Erst als Kelly Marcel und Sue Smith ihr wunderbares Drehbuch SAVING MR. BANKS beendet hatten, wurden sie sich der eigentlichen Probleme bewusst. BBC-Films wollte den Film durchaus finanzieren, doch das Buch war so durchdacht, und so auf den Punkt, dass nicht einfach nur ein anderes Studio mitproduzieren konnte. Die skurrile Geschichte um Walt Disneys Erwerb der Filmrechte an der Buchreihe MARY POPPINS würde ein anderes Studio Unsummen an Lizenzvergaben, Genehmigungen und Rechtevergaben kosten. Nicht zu vergessen die Einspruchsrechte, die eine Produktion wie SAVING MR. BANKS behindern könnten. Schließlich wäre ein rivalisierendes Studio dabei, nicht nur einfach den Namen Disney als Marke zu benutzen, sondern auch die reale Figur Walt Disney, Dreharbeiten in Disneyland, Merchandising-Produkte, Musik aus Disney-Filmen und Ausschnitte aus einem ihrer erfolgreichsten Musicals. Der Film konnte also nur mit einem Studio realisiert werden, welches der Produktion dann absurderweise noch größere Stolpersteine in den Weg legen konnte. Letztendlich zeigte sich die Angst als unbegründet, und am Ende durfte Regisseur John Lee Hancock sogar andeuten, dass Mickeys Vater starker Raucher war. Was umso erstaunlicher ist, weil es der Über-Person Walt Disney einen nur allzu menschlichen Anstrich gibt, der ihn auch als extrem ausgefuchsten Geschäftsmann zeigt. Und Kindern ein gutes Vorbild sein, dazu zählt wohl auch die Abstinenz von Tabak, gehört zweifellos zu der Taktik eines ausgefuchsten Geschäftsmannes.
Der Film hält wunderbar die Waage zwischen zwei in sich verwobener Erzählsträngen. 1961 kommt Autorin Pamela L. Travern von London nach Los Angeles. Nach zähem Ringen hat sie zugestimmt, die Rechte an den Büchern um Mary Poppins an Disney abzutreten. Nur unter den Bedingungen »keine Animation«, »kein Gesang« und bei der Ausarbeitung des Drehbuchs das Sagen zu haben. Nach zwanzig Jahren harter Ablehnung, sagt Walt unter diesen Bedienungen natürlich zu. Nicht ahnend, was man sich für eine verbohrte, ungnädige Autorin ins Studio geholt hat. Doch Walt Disney hat bereits vor zwanzig Jahren seiner Tochter versprochen, für sie Mary Poppins auf die Leinwand zu bringen. Und das Versprechen eines Vaters, so beschwört er Pamela, die Miss Travern genannt werden will, muss gehalten werden, und wenn es Jahrzehnte dauert. Der Maus-Mann weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was für Geister die Mutter von Mary Poppins tatsächlich umtreiben. Und wie ähnlich ihre Absichten wirklich sind, obwohl die eine die Verfilmung gerne verhindern möchte, und der andere den Film unbedingt machen will. Dieser Teil ist mit leichter Hand inszeniert, oftmals richtig komisch, aber niemals als wirkliche Komödie ausgelegt. Was dem Film auch gut tut. Wie Emma Thompson dem Drehbuch- und Musikschreibern Jason Schwartzman, B.J. Novak und Bradley Whitford mit Belanglosigkeiten die Hölle heiß macht, das hat ganz hohen Unterhaltungswert. Schwartzman, Novak, wie Whitford sind einfach umwerfend, wie sie mit der Halsstarrigkeit und dem sozialen Unvermögen der britischen Autorin umgehen. Und Tom Hanks als geplagter, aber auch hintertriebener Disney, ist wieder einmal eine grandiose Nummer für sich. Kameramann John Schwartzman, Halbbruder des beteiligten Schauspielers Jason, hat für diesen Teil in 1961 eine sehr schöne Bildsprache gefunden. Die Szenen haben etwas sehr Verspieltes, und fordern mit ungewöhnlichen Einstellungen sowie magischen Momenten den Zuschauer auch einmal heraus.
In der parallel geschilderten zweiten Erzählung zieht die kleine Ginty 1906 mit ihrer Familie ins australische Hinterland, wo ihr treusorgender Vater eine neue Stelle als Bankmanager einnimmt. Es wird natürlich sehr schnell verständlich, um wenn es sich bei der noch so jungen und unschuldigen Ginty handelt. Für das Mädchen ist die Welt in Ordnung, und sie sieht ihren Vater so, wie sie ihn eben als Kind wahrnimmt. Immer für die Kinder da, verspielt und albern. Doch das Idyll trügt, denn Travers Goff trinkt, zum Leidwesen und zur Verzweiflung seiner Frau Margaret. Im Laufe der Zeit wird Ginty immer mehr bewusst, dass was sie für gegeben hinnimmt, überhaupt nicht in Ordnung ist. Die Abstürze und Aussetzer von Travers werden heftiger und unkontrollierter, bis er schließlich bettlägerig wird und seinem Ende entgegen siecht. Zum Glück ereilt die fünfköpfige Familie Hilfe von Tante Ellie, die Haushalt und Disziplin in der Familie auf Vordermann bringt. Die Erscheinung von Tante Ellie wird später einmal markante Ähnlichkeit mit einer fiktiven Romanfigur haben. Diese Ebene hat John Schwartzman in erdigen Farben gehalten, mit bodenständigen Einstellungen. Selbst die Sequenzen, die Pamela L. Travers später beim Schreiben beeinflussen, stellt die Kamera nicht zu Schau. Wie ein Puzzle stehen sich beide Erzählstränge dann gegenüber, und der Zuschauer kann Stück für Stück zusammensetzen, was für Ereignisse in der Vergangenheit, die Autorin in der Gegenwart zu welchen Entscheidungen treiben.
Viel früher als die Figur Walt Disney im Film, erahnt der Zuschauer die Zusammenhänge von Pamelas unbarmherziger Halsstarrigkeit in Verbindung mit ihrer Jugend. Das ist der einzige Schwachpunkt an der sonst grandios erzählten Geschichte. Kelly Marcel und Sue Smith hätten die Beziehung zum Filmtitel, und damit zum Kernthema der Handlung, weiter nach hinten setzen müssen, um so noch einmal dem sonst schon großartigen Filmerlebnis eine besonders emotionale Wendung geben zu können. Denn nach und nach, wird aus der erst unsympathisch wirkenden, engstirnigen P.L. Travers, eine sehr verletzliche Frau, deren Motivation man letztendlich doch nachvollziehen kann. Natürlich hat sich das Buch Freiheiten gegenüber der tatsächlichen Begebenheiten genommen. Wer würde auch annehmen, dass es dramaturgische Konventionen anders möglich machen würden. Doch wer sich eingehender mit der wahren Geschichte befasst, wird feststellen, wie überraschend gering diese Veränderungen tatsächlich sind. Und selbst wenn es nicht der Wahrheit entspricht, müsste diese genauso aussehen. Ein beeindruckender Film voller Energie und jeder Menge Gefühl, ohne die Grenze zum Kitsch zu überschreiten. Und das mit einer Truppe an Darstellern, die sich scheinbar gegenseitig zum Besten angestachelt haben, und allein schon jeden größeren Missstand nichtig machen würden. Welcher selbst im Kleinen schwer zu finden sein wird.
Doch ein gesondertes Lob muss man dem Produktionsdesign von Michael Corenblith geben, der mit Lauren Polizzi und Susan Benjamin ein Zeitkolorit gezeichnet hat, das einfach überwältigt. Ganze Straßenzüge in Los Angeles und London, das Chinese Theatre, und natürlich der Ausflug nach Disneyland, es atmet alles den ehrlichen Hauch von 1961. Selbst bei kleineren Anachronismen, und die sind für Nerds. Aber zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl von Kulisse, oder den Einsatz computergenerierter Bilder. Ein Film so schön, dass er nur von Disney sein kann. Es hat sich dann doch als die richtige Entscheidung erwiesen, SAVING MR. BANKS mit dem einzig möglichen Studio zu produzieren, mit dem man diesen Ausflug in eine vergangene Welt auch realistisch umsetzen kann. Mister Banks wurde gerettet.
SAVING MR. BANKS
Darsteller: Tom Hanks, Emma Thompson, Paul Giamatti, Jason Schwartzman, Bradley Whitford, Colin Farrell, Annie Rose, Ruth Wilson, Kathy Baker, Rachel Griffiths u.a.
Regie: John Lee Hancock
Drehbuch: Kelly Marcel, Sue Smith
Kamera: John Schwartzman
Bildschnitt: Mark Livolsi
Musik: Thomas Newman
Produktionsdesign: Michael Corenblith
zirka 125 Minuten
USA 2013
Promofotos Copyright Walt Disney Studios Motion Pictures