DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS

Offi­zi­el­ler Deutsch­land­start: 05.05.2022, in Kinos ab dem 04.05.2022

Spoi­ler­frei

Was gab es für einen Vor­ab-Hype um die­sen nächs­ten Film aus der Rei­he des Mar­vel Cine­ma­tic Uni­ver­se (oder heißt das jetzt schon »Mar­vel Cine­ma­tic Mul­ti­ver­se«?). Der zum Kult-Stu­dio gewor­de­ne Ver­lag und Dis­ney wuss­ten wie­der ein­mal, wie man die Fans so rich­tig anhei­zen kann, mit Trai­lern in denen unzäh­li­ge Oster­ei­er ver­steckt waren und über die man frei dre­hend abspe­ku­lie­ren konn­te. Und so wur­de jeder Trai­ler im Netz von Ein­ge­weih­ten bis fast auf Ein­zel­bild­ebe­ne seziert und jedes Detail mit Spe­ku­la­tio­nen ver­se­hen, die auf fun­dier­tem Wis­sen der bereits bekann­ten Fil­me und Seri­en und natür­lich auch ins­be­son­de­re der Comics beruh­ten (denn Mar­vel bedient sich gern bei sich selbst). Da frag­te sich die­ser Rezen­sent unwill­kür­lich, ob ein Film einer der­art gro­ßen Erwar­tungs­hal­tung über­haupt jemals gerecht wer­den kann.

Eins kann ich gleich vor­ne­weg schi­cken: Mar­vel gibt sich gar kei­ne Mühe mehr, Fil­me für den durch­schnitt­li­chen Kino­gän­ger zu machen, son­dern pro­du­zier­te MULTIVERSE OF MADNESS ein­fach mal kon­se­quent für die Fans.

Denn es gibt der­ma­ßen vie­le Ver­satz­stü­cke aus der Ver­gan­gen­heit des MCU und Quer­ver­bin­dun­gen zu den Comics, wobei letz­te­re ver­mut­lich nur der lang­jäh­ri­ge Hard­core-Fan kennt, in MULTIVERSE, dass es gera­de­zu ver­blüf­fend zu nen­nen ist. Moti­va­ti­on der Haupt­fi­gu­ren ist durch die Kino­be­su­che­rin eigent­lich nur nach­zu­voll­zie­hen, wenn man nicht nur gewis­se vor­an­ge­gan­ge­ne MCU-Fil­me gese­hen hat – das reicht schon lan­ge nicht mehr aus – son­dern auch Seri­en beim Strea­ming­dienst Dis­ney+. Aus betriebs­wirt­schaft­li­cher Sicht frag­los ein geschick­ter Schach­zug, denn das zwingt die Anhän­ge­rin, die alles sehen und ver­ste­hen möch­te, zu einem Abon­ne­ment – und das bringt dem Maus-Haus dau­er­haft in jedem Monat Koh­le, wohin­ge­gen Fil­me nur dann etwas ein­brin­gen, wenn sie ins Kino kom­men, auf Kon­ser­ve oder als Stream erschei­nen. Auf der ande­ren Sei­te kann ich Dis­ney und Mar­vel das nicht übel neh­men, denn sie haben jetzt bereits mehr­fach bewie­sen, dass sie nicht nur das Gen­re Kino­film beherr­schen, son­dern das The­ma auch auf Fern­seh­se­ri­en adap­tie­ren kön­nen, die auf­grund der unter­schied­li­chen Län­ge einen ande­ren Erzähl­stil haben und anders insze­niert wer­den wollen.

Doch zurück zum selt­sa­men Dok­tor: MULTIVERSE OF MADNESS ist eine wah­re Tour de For­ce im Sin­ne des Wor­tes, Pop­corn­ki­no reins­ten Was­sers, eine Abfol­ge aber­wit­zi­ger Sze­ne­rien und Situa­tio­nen, in denen – das wur­de nun so oft ange­teasert, dass es kein Spoi­ler ist – das in den Comic bereits seit lan­gem eta­blier­te Mul­ti­ver­sum eine wich­ti­ge Rol­le spielt. An die­ser Stel­le sei mir bit­te ver­zie­hen, dass ich in die­ser Bespre­chung immer wie­der um den hei­ßen Brei her­um rede, eigent­lich kann man die­sen Film gar nicht rezen­sie­ren, ohne ihn zu spoi­lern, also ohne denen die die Kri­tik lesen, den Spaß zu ver­der­ben (es mag sich merk­wür­dig anhö­ren, aber zu die­sem Ver­mei­den von Spoi­lern gehö­ren in die­sem Fall auch Aus­sa­gen zu den Leis­tun­gen der Dar­stel­ler, oder Betrach­tun­gen zu Cha­rak­ter­ent­wick­lung und deren Dar­stel­lung oder den Ein­satz von Figuren).

Beim The­ma »Spoi­ler« kann man ruhig (noch)mal ein Wort zu den Trai­lern ver­lie­ren, denn was hier getan wur­de halt ich für reich­lich bemer­kens­wert: Die Vor­gu­cker sind, in der Nach­schau betrach­tet, gera­de­zu Genie­strei­che, denn sie haben Din­ge ange­teasert und jedes Mal bei Erschei­nen eines neu­en das Netz zur Explo­si­on von Spe­ku­la­tio­nen gebracht (ähn­li­ches gilt für die Pos­ter, die mit zahl­lo­sen gro­ßen und klei­nen Details die Fans am Nasen­ring durch die Are­na gezo­gen haben). Die Trai­ler waren auch nicht gelo­gen oder irre­füh­rend, ganz im Gegen­teil, die haben genau das gezeigt, was man bekommt. Und den­noch ist die Hand­lung des Films dann eben doch völ­lig anders als man erwar­tet hat­te und auch anders als die meis­ten Spe­ku­la­tio­nen. Und das allei­ne macht ihn gefühlt sehr frisch, denn man bekommt  genau was man erwar­tet, aber eben doch etwas gänz­lich ande­res als man erwar­tet hat­te und was die Spe­ku­lan­ten ver­mu­te­ten. Und dazu kom­men dann eben noch all die Über­ra­schun­gen, die man in den zahl­lo­sen Vor­gu­ckern eben NICHT zu sehen bekom­men hat und bei ein paar davon bin ich ziem­lich sicher, dass sie das Inter­net explo­die­ren las­sen wer­den, sobald MADNESS in die US-Kinos kom­men wird (also am Freitag).

Selbst­ver­ständ­lich ist Action zwar all­ge­gen­wär­tig, das ist beson­ders deut­lich im direk­ten Ver­gleich mit ETERNALS, der über lan­ge Sequen­zen ruhig und gera­de­zu gemäch­lich oder zurück­ge­nom­men erzählt wird. Den­noch gibt es auch immer wie­der ruhi­ge Abschnit­te mit Erläu­te­run­gen oder Selbst­re­flek­tio­nen wie wir sie von Mar­vel gewohnt sind. Denn deren Hel­den und Sto­ries waren schon in den Comics deut­lich kom­ple­xer gestrickt als die des direk­ten Kon­kur­ren­ten. Und des­we­gen sind auch die Moti­va­tio­nen und Ver­stri­ckun­gen deut­lich ela­bo­rier­ter als man es in einem Super­hel­den­film viel­leicht erwar­ten wür­de. Trotz­dem darf man hier natür­lich weder Cha­rak­ter­fach noch Arthouse erwar­ten (aber wer wür­de das bei einem MCU-Film auch schon tun?).

Im Vor­feld wur­de gesagt, man bekä­me den ers­ten Hor­ror­film des MCU zu sehen und kon­se­quen­ter­wei­se wur­de Sam Rai­mi als Regis­seur abge­heu­ert. Der ist nicht ganz fremd in Sachen Mar­vel, hat­te er doch Anfang der 2000er eine durch­aus respek­ta­ble  und von Fanin­nen gelieb­te SPI­DER-MAN-Tri­lo­gie abge­lie­fert, die bekann­ter­ma­ßen gera­de erst in FAR FROM HOME aus­gie­big refe­ren­ziert wur­de. Und ja, ins­be­son­de­re in der zwei­ten Hälf­te erkennt man die Hand­schrift Rai­mis deut­lich an gewis­sen Zita­ten aus dem Hor­ror­gen­re, die die geneig­te Anhän­ge­rin die­ses Gen­res auch ein­deu­tig wird iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Die wir­ken aber durch­aus nicht auf­ge­pfropft, son­dern als Hom­mage in Rich­tung des Gen­res, aber im Kon­text des Films schon sehr pas­send ein­ge­setzt (dar­un­ter auch ein paar sehr schö­ne Jumps­ca­res). Hin­zu kommt, dass man die­se Hor­ror-Ver­satz­stü­cke ange­sichts des über­bor­den­den Irr­sinns der einem da um die Ohren gehau­en wird gar nicht mehr ernst neh­men kann; denen wird der Schre­cken genom­men, denn wenn bei­spiels­wei­se Unto­te in einem rea­len Sze­na­rio erschre­ckend wir­ken, sind sie in die­ser Hand­lung eben nur ein wei­te­rer Aspekt des über­bor­den­den Spek­ta­kels auf der Kino­lein­wand. Trotz­dem wird MADNESS dem Titel gerecht und ist durch­aus grus­li­ger als ande­re Fil­me der Rei­he. Erstaun­lich, was 12-jäh­ri­gen heu­te so zuge­mu­tet wird …

Bemer­kens­wert fin­de ich dabei, wie über­aus pro­fes­sio­nell und homo­gen das alles insze­niert wur­de, wie strin­gent die Cho­reo­gra­fie des Gan­zen daher kommt. Denn auch wenn der Zuschaue­rin kon­ti­nu­ier­lich abstru­ses­te und visu­ell opu­len­tes­te Bild­ex­plo­sio­nen oder ver­dreh­te, hoch­gra­dig absur­de Sze­ne­rien in die Augen gehau­en wer­den, schaf­fen es Kame­ra, Regie und Schnitt doch, immer eine Abfol­ge zu schaf­fen, die die Kino­be­su­che­rin nicht über­for­dert, obwohl das Gesche­hen chao­tisch ist und durch meh­re­re Uni­ver­sen springt, teil­wei­se im Sekun­den­takt. Trotz all des Irr­sinns weiß man eigent­lich immer wo man und die Prot­ago­nis­ten gera­de sind. Und ist das mal nicht so, war das gewollt und aus der Situa­ti­on immanent.

Klei­ner Ein­schub: Was man mit dem Mul­ti­ver­sums-Ansatz eben­falls tut, ist den Cos­play­ern eine ein­deu­ti­ge Nach­richt zu sen­den: Du kannst jeden Hel­den und jede Hel­din mit jeder geschlecht­li­chen Aus­rich­tung und jeder Haupt­far­be cos­play­en, die Du nur möch­test. Alles ist in die­sem Mul­ti­ver­sum mög­lich, sag ein­fach, Du kommst von »Earth-347«. Ich bin auch rela­tiv sicher, dass das nicht ganz zufäl­lig so gesche­hen sein dürf­te. Ein­schub Ende.

Natür­lich gibt es auch – oder gera­de wegen – der dra­ma­ti­schen Epik wie­der einen Hau­fen Lacher und lose Sprü­che. Dabei fand ich ein paar gera­de der Titel­fi­gur ein wenig fehl am Platz, weil sie in der Situa­ti­on unpas­send waren und nicht wie gewollt cool wirk­ten, son­dern auf­ge­setzt. Eigent­lich ist der Dok­tor zu abge­klärt für die­se Sprü­che an die­sen Stel­len. Um das abschlie­ßend bewer­ten zu kön­nen, möch­te ich MULTIVERSE OF MADNESS aller­dings erst noch ein­mal im eng­li­schen Ori­gi­nal sehen, denn ich hat­te erneut den Ein­druck, dass die Syn­chro Wün­sche offen ließ. Aber man hat nach Ende des Abspanns, wenn das Licht angeht und man wie betäubt im Kino sitzt, ohne­hin schnell den Wunsch, die­sen Film unbe­dingt noch ein­mal sehen zu wol­len, denn der audio­vi­su­el­le Over­load is so groß, dass man genau weiß: Man hat eine Men­ge schlicht ver­passt, weil es im Spek­ta­kel unterging.

Am Ende der eigent­li­chen Hand­lung bleibt man nicht nur ver­wun­dert und auch über­rascht zurück, es gibt zudem durch­aus ver­söhn­li­che Aspek­te im Zusam­men­hang mit der Kern­hand­lung, die ich hier gern aus­führ­lich erläu­tern wür­de, aber: Spoileralarm.

DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS ist ein Film für Super­hel­den- und Mar­vel-Fans, die wis­sen möch­ten, wie es mit dem Cine­ma­tic Uni­ver­se wei­ter geht. Wer mit die­sen The­ma­ti­ken grund­sätz­lich nichts anfan­gen kann, der ist in die­sem Film defi­ni­tiv völ­lig falsch. Sol­che Per­so­nen sind aber auch gar nicht in der Lage zu ermes­sen, was sich abspielt und kön­nen mei­ner Ansicht nach des­we­gen auch kei­ne kom­pe­ten­ten Bespre­chun­gen schrei­ben, denn ihnen blei­ben die zahl­lo­sen ver­floch­te­nen Hin­ter­grün­de eines über nun­mehr 13+ Jah­re gewach­se­nen Film- und Strea­ming­uni­ver­sums ver­schlos­sen (schö­ner Gruß an SWR3 mit der Kri­tik »sinn­lo­se Anein­an­der­rei­hung von Action­sze­nen, zwei von fünf Punk­ten«, ich habe gelacht).

Wer mit dem The­ma etwas anfan­gen kann, aber nur spo­ra­disch mal einen Mar­vel-Film gese­hen hat, wird sicher­lich gut unter­hal­ten, denn es kommt nicht eine Sekun­de Lan­ge­wei­le auf und man erhält exakt das was ver­spro­chen wur­de, nein, eigent­lich sogar mehr, durch die wie immer über­ra­schen­de und von den Erwar­tun­gen (teil­wei­se krass) abwei­chen­de Hand­lung. Doch wirk­lich in allen Aspek­ten erfas­sen kön­nen das alles nur Fans, die alles gese­hen haben. Und für die hat Mar­vel die­sen Film ein­deu­tig gemacht. Fan­ser­vice pur.

Groß­ar­ti­ger MCU-Film aus unse­rem völ­lig unbe­deu­ten­den teil des Mul­ti­ver­sums, ich freue mich schon sehr auf den zwei­ten Kino­be­such, dann gern in eng­li­scher Sprache.

Am Ende noch ein Minispoi­ler: Auch wenn es nicht expli­zit aus­ge­sagt oder auch nur ange­deu­tet wur­de, muss man sich am Ende von DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS gera­de­zu zwin­gend augen­rei­bend fra­gen, ob Mar­vel uns hier in Sachen MCU den ulti­ma­ti­ven Mind­fuck abge­lie­fert hat … Mul­ti­ver­sum und so, wenn ihr im Kino geses­sen haben wer­det, dann wer­det ihr wis­sen, was ich mein­te. Wei­te­re Fil­me der Rei­he wer­den es ganz sicher zei­gen und am Ende des Abspanns lieh man sich von James Bond ein »Doc­tor Stran­ge kehrt zurück«. Als hät­ten wir das nach der After-Credits-Sze­ne nicht eh gewusst.

Ken­ne­rin­nen der Comics wis­sen ohne­hin, wohin das am Ende füh­ren könn­te … (und wie man Mar­vel kennt: ver­mut­lich nicht führt).

DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS
Beset­zung: Bene­dict Cum­ber­batchEliza­beth OlsenChi­we­tel Ejio­foBene­dict WongXochitl GomezMicha­el Stuhl­bargRachel McA­damsBruce Camp­bellJuli­an Hil­li­ardJett Kly­neKeen­an Moo­rePatrick Ste­wart und andere
Regie: Sam Rai­mi
Dreh­buch: Micha­el Waldron
Pro­du­zent: Kevin Fei­ge
Aus­füh­ren­de Produzent°Innen: Vic­to­ria Alon­soEric Hau­ser­man Car­rollJamie Chris­to­pherLou­is D’Es­po­si­toScott Der­rick­son
Kame­ra: John Mathie­son
Schnitt: Bob Muraw­skiTia Nolan
Musik: Dan­ny Elfman
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Charles Wood
Cas­ting: Sarah Finn
126 Minuten
USA 2022

Pro­mo­fo­tos Copy­right Dis­ney und Mar­vel Studios

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

Ein Kommentar for “DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS”

Michael R.

sagt:

Haben ihn am 4.5 in Tokyo auf Eng­lisch gese­hen. Fan­tas­ti­scher Spaß! Kann die Kri­tik nur so unterschreiben.

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