Die Besprechung basiert auf der britischen BluRay-Fassung.
Es war zu befürchten, dass es Daniel Radcliffe schwer haben würde, in seiner Post-HARRY POTTER-Zeit in anderen Rollen Akzeptanz zu finden. DECEMBER BOYS war dafür ein gutes Beispiel. Doch dann kam die FRAU IN SCHWARZ, ein kleiner, feiner Horror-Schocker aus den Hammer-Studios. Der Erfolg war natürlich dem altbackenen Charme der Inszenierung geschuldet. Doch Radcliffe wurde jenseits des Zauberlehrlings wahrgenommen. Nur ein Jahr später folgte ein weiterer Horror-Film. Ein Film der merkwürdig lange brauchte, um in die deutschen Kinos zu kommen. Aber auf der anderen Seite ist HORNS auch nicht der gewöhnlich gestrickte Horrorfilm. Und in vielen Passagen darf man sich sogar fragen, ob Alexandre Ajas HORNS überhaupt in ein Genre passt.
Am Anfang steht eine verkitschte Liebessequenz, gefolgt von einer Szene, die alles auf den Kopf stellt. Auch von Kameraseite aus. Iggy erhebt sich verkatert vom Boden. Ein ständiger Zustand, seit seine innige Liebe Merrin bei einem mysteriösen Mord ums Leben kam, und Iggy als Hauptverdächtigen zurück ließ. Es kommt der Moment, wo Iggy Gott und die Welt verflucht, was dazu führt, dass ihm am Tag darauf Hörner wachsen. Hörner, die niemand in seinem Umfeld für ungewöhnlich hält. Mit dem Fluch kommt aber auch ein gewisser Segen. Jeder in Iggys Nähe platzt ungefragt mit der ungeschönten Wahrheit heraus, und sagt was ihn in Wirklichkeit beschäftigt. Und Iggy bekommt einige schwer zu verdauende Ehrlichkeiten zu hören. Allerdings kann er mit dieser Gabe auch selbst den Mörder seiner Freundin jagen.
Beginnt HORNS noch als intensives Drama, entwickelt er sich zunehmend zu einem Drama mit satirischen Untertönen. Wenn Iggy begreift, wie er sein merkwürdiges Talent nutzen kann, entfachen sich die vielen kleinen Brände, die stets in einer kleinen Gesellschaft schwelen. Schuld und Sühne, Rache und Erlösung. Das sind keine Themen mit denen sich Hardcore-Spezialist Alexandre Aja bisher groß auseinander gesetzt hat. Umso erstaunlicher, wie leicht und unkompliziert er mit HORNS umging. Hier stimmt das Tempo, es sitzt die Inszenierung, und die Darsteller überzeugen. Lediglich der Ton rührt etwas an der Atmosphäre. Eine etwas düsterere Stimmung hätte der Film durchaus vertragen. Und Ajas Spezialität von überinszeniertem Splatter kommt ausgerechnet bei diesem Thema merklich zu kurz.
Es ist erst Ajas zweiter Film nach einem fremden Drehbuch, da kann Absicht des Autors und Interpretation des Regisseur durchaus etwas auseinander gehen. Man könnte also über die Inszenierung streiten, aber über das Ensemble kann man es nicht. Ein sehr hochwertiges Ensemble, bei dem lediglich Heather Graham unter ihren Möglichkeiten agiert. Ein Ensemble, das von einem überzeugenden Daniel Radcliffe angeführt wird, der längst bewiesen hat, und hier erneuert, dass die Zauberei hinter ihm liegt. Lässt man sich noch auf den Film selbst ein, bekommt man zwei Stunden Kino, welches man als sehr interessante Genre-Mischung bezeichnen muss. Ein bisschen Grusel, eine Portion Satire, zu wenig Blut, und ordentlich Drama. Eine riskante Mischung, durchaus, aber absolut kein Grund, HORNS so lange vor dem Zuschauer zu verstecken. Das hinterlässt immer den Beigeschmack, dass niemand Vertrauen in den Film hatte. Und das hätte HORNS wirklich nicht verdient.
HORNS
Darsteller: Daniel Radcliffe, Max Minghella, Joe Anderson, Juno Temple, James Remar, Kathleen Quinlan, David Morse, Heather Graham u.a.
Regie: Alexandre Aja
Drehbuch: Keith Bunin
Kamera: Frederick Elmes
Bildschnitt: Baxter
Musik: Robin Coudert
Prdouktionsdesign: Allan Cameron
119 Minuten
USA – Kanada 2013
Promofotos Copyright Universal Pictures International