Grandios: FREE GUY

FREE GUY – Deutsch­land­start 12. August 2021

Wenn ich Trai­ler betrach­te, habe ich manch­mal Sor­gen, ob der Film das hal­ten kann, was der Vor­gu­cker ver­spricht. Des­we­gen ging ich mit ziem­lich gemisch­ten Gefüh­len in FREE GUY, denn die Trai­ler sahen zum ers­ten äußerst viel­ver­spre­chend aus und zum zwei­ten bin ich the­ma­tisch ver­mut­lich die Kern­ziel­grup­pe. Dazu noch Ryan Rey­nolds. Was kann da schon schief gehen?

Eine Men­ge – und des­we­gen hat­te ich mich zwar sehr auf den Start gefreut (umso mehr, weil er sich dank Coro­na um ein Jahr ver­spä­tet hat), aber auch arge Beden­ken, ob der Film das hal­ten kann, was die Ankün­di­gun­gen versprachen.

Und – mei­ne Güte – was wur­de ich eines Bes­se­ren belehrt. Man bekommt exakt was die Trai­ler ver­spra­chen: Ein Ryan Rey­nolds in Best­form in einer Komö­die um Com­pu­ter­spie­le – und mehr.

Das hät­te an der­ma­ßen vie­len Stel­len schief gehen kön­nen, dass man gar nicht weiß, wo man anfan­gen soll. Und bei der Ziel­grup­pe – Gamer°Innen (und ich benut­ze das Gen­dern an die­ser Stel­le ehr­lich gesagt mit beson­de­rer Genug­tu­ung) – kann man sich auch sicher sein, dass jeder noch so klei­ne Feh­ler von einem Mob in der Luft zer­ris­sen wird – und der Film gleich mit.

Glück­li­cher­wei­se haben die Macher zwei sehr cle­ve­re Din­ge getan: Sie haben die Gamer-Gemein­de und deren Tro­pes mit viel Respekt behan­delt, auch wenn man sich aus­gie­big dar­über lus­tig macht. Und zum ande­ren fehlt eben so gut wie jeder Rea­lis­mus, man bekommt eine Art Com­pu­ter-Gaming-Mär­chen prä­sen­tiert, das zwar in sich stim­mig ist, aber auf gewis­se Logik ein­fach mal ver­zich­tet. Das, wie auch Tei­le des Plots um gestoh­le­nen Com­pu­ter­spiel­code, erin­nern sicher nicht ganz zufäl­lig an TRON. Aller­dings als Hom­mage, in keins­ter Wei­se als Pla­gi­at, denn dafür sind die bei­den Fil­me zu unter­schied­lich, gewis­se Par­al­le­len las­sen sich aller­dings nicht leug­nen. Und ein Hauch Mur­mel­tier­tag ist auch noch drin …

Die Gaming-Sze­nen fin­den in einem Spiel namens FREE CITY statt, dabei han­delt es sich um eine Mischung aus Batt­le Roya­le (FORTNITE), GRAND THEFT AUTO III (Liber­ty City) und noch ein paar wei­te­ren zu erken­nen­den Refe­ren­zen. Neben­bei bekommt man aber immer wie­der mal auch Spie­ler in der ech­ten Welt zu sehen und gera­de hier haben die Dreh­buch­au­toren ein paar Mal ech­tes Come­dy-Gold ein­bau­en kön­nen. Da geht es natür­lich bei­spiels­wei­se um die Unter­schie­de zwi­schen mar­tia­lisch aus­se­hen­der Spiel­fi­gur und der Game­rin oder dem Gamer dahin­ter. Trotz­dem: Wie bereits erklärt geht man mit viel Respekt mit der Sze­ne um, aller­dings bekom­men den­noch Trol­le und ande­re ähn­li­che (meist männ­li­che) Aus­prä­gun­gen den­noch ganz schön ihr Fett ab (was auch eini­ge gehar­nisch­te Bespre­chun­gen aus der Rich­tung erklärt, wenn man sich über sie lus­tig macht ver­ste­hen die Dudes kei­nen Spaß). Objek­tiv gese­hen tre­ten die Macher des Films genau den rich­ti­gen Leu­ten an genau die rich­ti­gen Stellen.

Übri­gens: die zwi­schen­durch ein­ge­spiel­ten Youtuber°Innen und Twitcher°Innen sind echt, ein wei­te­res schö­nes Detail, das zeigt, dass man die Sze­ne ernst nimmt und sich eben nicht nur über sie lus­tig macht.

Wenn dann noch ein … Boss­geg­ner nicht ganz fer­tig pro­gram­miert ist, sei­ne Catch­phra­se des­we­gen »Catch­phra­se« lau­tet und er bei diver­sen wei­te­ren Äuße­run­gen Varia­blen­na­men ein­fügt, dann ist das ers­tens ziem­lich lus­tig und zwei­tens selbst­ver­ständ­lich ein Sei­ten­hieb auf ver­buggt aus­ge­lie­fer­te Spie­le­soft­ware (CYBERPUNK 2077, anyone?).

Inter­es­sant in die­sem Zusam­men­hang übri­gens auch gewis­se Par­al­le­len zwi­schen der Soft­ware­fir­ma Soo­na­mi, die hin­ter FREE CITY steht, und Bliz­zard, die bekann­ter­ma­ßen gera­de auf­grund von Ver­feh­lun­gen, arro­gan­ten Chefs und sexu­el­len Über­grif­fen in den USA vor Gericht ste­hen. Als der Film gedreht wur­de, konn­te man selbst­ver­ständ­lich über die Kla­ge noch nichts wis­sen, aber wie es in der Bran­che so abgeht, ist kein Geheim­nis – und das hat man für ein paar Sei­ten­hie­be genutzt, die auf­grund der Gescheh­nis­se um Bliz­zard mehr Aktua­li­tät erhal­ten. Da der Strei­fen bereits im ver­gan­ge­nen Jahr hät­te ins Kino kom­men sol­len, ist das Timing verblüffend.

Rey­nolds wit­zelt sich als Sym­pa­thie-Guy durch die Hand­lung und die Sze­nen­bil­der, die mit zahl­lo­sen klei­nen, kleins­ten und lie­be­vol­len Details bei­na­he bis zum Bers­ten aus­staf­fiert wur­den. Das mit dem »Wit­zeln« mei­ne ich übri­gens in keins­ter Wei­se abwer­tend, Rey­nolds ist in FREE GUY als Komö­di­ant in Hoch­form, wobei er aber eben­falls lei­se­re Töne anschla­gen kann. Auch die Meta­mor­pho­se vom NPC zum Hel­den wird bei­na­he fein nuan­ciert gespielt (soweit man bei die­sem Film von fei­nen Nuan­cen spre­chen kann).
Eben­falls über­aus bemer­kens­wert ist Jodie Comer die zwi­schen Action­hel­din Molo­tov­girl im Spiel und Mil­lie in der rea­len Welt wech­seln muss und das aus­ge­spro­chen gut hin­be­kommt. Und dann ist da natür­lich noch Taika Wai­ti­ti, als arro­gan­ter, über­kan­di­tel­ter SOO­NA­MI-Chef Antoi­ne, der wie­der mal völ­lig über­dreht spie­len darf. Grandios.

Das wirk­lich Schö­ne an FREE GUY ist, dass er sich nicht der­ma­ßen auf die Gaming-Aspek­te fokus­siert, dass alles ande­re an Bedeu­tung ver­liert. Spiel­welt und »rea­le Welt« wech­seln sich stän­dig ab und inter­agie­ren mit­ein­an­der. Nach und nach kommt dann auch raus, wor­um es hier – zum Teu­fel – eigent­lich geht und war­um. Und an der Stel­le kommt dann auch wie­der der Hin­weis auf das Gamer-Mär­chen ins Spiel. Wenn man das alles ein­fach nicht ganz ernst nimmt und sich auf das … Spiel ein­lässt, wird man eine Men­ge Freu­de haben. Wenn man ver­sucht, das logisch zu ana­ly­sie­ren, nicht. Aber so ist das eben mit Märchen.

Ich hat­te, abge­se­hen von den moder­nen Gaming-Sze­nen, von der Insze­nie­rung her stän­dig den Ein­druck, in einem Ste­ven Spiel­berg-Film aus den 1980ern zu sit­zen, der erfolg­reich ins Heu­te trans­plan­tiert wur­de, und das mei­ne ich selbst­ver­ständ­lich aus­drück­lich als Lob. Der Ein­druck ver­stärkt sich durch die Anwe­sen­heit von Joe Kee­ry, den kennt die Ner­din selbst­ver­ständ­lich aus STRANGER THINGS, was die 80er-Remi­nis­zen­zen noch intensiviert.

FREE GUY ist von vor­ne bis hin­ten ein meg­a­lus­ti­ger, hoch­un­ter­halt­sa­mer Gaming-Film mit uner­war­te­ten Tie­fen, an dem Computerspieler°Innen sicher ihre Freu­de haben und der ein wah­res Feu­er­werk an wirk­lich guten Gags abschießt. Nicht­spie­ler wer­den ver­mut­lich unter­hal­ten, an denen dürf­ten aller­dings grö­ße­re Tei­le des Films und Unmen­gen an Refe­ren­zen ein­fach vor­bei gehen. Gamer°Innen lachen zehn­mal mehr. Min­des­tens. Und das sogar ohne alle Oster­ei­er mit­be­kom­men zu haben, denn deren Schlag­zahl ist ein­fach zu hoch, ich konn­te mich nur bemü­hen, alles zu erfas­sen und bin kra­chend geschei­tert. Muss ich ihn mir wohl noch­mal ansehen.

Für die Ziel­grup­pe eine unbe­ding­te Emp­feh­lung. Gro­ßer Spaß. Super Film. Und mit sei­ner posi­ti­ven Stim­mung genau der Film, den wir gera­de gut brau­chen können.

p.s.: Das Stu­dio heißt dank der Über­nah­me von Fox durch Dis­ney jetzt nicht mehr 20th Cen­tu­ry Fox, son­dern nur noch 20th Cen­tu­ry Stu­di­os. Erfreu­li­cher­wei­se hat man das Intro mit dem sich dre­hen­den Schrift­zug eben­so bei­be­hal­ten, wie die Fox-Fan­fa­re. Und da das alles eben inzwi­schen Dis­ney gehört, konn­te man Came­os aus den ande­ren bei­den ganz gro­ßen Fran­chi­ses des Maus-Hau­ses ein­bau­en. Ich gehe mal davon aus, dass man die nach der Über­nah­me noch nach­träg­lich ein­ge­fügt hat, sie gehö­ren aber zu den ganz gro­ßen und freu­di­gen Über­ra­schun­gen in FREE GUY.

p.p.s.: Ich spa­re mir dies­mal den Rant zur Über­set­zung. In der deut­schen Fas­sung ver­passt man zudem Gast­sprech­rol­len von Dway­ne John­son oder Hugh Jackman.

FREE GUY
Beset­zung: Ryan Rey­noldsJodie ComerJoe Kee­ryLil Rel Howe­ryTaika Wai­ti­tiUtkar­sh Ambud­karCamil­le Kos­tek u.v.a.m.
Regie: Shawn Levy
Dreh­buch: Matt Lie­ber­man und Zak Penn nach einer Geschich­te von Lieberman
Pro­du­zen­ten: Greg Ber­lan­tiAdam Kol­bren­nerShawn LevySarah Schech­ter und Ryan Rey­nolds
Aus­füh­ren­de Pro­du­zen­ten: Geor­ge Dew­eyDan Levi­neMicha­el Riley McGrathJosh McLag­lenMary McLag­len
Kame­ra: Geor­ge Richmond
Schnitt: Dean Zim­mer­man
Musik: Chris­to­phe Beck
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Ethan Tob­man
Cas­ting: Ron­na KressAnge­la Peri
115 Minuten
USA 2021

Bild­rech­te 20th Cen­tu­ry Studios

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

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