HANNA sollte man kennenlernen

War­um spricht ein in tota­ler Iso­la­ti­on auf­ge­wach­se­nes Mäd­chen, per­fek­tes Eng­lisch, wenn der allein­er­zie­hen­de Vater nur mit stark deut­schem Akzent auf­war­ten kann? HANNA wirft vie­le die­ser Fra­ge auf, ver­schwen­det aller­dings kei­ne Zeit dar­an, die­se zu beant­wor­ten. Das ist umso erstaun­li­cher, da HANNA durch­weg das Flair euro­päi­schen Kinos ver­sprüht. Gemeint ist damit das euro­päi­sche Kino, wel­ches sich vom ame­ri­ka­nisch dik­tier­ten Main­stream durch Anspruch und Anders­ar­tig­keit abhebt.

Die ers­ten Bil­der sind geni­al, wenn der Zuschau­er glaubt, das the­ma­ti­sier­te Mäd­chen als Jäge­rin wahr­neh­men zu kön­nen, wäh­rend sie sofort wie­der ver­schwun­den zu sein scheint. Das Herz des gejag­ten Hirschs ver­fehlt das jun­ge Mäd­chen in die­ser Sze­ne. Ein Leit­mo­tiv, denn in dem Augen­blick wird sie von ihrem Vater über­rascht – ein Geg­ner hät­te sie töten kön­nen. Aber war­um soll­te jemand ein so schi­ckes Ding töten wol­len? Ein stän­di­ges Katz-und-Maus-Spiel, bei dem das Publi­kum immer wie­der die Rol­len von der Kat­ze und der Maus wech­seln darf. Das Dreh­buch lässt sich Zeit mit sei­ner Geschich­te, was geschieht und war­um es geschieht. Die Hand­lung han­gelt sich an Infor­ma­ti­ons­fet­zen ent­lang. Das ist zum Teil sehr span­nend, wird aber auch immer wie­der von kur­zen, aber über­ra­schen­den Action-Ein­la­gen auf­ge­lo­ckert.
Han­na ist, dar­auf kommt man sehr schnell, ein für spe­zi­el­le Ein­sät­ze erschaf­fe­nes Kind. Für wel­che Ein­sät­ze, braucht der halb­wegs intel­li­gen­te Zuschau­er auch nicht lan­ge zu raten. Doch erzählt wird nicht etwa die Geschich­te einer gro­ßen Ver­schwö­rungs­theo­rie, son­dern das Äqui­va­lent des Erwach­sen­wer­dens eines Mäd­chens. In die­sem Fall kann man sagen, wie eine in Wild­nis groß gewor­de­ne, sich zu einer der Zivi­li­sa­ti­on ange­pass­ten Per­son mau­sert. Da macht sich im Tenor das euro­päi­sche Kino bemerk­bar, aller­dings mit eini­gen Abstri­chen. Von Truf­f­auts WOLFSMENSCH ist HANNA weit ent­fernt, Bad­hams ame­ri­ka­ni­scher NIKI­TA-Ver­si­on aller­dings weit über­le­gen.

Han­na ist schnel­ler, intel­li­gen­ter und skru­pel­lo­ser als es ein ande­rer Mensch in ihrem Alter je sein wird. Dies wird zum Glück nicht über­zeich­net dar­ge­stellt.  Denn Sao­ir­se Ronan hat die­ses kalt­blü­ti­ge Feu­er im Blick, ihre Prä­senz ermög­licht den Glau­ben an ihre Fähig­keit. Wenn sie Geg­ner töten muss, nimmt man ihr die­se Über­le­gen­heit ab. Doch lei­der ver­zich­tet Regis­seur Joe Wright aus­ge­rech­net bei Ronan auf beson­de­re Merk­ma­le in den Insze­nie­run­gen ihrer Action-Sze­nen. Wer Eric Banas ers­ten Stunt-Ein­satz sieht, weiß sofort, dass es nicht an Ideen man­gel­te. Die in einer ein­zi­gen Ein­stel­lung gedreh­te Sequenz in einem U‑Bahnhof, ist meis­ter­lich cho­reo­gra­fiert. Hier wer­den selbst auf­wen­digs­te Action-Rei­ßer aus dem ame­ri­ka­ni­schen Kino bloß gestellt.

Doch so inter­es­sant und teil­wei­se auch spek­ta­ku­lär, so anders und unter­hal­tend, sich HANNA auch gibt, muss der Film sich durch eini­ge Schwä­chen kämp­fen, die für eine deutsch-bri­ti­sche Kopro­duk­ti­on nicht sein müss­ten. Da ist zum einen Tom Hol­land, der als böser Bube nicht nur per­ma­nent fehl­be­setzt wirkt, son­dern als deut­scher Cha­rak­ter einen nicht zu tole­rie­ren­den, kata­stro­pha­len Akzent hat. Man kennt die­se Igno­ranz aus den von gro­ßen Stu­di­os pro­du­zier­ten ame­ri­ka­ni­schen Pro­duk­ten, die auch hier mit­pro­du­zier­ten. Einem unter deutsch-eng­li­scher Hoheit ent­stan­de­nem Film, darf sowas eigent­lich nicht pas­sie­ren.


Zum ande­ren macht der Film in eini­gen Pas­sa­gen den Ein­druck, als ob er einem dum­men Publi­kum zei­gen möch­te, wie bunt und exo­tisch die Welt sein kann. Han­na, in der puren Wild­nis Finn­lands ohne Kon­takt zur Zivi­li­sa­ti­on groß gewor­den, zeigt erstaun­li­che Sicher­heit im jewei­li­gen Umfeld ihres Flucht­wegs durch Euro­pa. Aber für alles was man als Fehl­tritt dekla­rie­ren möch­te, hat Joe Wright, der Sao­ir­se Ronan mit ABBITTE der Welt vor­stell­te, einen schö­nen Aus­gleich geschaf­fen. So, als Han­na in einem Zim­mer das ers­te Mal zur Ruhe kommt, in dem sie aber auch das ers­te Mal von Radio, Kli­ma­an­la­ge, Kühl­schrank und Leucht­stoff­röh­ren umge­ben ist, und an den Geräu­schen und dem Sum­men der Gerä­te fast durch­dreht.

Joe Wright ist ein exzel­len­ter Mix von Action- und Art­house-Film gelun­gen, der in Inten­si­tät, Gefühl, und Span­nung mühe­los an sei­ne drei vor­an­ge­gan­ge­nen Fil­me SOLOIST, STOLZ & VORURTEIL und vor allem ABBITTE anschließt. Mög­lich ist dies aber nur durch die über­na­tür­lich wir­ken­de Prä­senz der sech­zehn­jäh­ri­gen Sao­ir­se Ronan, die mit leicht­fü­ßi­ger Bra­vour den kom­plet­ten Film trägt. Das gelingt selbst den erfah­rens­ten, oder cha­ris­ma­tischs­ten Dar­stel­lern nur sel­ten. Man darf den­noch hof­fen dass das gege­be­ne Fort­set­zungs­po­ten­ti­al nicht genutzt wird. Eine span­nen­de, inter­es­san­te Figur könn­te damit sehr schnell zur Belie­big­keit ver­kom­men.

Am Ziel ihrer vor­mals unge­wis­sen Mis­si­on, taucht HANNA in ver­wa­sche­ne Far­ben und unsau­be­re Bil­der. Das ver­meint­li­che Hap­py End wird zum Prüf­stein – und Zir­kel­schluss. Wie­der ver­fehlt Han­na das Herz, aber dies­mal wird die­ser Feh­ler nicht zur töd­li­chen Fal­le. Ist das Mäd­chen end­lich erwach­sen gewor­den, gar am Ziel ange­kom­men? Wel­ches Ziel mag das aber sein, in dem eine sehr jun­ge Frau zuerst Wild für den Lebens­un­ter­halt erlegt, und am Ende genau­so kalt­blü­tig ihren Rache­feld­zug an Men­schen been­den kann?

HANNA
Dar­stel­ler: Sao­ir­se Ronan, Eric Bana, Tom Hol­lan­der, Cate Blan­chett, Oli­via Wil­liams, Jason Fle­myng, Jes­si­ca Bar­den u.a.
Regie: Joe Wright
Dreh­buch: Seth Loch­head, David Farr
Kame­ra: Alwin Kuech­ler
Bild­schnitt: Paul Tot­hill
Musik: The Che­mi­cal Brot­hers
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Sarah Green­wood
UK-Deutsch­land-USA 2011
zir­ka 111 Minu­ten
Mar­ty Adel­stein Pro­duc­tions, Stu­dio Babels­berg

Pro­mo-Fotos Copy­right 2011 Mar­ty Adel­stein Pro­duc­tions & Stu­dio Babels­berg

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