natürlich recht mit allen Vergleichen mit amerikanischen Fernsehserien; der »Tatort« ist meist sehr altbacken, aber genau deshalb gucke ich ihn mir jeden Sonntag an. Wenn ich moderne Sachen gucken möchte, ist das nichts – dann gehe ich eher ins Kino.
Der Schweiger-»Tatort« geht sehr in Richtung Hollywood, im guten wie im schlechten, aber das finde ich gut. Vom Fernsehen erwarte ich nicht unbedingt Belehrung, sondern auch mal eine Prise Unterhaltung.
Tatort guck ich ja nie.
Ansonsten find ich deine Analyse von der dt. TV-Landschaft recht passend. Dieses Cobra-Teil ist ja so lächerlich überzogen – wenn es auf deutschen Autobahnen so oft explodieren würde, würd die keiner mehr benutzen… lol
Ich denke nicht, dass der in Richtung Hollywood geht. Das wären dann nicht nur ein paar halbherzige Actionsezenen, sondern auch endlich mal zeitgemäße Inszenierungen mit Regie, Kameraarbeit und Schnitt, die nicht aussehen, als wären sie aus den 80ern. Liegt vielleicht daran, dass alle Kameraleute, Cutter, Drehbuchautoren und Regisseure, die was können und zu Modernisierung bereits sind, nach Hollywood abwandern, weil man sie hierzulande nicht lässt.
Ich sehe mir täglich US- und englische Fernsehserien im Original an. Der Unterschied der Qualität allein beim Handwerk (moderne Filmarbeit) ist derart gigantisch, das ist nur noch eins: erschreckend. Inhaltliche Qualität ist nochmal eine andere Sache, aber selbst da stinkt deutsches Fernsehen meist nur noch ab.
Belehrung: ja, die ständigen erhobenen Zeigefinger beim deutschen Fernsehen gehen mir auch mächtig auf die Nerven. Noch mehr allerdings die Spießigkeit, die man verschämt mit ein paar »Fuck« zu kaschieren versucht.
Ich befürchte allerdings, dass die ÖR-Sender bei ihrem Konzept bleiben werden, um die mumifizierte Zielgruppe nicht zu vergrätzen.
Gerade den Gag mit dem Rolli fand ich einfach unerträglich … Eighties … ich kann das nicht besser erklären. Aber da habe ich einfach genau besagte Drehbuchautoren vor Augen, wie sie noch irgendeine Witzfigur recyceln, die sie mal beim örtlichen Provinztheater oder in der Drehbuchwerkstatt als Beispiel für »comic relief« gelernt haben. Stock im Arsch halt, selbst beim Humor, sorry.
Ansonsten breitest-mögliche Zustimmung. Was bin ich froh, dass wir per Schüssel noch BBC et al empfangen … noch, zumindest.
Wie ein zeitgemäßer Krimi auszusehen hat, bei dem noch nicht einmal die Action im Vordergrund stehen muss, zeigt ja eindrucksvoll BBCs SHERLOCK.
Also schön.
Erstens: Man darf Schweiger nicht gut finden in Deutschland. Weil er nuschelt, ein Depp ist und überhaupt war Keinohrhasen furchtbar.
Zweitens: Ich schau zwar keinen Tatort, aber ich finde Tatort unglaublich mies, Deutsch und vor allem langweilig.
Jetzt mal Butter bei die Fische: Ich fand mich glänzend unterhalten. Neben den ersten Münsteranern war dieser Tatort mal richtig kurzweilig und ich persönlich finde auch, dass ein Vergleich mit US-Krimiserien in diesem Fall eher eine Auszeichnung ist, denn ein Makel. Weil: jede Mickeymaus-US-Serie ist geiler als die deutschen Krimis (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Am Rande: Irgendwann fragen sie Schwieger im Tatort was und er antwortet: »Ach, das kommt daher, weil ich so nuschel.« Zumindest eines kann man ihm nicht vorwerfen, dass er seine »Grenzen« nicht kennt.
Der Nuschel-Satz war ein hat-tip in Richtung SWR3 und ihrer »Tatort mit Till«-Comedy-Reihe.