Als sich Regisseur Martin Scorsese mit WIE EIN WILDER STIER das erste Mal an eine Biografie wagte, nun, da schrieb er Filmgeschichte. Nicht ohne den unverkennbaren Einfluss von Hauptdarsteller Robert de Niro, der sich für die Produktion unglaublichen körperlichen Veränderung hingab. Erst 17 Jahre später sollte die Geschichte des Dalai Lama erzählt werden, und 2004 folgte das Portrait um das wilde Treiben des Milliardärs Howard Hughes. Jeder Film besitzt seinen eigenen Ton, sein eigenes Tempo, seine eigene Struktur. Scorsese war und blieb kreativ. Bereits Mitte der 1980er spielte Scorsese aber schon mit einer anderen, aber speziellen Art von Biografie. Es war der Roman SILENCE, welcher von zwei Missionaren handelt, die nach Japan reisen, um einen abtrünnigen Priester der gleichzeitig ihr Mentor war, zurück zu holen. Pech nur, dass der christliche Glaube in Japan verboten ist und unter schwerer Strafe steht.
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Zwei portugiesische Priester wollen nicht wahr haben, dass sich ihr Mentor, der als Missionar in Japan tätig war, vom christlichen Glauben abgewandt hat. Ihnen ist durchaus bewusst, das die Gefahr groß ist, selbst erwischt zu werden, und dass sie sich damit drastischen Strafen und Folter aussetzen würden. Aber das Herz will, was der Glaube verlangt. Und somit geht Martin Scorsese einen äußerst steinigen Weg, der sich zwischen Tatsachen und Fiktion bewegt. Basiert die eigentliche Geschichte auf wahren Begebenheiten, wollte sich Scorsese nicht von den realen Figuren einschränken lassen, oder sich der Kritik um ihre Darstellung aussetzen. Seine Herzensangelegenheit war der Grundtenor der Geschichte.
Kameramann Rodrigo Prieto hat schon vorher zweimal mit dem Regisseur zusammen gearbeitet, und das diese Zusammenarbeit fruchtet merkt man sofort an der einfühlsamen Bildgestaltung, welche den Ton der jeweiligen Szenen auffängt. Meist beherrschen epische Bilder die Leinwand, aber ab und an auch sehr eindringliche Nahaufnahmen. Scorsese hat diese Ebene der Bilder für SILENCE auch dringend nötig. Denn der Film verliert an vielen Stellen das Verständnis zwischen Epos und Länge. So epochal manche Bilder auch anmuten, sind wesentliche Szenen viel zu lang inszeniert und ausgespielt. Auch wenn Andrew Garfield die Rolle seiner bisherigen Karriere spielt, kann er die Längen nicht wirklich auffangen.
Es ist auffallend, dass Martin Scorsese sich einem Akira Kurosawa oder David Lean annähern wollte. Allerdings nicht als Imitation, sondern tatsächlich als Inspiration. Daran tat er durchaus gut, allerdings trägt SILENCE immer einen leicht bitteren Beigeschmack. Was wollte Scorsese, der das Drehbuch zusammen mit Jay Cocks schrieb, mit der Geschichte ausdrücken? Worin liegt die Motivation, die Japaner grundsätzlich als schlechte Menschen darzustellen? Es sei denn, sie sind arme Bauern, die sich dem christlichen Glauben zugewandt haben. Dabei muss man nicht anzweifeln, dass Methoden und Repressalien einen faktischen Ursprung haben.
Was dem Film allerdings fehlt, ist den Tenor der Geschichte in seinen zeitlichen Kontext zu setzen. Die Handlung macht es sich ziemlich einfach, indem sie jeden nicht christlichen Japaner als böse interpretiert. Mit 350 Jahren Abstand zu der Historie, hätte es eine differenziertere Annäherung an die Thematik geben müssen. Zweifellos darf dabei nichts beschönigt oder entschuldigt werden. Aber Scorsese hat seine skrupellosen und brutalen Mafia-Figuren immer so sympathisch und nah am Mensch inszeniert, dabei dennoch ihren wahren Charakter nie weichgespült. Für ein Projekt, welches 25 Jahre in Arbeit war, wäre das auch für SILENCE ein guter Ansatz gewesen.
SILENCE
Darsteller: Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson, Tadanobu Asano, Ciarán Hinds u.a
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Jay Cocks, Martin Scorsese
Kamera: Rodrige Prieto
Bildschnitt: Thelma Schoonmaker
Musik: Kathry Kluge, Kim Allen Kluge
Produktionsdesign: Dante Ferretti
161 Minuten
Taiwan – Mexico – USA 2016
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