In nur zwei Minuten hat der Regie-Debütant Alex Garland die Exposition erzählt, und seinen Protagonisten dorthin gebracht, wo er die noch ausstehende Laufzeit verbringen wird. Nämlich im Kern der Geschichte. Der offensichtliche Programmierer Caleb hat scheinbar bei einer Lotterie gewonnen. Die raumnahe arbeitenden Kollegen gratulieren ihm begeistert. Es scheint ein firmeninternes Gewinnspiel gewesen zu sein, und noch dazu ein großes Ding. Dann fliegt ein Hubschrauber über grandiose, unberührte Landschaften. »Wann kommen wir zu seinen Ländereien«, fragt Caleb. Der Pilot lächelt, »wir fliegen schon seit zwei Stunden darüber«. Es ist der erste Dialog in EX MACHINA. Was aus den ersten zwei Minuten nicht vollkommen schlüssig wurde, wird später äußerst geschickt in den Dialogen aufgefangen und erklärt. Alex Garland weiß also, wie man Geschichten erzählt, wie man eine Handlung strukturiert. Spannung entsteht bei Garland nicht aus der Situation, sondern durch die Erzählform.
Caleb wird als einer von ganz wenigen den Multi-Milliardär Nathan kennenlernen. Der Mann, der Zuckerberg-gleich mit IT eine Weltmachtstellung aufbaute, der allerdings auf das maximalste zurück gezogen lebt. Caleb Gewinn ist es, eine Woche zusammen mit Nathan zu verbringen. Doch der eigentliche Grund für einen Gast im Haus ist die Notwendigkeit für einem Außenstehenden zur Durchführung eines unglaublichen Tests. Nathan hat eine künstliche Intelligenz erschaffen. Als einer der findungsreichsten Programmierer in der Firma soll Caleb testen, ob die künstliche Intelligenz tatsächlich ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat, oder doch nur programmierte Emotionen nutzt. Ava heißt der humanoide Roboter mit dem vermeintlich eigenen Bewusstsein. Und Ava macht es Caleb nicht leicht, denn Nathan hat ihr nicht nur eine einnehmende Stimme gegeben, sondern auch ein ansprechendes Gesicht.
Äußerst klar strukturiert teilt Garland seine Geschichte klassisch in drei Teile: Im ersten Akt geht es um die Bewunderung von Caleb gegenüber Nathan, und die Annäherung an das Testobjekt. Der zweite Akt ist eine stringente Abhandlung von philosophischen Fragen und Überlegungen, bei denen ein zunehmend dem Alkohol verfallender Nathan seinen Gast Caleb unentwegt herausfordert. Der dritte Akt gehört eindeutig der Auseinandersetzung mit dem Konflikt, dem sich Caleb ausgesetzt sieht, weil ein Verständnis gegenüber einer künstlichen Intelligenz mit eigenem Bewusstsein bisher nie ein Thema war. In den ersten zwei Dritteln wird der Zuschauer mit einer Vielzahl von Möglichkeiten einer Auflösung konfrontiert. Und es liegt in der Natur des Kinos, dass sich das Publikum für eine sehr offensichtliche Variante entscheidet. Doch gerade im letzten Akt, wo man auf ein Ende hinarbeitet das unausweichlich scheint, schlägt der Film immer wieder unerwartete Haken. Das Ende von EX MACHINA ist eine logische Konsequenz, aber in dieser Form nicht wirklich vorhersehbar.
Immer wieder schafft Alex Garland Ansätze, um die eigentlich drei formal getrennten Akte, zu einem stimmigen Ganzen zusammen zu bringen. Da ist zum einen Nathans ungezügelter Alkoholkonsum, aber auch die immer wieder, förmlich schreiende Frage, wer in diesem Stück eigentlich wen manipuliert. Ist es Ava, die Caleb gegen Nathan aufbringen will? Ist es am Ende Nathan, der Caleb glauben lassen will, Ava soll Caleb gegen ihn aufbringen? Oder ist Caleb am Ende gar nicht er selbst, für den er sich als selbstverständlich gehalten hat. Durchweg gibt das Drehbuch den Protagonisten sehr intelligente Dialoge zum spielen. Es wird philosophiert, und schwadroniert. Und immer wieder wirft eine beantwortete Frage, ein weiteres, ungelöstes humanistisches Dilemma auf.
EX MACHINA ist zweifellos ein Kammerspiel. Und solche funktionieren nur über ein exzellentes Ensemble. Doch Alex Garland hat ein exzellentes Ensemble zusammen gebracht. Die undurchsichtige Sensualität von Alicia Vikander ist einfach umwerfend. Die verstörte Unsicherheit von Gleeson hätte niemand anderer so einnehmend vermitteln können. Und Oscar Isaacs extrovertierter Erfinder könnte gar nicht besser die gebotene Paranoia auf den Zuschauer übertragen. Dazu gesellt sich natürlich ein sehr feinsinniges Set-Design von Denis Schnegg, welches ausschweifende Lebensstandards mit funktionalen Räumlichkeiten verbindet. Das alles bindet die Geschichte in eine nicht von der Thematik ablenkenden Umgebung ein, welche das Zukunftsszenario unterstreicht, aber keine eigenständige Auseinandersetzung herausfordert.
Um größtmöglich kreativen Spielraum zu bekommen, wollte Alex Garland das Budget auch so gering wie möglich halten. Mit lächerlichen 13 Millionen Dollar produziert, gelingt es der Geschichte in Form dieser Inszenierung das Budget vollkommen irrelevant erscheinen zu lassen. Eine Vertriebsfirma wie Universal Pictures versteht in Sachen Kosten-Nutzen-Faktor schließlich keinen Spaß. Und das war im Sinne der Macher auch eine sehr gute Entscheidung. EX MACHINA ist eine sehr intelligente, aber auch durchweg gelungene Auseinandersetzung mit den bis jetzt eigentlich unbeantworteten Fragen, was eine künstliche Intelligenz nicht nur definiert, sondern wie diese in unsere menschlichen Bewusstsein einzuordnen wäre. Alex Garland hat vor diesem Regie-Debüt die Drehbücher unter anderem zu SUNSHINE, 28 DAYS LATER, oder NEVER LET ME GO verfasst. Das sind seine Visitenkarten, die einen sehr genauen Anhaltspunkt geben, wie man EX MACHINA als philosophisches Gedankenspiel einordnen kann.
EX MACHINA
Darsteller: Domhnall Gleeson, Oscar Isaac, Alicia Vikander, Sonoya Mizuno u.a.
Drehbuch & Regie: Alex Garland
Kamera: Rob Hardy
Bildschnitt: Mark Day
Musik: Geoff Barrow, Ben Salisbury
Produktionsdesign: Mark Digby
Großbritannien / 2015
108 Minuten
Promofotos Copyright Universal Pictures Germany