Da haben wir wieder einmal so einen Fall: Ein Autor schreibt ein brillantes Buch und blitzt bei allen angefragten Verlegern gnadenlos ab. Dabei preisen sich die Publikumsverlage doch immer gern als diejenigen, die genau im Bilde zu sein meinen, wie der Publikumsgeschmack ist, und was die Leser lesen wollen. Dass das Bullshit ist, wissen wir nicht erst seit J. K. Rowlings Zauberlehrling. Andy Weir machte aus der Not eine Tugend und veröffentlichte die Story des Astronauten, der auf dem Mars strandet, 2012 kapitelweise auf seiner Webseite. Kostenlos. Die Fans überredeten ihn irgendwann, das gesamte Buch für 99 Cent auf Amazon als eBook anzubieten. Er wollte einen noch niedrigeren Preis ansetzen, aber das ist nicht möglich. Und dann ging das Ding ab – man vergebe mir den flachen Witz – wie eine Rakete. Innerhalb von drei Monaten wanderte THE MARTIAN 35000-mal über die virtuelle Ladentheke. Und wenn so etwas passiert kommen natürlich auch die vorher so ablehnenden »Profi-Verleger« aus ihrem Tiefschlaf. Zuerst verkaufte er die Audiobook-Rechte im Januar 2013 an Podium Publishing und danach griff im März desselben Jahres Crown zu – für einen sechsstelligen Betrag. Der Roman erschien im Februar 2014 und landete aus dem Stand auf Platz 12 in der Kategorie »Hardcover« der New York Times Bestsellerliste.
Werbetext:
I’m stranded on Mars.
I have no way to communicate with Earth.
I’m in a Habitat designed to last 31 days.
If the Oxygenator breaks down, I’ll suffocate. If the Water Reclaimer breaks down, I’ll die of thirst. If the Hab breaches, I’ll just kind of explode. If none of those things happen, I’ll eventually run out of food and starve to death.
So yeah. I’m screwed.
Die Prämisse des Roman ist schnell erzählt. Eine bemannte Mission zum roten Planeten findet nach der Landung durch einen Sturm ein vorzeitiges Ende. Den Astronauten Mark Watney erwischt es und der Rest der Crew geht zu Recht davon aus, dass ihr Kamerad tot sein muss. Sie flüchten mit dem MAV (Mars Ascend Vehicle) und machen sich auf den langen Weg zurück zur Erde. Doch Watney lebt. Und dann legt eine Handlung los, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, denn man will unbedingt wissen, wie (und ob) der NASA-Mann aus dem Schlamassel wieder raus kommen kann.
Mark Watney hat ein loses Mundwerk und eine ziemlich nassforsche Art, seine Abenteuer auf dem Mars zu kommentieren.Der Autor Andy Weir hat sich ziemlich große Mühe gegeben, die wissenschaftlichen und technischen Hintergründe korrekt abzubilden. Er beschäftigte sich bei der Recherche zum Roman – und auch noch während des Schreibens – mit Orbitalmechanik, Astronomie und der Geschichte des bemannten Raumflugs. Sein Vater ist Teilchenphysiker, er selbst hat einen Hintergrund in Computerwissenschaften und arbeitet als Programmierer. Das hätte natürlich übelst ins Auge gehen und zu einer Aneinanderreihung von Technobabbel werden können. Doch Weir verwendet einen Kunstgriff: Mark Watney hat ein loses Mundwerk und eine ziemlich nassforsche Art, seine Abenteuer auf dem Mars zu kommentieren. Und das erinnert tatsächlich ein wenig an die Kult-Fernsehserie McGyver und deren Protagonisten, wenn er seine beschränkten Ressourcen verbastelt, umfrickelt und neuen Verwendungen zuführt – und dabei eben ständig irgendwelche Sprüche vom Stapel lässt. Dabei geht das Ganze glücklicherweise aber auch nicht ins Kalauern über, eine Gefahr, die durchaus bestanden hätte. Die Mischung aus harten Fakten und dem überaus sympathischen und eben witzelnden Robinson macht das Buch so überaus lesbar. Ganz großes Kino. Aber zum Kino kommen wir später noch.
(Kleine Anmerkung: Der Autor schrieb auf Facebook vor wenigen Tagen Folgendes: »Someday, Neil deGrasse Tyson is going to either read “The Martian” or see the film adaptation of it. When he does, he’s going to immediately know that the sandstorm part at the beginning isn’t accurate to physics. He’ll point out that the inertia of a Martian storm isn’t enough to do damage to anything. The knowledge that this is going to happen haunts me.«)Ein weiterer Kunstgriff, der für Kurzweil sorgt, ist die Tatsache, dass zwischendurch auch immer wieder mal zur Erde geblendet wird, wo NASA-Spezialisten, die irgendwann natürlich spitzkriegen, dass Watney noch am Leben ist, sich Gedanken darüber machen, wie man den Marsianer heil zurück zum Mutterplaneten bekommt. Im Gegensatz zum Hauptprotagonisten bleiben die meisten dieser Charaktere etwas flach, das macht aber eigentlich nichts, denn auch wenn eine Rettung natürlich nur von der Erde kommen kann, sind sie nur Randfiguren, denn die Figur um die es sich hier dreht, ist selbstverständlich Watney.
Ich mache es kurz: Ein ganz grandioses Science Fiction-Abenteuer, das man unbedingt gelesen haben sollte. Mit meinem begrenzten Wissen technisch und wissenschaftlich korrekt (man kauft ihm das alles problemlos ab – und ich hatte schon beim Lesen ohne den Hintergrund zu kennen, das Gefühl, der Autor weiß, wovon er schreibt), dabei die harten Fakten nicht dröge vorgetragen, sondern witzig verpackt. Genau so muss das gehen und es ist kein Wunder, dass sich das bereits in der Selfpublishing-Fassung prima verkauft hat.
Ich gebe zehn von zehn Marsrovern und lege noch eine Kartoffel oben drauf.
Das englische eBook kostet bei Amazon gerade mal 3,99 Euro, es ist jeden Cent wert. Die deutsche Übersetzung erschien bei Heyne, dafür muss man wegelagerische 11,99 berappen. Gierlappen. Der deutsche Werbetext ist auch lange nicht so cool, wie der originale:
Der Astronaut Mark Watney war auf dem besten Weg, eine lebende Legende zu werden, schließlich war er der erste Mensch in der Geschichte der Raumfahrt, der je den Mars betreten hat. Nun, sechs Tage später, ist Mark auf dem besten Weg, der erste Mensch zu werden, der auf dem Mars sterben wird: Bei einer Expedition auf dem Roten Planeten gerät er in einen Sandsturm, und als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, ist er allein. Auf dem Mars. Ohne Ausrüstung. Ohne Nahrung. Und ohne Crew, denn die ist bereits auf dem Weg zurück zur Erde. Es ist der Beginn eines spektakulären Überlebenskampfes …
Bla, bla, bla. Man hätte den Originaltext übernehmen sollen. Warum man das nicht tat, wissen vermutlich nur die überbezahlten Werbeleute im Verlag, die wissen vielleicht auch, warum sie inhaltlich kompletten Blödsinn verzapft haben. Watney war nicht der erste auf dem Mars – nicht mal ansatzweise. Die sollten mal den Stock aus dem Hintern nehmen und die Drogen absetzen. Und einen »besten Weg« müssen wir leider abziehen, der ist doppelt. Angesichts dessen habe ich Angst vor der Übersetzung – ob wohl noch F‑Worte drin sind? Wenigstens haben sie das bessere der beiden US-Cover übernommen.
Ach ja: Das große Kino: THE MARTIAN wird aufgrund seines Erfolgs natürlich verfilmt, Regie soll niemand anderer als Ridley Scott führen, das Drehbuch stammt von Drew Goddard (WORLD WAR Z, CLOVERFIELD, CABIN IN THE WOODS 2012). Die Rolle des Mark Watney übernimmt dabei Matt Damon. Hm. Irgendwie kann ich mir den nicht so recht in dem Charakter mit seinem speziellen Humor vorstellen. In meinen Augen wären Chris Pratt oder Ryan Reynolds besser geeignet gewesen, als der doch schon leicht abgegriffene Damon. Aber warten wir es einfach ab. Ich bin schon sehr gespannt, wie Altmeister Scott das Buch umsetzen wird. Die Produktionskosten sollten sich jedenfalls in Grenzen halten.
Cover THE MARTIAN (das coole, nicht das mit dem tumb starrenden Schönling drauf) Copyright Broadway Books, Random House
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Habe das Buch im englischen Original verschlungen. Toll geschrieben, superspannend und klasse Ideen. Die Verfilmung kann gut werden, muss aber nicht. Das Kino in meinem Kopf war aber so rasant, dass ich auf eine Verfilmung (fast) verzichten kann. ;)
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