Der Western ist ein Genre, welches im Kino nie beständig war. Als zum Beispiel THE WILD BUNCH den Western als Heldenerzählung endgültig demontierte. Bereits neun Jahre vorher wurde die heile Welt des aufrechten Cowboys in Frage gestellt. DENEN MAN NICHT VERGIBT war die ungewohnt offene Abrechnung mit dem Handeln weißer Siedler. In ZWEI RITTEN ZUSAMMEN stellte Jimmy Stewart die gnadenlose Gewissensfrage in der Indianer-Problematik. Dann kam kurz vor WILD BUNCH Sidney Pollacks MIT EISERNEN FÄUSTEN, eine unkomplizierte Komödie die unverhohlen anprangerte, was der weiße Mann alles falsch gemacht hatte. Mit wenigen Ausnahmen war es für fast zwei Jahrzehnte ruhig im Genre. SILVERADO war vielleicht noch ein Beitrag, der die unbeschwerte Pionier-Romantik zelebrierte. Eastwoods ERBARMUNGSLOS und Costners DER MIT DEM WOLF TANZT stellten diese Romantik erbarmungslos in Frage, und bildeten so etwas wie ein filmisches Gewissen gegenüber einer oft verklärten Vergangenheit.
Allein und unbeholfen streift Jay Cavendish Richtung Westen. Er will die Liebe seines Lebens wiederfinden, die durch ein tragisches Schicksal von ihm getrennt wurde. Der wortkarge und kampfbewährte Silas muss dem unbedarften Jay zur Seite stehen, allerdings auch nicht uneigennützig. Eigentlich ist es die typische Kombination von Menschen, bei denen einer zum Mann heran reift, und der andere zu seiner Menschlichkeit zurückfindet. Und über eine sehr lange Strecke lässt Regisseur und Autor John Maclean in seinem Langfilm-Debut die Fassade eines üblichen Westerns bestehen. Alles ist vielleicht etwas düsterer. Bestimmte Szenen spannen den Zuschauer regelrecht auf die Folter, weil in einem Western des 21. Jahrhunderts alles möglich sein kann. Genau mit dieser Erwartungshaltung kann Maclean sein Publikum gut bei Laune halten.
Tommy Lee Jones hat mit HOMESMAN einen sehr düsteren, sehr überraschenden, vor allem sehenswerten Western gedreht. Ein gutes Beispiel, wie dieses Genre heute abgehandelt werden muss, um noch Interesse zu wecken. SLOW WEST steht dem in nichts nach. Mit fast schmerzlichen Empfindungen verfolgt man die Unbeholfenheit von Kodi Smit-McPhees Figur. Nicht nur wegen seines darstellerischen Talentes, sondern in erster Linie seiner perfekten, äußerlichen Optik für die Rolle. Ihm gegenüber ist Michael Fassbender natürlich so etwas wie eine männliche Urgewalt. Aber dass auch dieser Charakter von Schwächen geprägt ist, macht Fassbenders Spiel sehr eindringlich klar. Es ist eine Welt, die einem das Überleben in allen Situationen abverlangt, eine Welt, die fordert und sich gnadenlos zeigt. Und die Szene, an deren Ende zwei russische Kinder ratlos in die Kamera sehen, die bleibt hängen, und lässt auch keine Fragen offen. Der Wilde Westen wurde schon vorher seiner verklärten Romantik entledigt, und SLOW WEST macht sicher, dass man dies nicht vergessen sollte.
Der Ire Robbie Ryan, sonst eher in gefälligere Produktionen eingebunden, hat für SLOW WEST keine eigene Bildsprache gefunden. Aber Ryan hat sehr gut verstanden, die Atmosphäre einzelner Szenen auch optisch umzusetzen. Das aschfahle Grau in dem Moment wo Jay durch das abgebrannte Dorf laufen muss, wo selbst jede Tiefe im Bild verloren geht. Oder die kontrastreiche Übersteigerung, wenn die Charaktere versuchen, mit einem Absinth-Rausch klar zu kommen. Allerdings erzählt zu diesem Zeitpunkt die Handlung immer noch eine Geschichte, die auf der einen Seite alle Möglichkeiten parat hält, aber auf der anderen Seite doch einem klaren Muster folgt. Aber dann geleitet John Maclean den Zuschauer in den Showdown. Und der hat so etwas von gar nichts mit dem zu tun, was der Zuschauer erwartet hätte. An dem, wie SLOW WEST seine Geschichte auflöst, wird der Film sich messen lassen müssen. Und das sind Vorreiter wie der brillante HOMESMAN, der überragende SALVATION, oder das sensationelle Remake von TRUE GRIT.
Auch wenn man es immer zu glauben scheint: der Western ist nicht tot. Der Western geht es nur langsam an, und daraus kristallisieren sich Perlen des Kinos, die leider oftmals unbemerkt ihr Nischendasein fristen. Wer erinnert sich an THE MISSING, ebenfalls mit Tommy Lee Jones? Das ruft in Erinnerung, dass man dem Western wieder viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Für einen Anfang gibt es sehr viele gute Beispiele. Einer könnte durchaus SLOW WEST sein. Wunderschön inszeniert, fabelhaft gespielt, und ein Ende, das wirklich unter die Haut geht.
SLOW WEST
Darsteller: Kodi Smit-McPhee, Michael Fassbender, Ben Mendelsohn, Caren Pistorius, Rory McCann, Andrew Robertt u.a.
Drehbuch & Regie: John Maclean
Kamera: Robbie Ryan
Bildschnitt: Roland Gallois, Jon Gregory
Musik: Jed Kurzel
Produktionsdesign: Kim Sinclair
84 Minuten
USA / 2015
Promofotos Coypright Prokino