DIE TRIBUTE VON PANEM: MOCKINGJAY Teil 1

Poster Mockingjay 1

THE HUNGER GAMES: MOCKINGJAY – Part 1 – Bun­des­start 20.11.2014

Vor zwei Gene­ra­tio­nen gab es als gro­ßes Idol und bes­ten Bogen­schüt­zen Robin Hood zu bewun­dern, eine gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Iko­ne unter den Hel­den­ent­wür­fen. So ändern sich eben die Zei­ten. Den­ken die über Vier­zig­jäh­ri­gen bei einer Nickel­bril­le an John Len­non, ist es bei jenen unter Vier­zig Har­ry Pot­ter. Der Har­ry Pot­ter der Bogen­schüt­zen ist jetzt Kat­niss Ever­deen. Und wie Kat­niss Ever­deen in einer bru­tal hier­ar­chi­schen Gesell­schaft an sich selbst wach­sen muss­te, ist mit ihr eine Jugend­buch­ver­fil­mung erwach­sen gewor­den.
Ist bei einer Tri­lo­gie der Mit­tel­teil das schwächs­te Glied in der Ket­te, Aus­nah­men gibt es weni­ge, ist es bei einer Qua­dro­lo­gie unwei­ger­lich der drit­te Teil. Er schließt selbst nur an ein offe­nes Ende an, und ent­lässt den Zuschau­er mit einem offe­nen Ende. Für Quer­ein­stei­ger ein kaum zu bewäl­ti­gen­des Unter­fan­gen. Und für den ver­sier­ten Kino­gän­ger oft­mals ein Ärger­nis. Oft­mals, aber nicht zwangs­läu­fig auch bei MOCKINGJAY 1. Ein aus­ge­zeich­ne­ter Film, des­sen fina­le Fort­set­zung aller­dings bewei­sen muss, dass das Zwei­tei­len eines ein­zel­nen Romans gerecht­fer­tigt war.

Die dik­ta­to­ri­schen Unter­drü­ckun­gen in Panem wer­den immer dras­ti­scher, nach­dem im vor­an­ge­gan­ge­nen Film die Volks­hel­din Kat­niss vom Wider­stand aus der Are­na der Hun­ger­spie­le geret­tet wur­de, und sich damit dem eiser­nen Griff des Kapi­tols ent­zog. Die Rebel­len haben den als auf­ge­ge­ben dekla­rier­ten Bezirk 13 für sich bean­sprucht, in dem Alma Coin mit Über­läu­fer Plut­arch Hea­vens­bee die Revo­lu­ti­on vor­an­treibt. Nur Kat­niss kann dem Leben in Bezirk 13 nichts abge­win­nen, denn ihre Ret­ter haben schließ­lich ihren Ver­bün­de­ten Pee­ta Mel­lark zurück gelas­sen. Und der kalt­schnäu­zi­ge Prä­si­dent Snow ver­steht bes­tens, den gefan­ge­nen Pee­ta für sei­ne Pro­pa­gan­da­zwe­cke gegen den Bür­ger­lieb­ling Kat­niss aus­zu­nut­zen. Um so dring­li­cher muss der Wider­stand gegen das Kapi­tol for­miert wer­den, was bedeu­tet, dass sich die Bezir­ke ver­ei­nen müs­sen. Und das funk­tio­niert am Effek­tivs­ten mit einer Sym­bol­fi­gur. Kat­niss Ever­deen könn­te die­ses Sym­bol sein, wird sich aber nur für die Pro­pa­gan­da des Wider­stan­des ein­set­zen, wenn die Rebel­len Pee­ta aus den Klau­en des Kapi­tols befrei­en. Doch die äuße­ren Bezir­ke haben Pee­ta längst als Ver­rä­ter und Mario­net­te von Prä­si­dent Snow gebrand­markt.

Ein wei­ser Freund zeig­te sich begeis­tert von der Split­tung des Buches, mit der Mei­nung, dass die Qua­dro­lo­gie damit aus­ge­wo­ge­ner wäre, mit zwei Tei­len in der Are­na, und zwei Tei­len des eigent­li­chen Wider­stan­des. Und bis zu die­sem Punkt ist es eine sehr inter­es­san­ter Idee, weil auch in MOCKINGJAY 1 der Grund­ge­dan­ke der zu ver­mit­teln­den Geschich­te zu Ende erzählt ist, näm­lich Kat­niss’ voll­stän­di­ge Inte­gra­ti­on in den Wider­stand. Für Teil zwei bleibt also der Sturm auf das Kapi­tol. Somit wür­de die Qua­dro­lo­gie eine wun­der­ba­re Struk­tur erhal­ten, in der die Fil­me kei­nes­wegs für sich allei­ne ste­hen könn­ten, aber jeden Teil der Geschich­te form­voll­endet für sich schlüs­sig machen. Und mit MOCKINGJAY 1 ist man auf dem bes­ten Weg dort­hin, der sich  von CATCHING FIRE weg, in Ton und Erzäh­lung noch ein­mal eine Spur inten­si­vier­ter prä­sen­tiert. Dafür hat man die Action ziem­lich her­un­ter­ge­fah­ren. Es gibt ein grö­ße­res Schlach­ten­ge­mäl­de im Mit­tel­teil, das noch ein­mal die Hel­den­haf­tig­keit der Haupt­prot­ago­nis­ten in Erin­ne­rung ruft, und Dol­by Atmos als Schre­cken jeden Herz­schritt­ma­cher rich­tig her­aus­for­dert. Ansons­ten ist die Pro­duk­ti­on viel stär­ker dar­auf bedacht, die einen Com­pu­ter bean­spru­chen­den Sze­nen auch wirk­lich makel- und naht­los ins Set­ting zu inte­grie­ren. Und hier haben die fünf Effekt­fir­men her­vor­ra­gen­de Leis­tung erbracht. Real- und Com­pu­ter­auf­nah­men sind in kei­nem Moment zu unter­schei­den.

Mockingjay01

MOCKINGJAY 1 legt sein Haupt­au­gen­merk auf die psy­cho­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen der vor­an­ge­gan­ge­nen Ereig­nis­se. Kat­niss fühlt sich nicht als Hel­den­fi­gur, im Gegen­teil, sie lei­det unter den Gescheh­nis­sen in der Are­na. Ihr Kind­heits­freund Gale lei­det unter dem Ver­lust ihrer Lie­be. Die exal­tier­te Effie Trin­ket mag sich auf der gerech­ten Sei­te befin­den, die sie aber nicht wirk­lich bevor­zugt. Coin und Hea­vens­bee ver­su­chen den einen, wah­ren Weg zur Revo­lu­ti­on zu fin­den. MOCKINGJAY 1 zeigt den begin­nen­den Umbruch, den Wan­del von einer bekann­ten Ord­nung, hin zu einer unge­wis­sen Zukunft. An die­ser Stel­le ist zumin­dest die Film­rei­he tat­säch­lich erwach­sen gewor­den. Was Kat­niss aus ihrer Spon­ta­ni­tät her­aus so hero­isch wir­ken ließ, setzt im Kal­kül ihre eigent­li­che Unsi­cher­heit frei. Was sich an die­ser Stel­le zuerst wie ein tief­grün­di­ges Dra­ma aus­nimmt, ist dann doch mit reich­lich zufrie­den­stel­len­den Span­nungs­mo­men­ten ange­rei­chert. Wie zum Bei­spiel die Sze­ne im Bun­ker beim Angriff des Kapi­tols, die sozu­sa­gen eine Action-Sze­ne umkehrt, und nicht das Gesche­hen zeigt, son­dern sei­ne Aus­wir­kun­gen. Auch der Show­down ist mehr als effi­zi­en­ter Thril­ler insze­niert, anstatt sich einem zu erwar­ten­den Kugel­ha­gel hin­zu­ge­ben.

Man könn­te sich viel­leicht über Jo Wil­lems an man­chen Stel­len frei­bre­chen­de Kame­ra­füh­rung strei­ten, die aus einer fes­ten Ein­stel­lun­gen her­aus unver­mit­telt in ver­wa­ckel­te Schul­ter­ka­me­ra über­geht, was aller­dings einer sub­jek­ti­ven Emp­fin­dung ent­springt. Im Gesam­ten macht die tech­ni­sche Umset­zung aus MOCKINGJAY 1 ein ein­neh­men­des Kino­er­leb­nis, wel­ches in Ein­klang mit Fran­cis Law­ren­ces Insze­nie­rung nur wenig Wün­sche offen lässt. Law­rence kann jede Sze­ne rich­tig ein­schät­zen, sie ent­spre­chend gewich­ten, und vor allen in einen stim­mi­gen Kon­text inner­halb der Hand­lung set­zen. Län­gen hat die­ser Film kei­ne, und die dra­ma­tur­gi­sche Dich­te ist genau rich­tig dosiert. Soll die Geschich­te als Gan­zes eine zutiefst fins­te­ren Grund­la­ge haben, muss der Film noch immer in ers­ter Linie unter­hal­ten, viel­leicht zu Dis­kus­sio­nen anre­gen, aber nicht ver­stö­ren oder erschre­cken.

Aber nach wie vor, lässt die­se von Suzan­ne Coll­ins ent­wor­fe­ne Welt Fra­gen offen, bezie­hungs­wei­se spricht sie gar nicht erst an. Wie funk­tio­niert die­se Dik­ta­tur eigent­lich wirk­lich, die sich offen­bar über eine Flä­che des heu­ti­gen Ame­ri­kas aus­brei­tet? Die all­ge­gen­wär­ti­gen, soge­nann­ten Frie­dens­wäch­ter allein könn­ten ein Land die­ser Grö­ße mit aus­schließ­lich unzu­frie­de­nen, unter­joch­ten Zivi­lis­ten doch nicht wirk­lich unter Kon­trol­le hal­ten. Hier blitzt noch immer eine gewis­se Nai­vi­tät des Jugend­ro­mans durch das Sze­na­rio, wo ein Ist-Zustand als gege­ben ange­se­hen wird, ohne die Not­wen­dig­keit zu erken­nen, etwas zu hin­ter­fra­gen. Doch wesent­lich schmerz­li­cher wird bereits seit dem ers­ten Lein­wand-Auf­tritt, eine intel­li­gen­te Aus­ein­an­der­set­zung im Zusam­men­hang mit den Spie­len in der Are­na ver­misst. Nach wie vor ist es eine Prä­mis­se, in der vor­aus­ge­setzt wird, dass sich Kin­der und Jugend­li­che gegen­sei­tig töten. Und dies als Art von Unter­hal­tung, die in ganz Panem eine gewis­se Akzep­tanz fin­det. Auch wenn Suzan­ne Coll­ins dies so unre­flek­tiert in ihren Büchern beschrie­ben haben soll­te, wäre eine kri­ti­sche, zumin­dest tie­fer­ge­hen­de, Aus­ein­an­der­set­zung mit die­ser The­ma­tik wün­schens­wert gewe­sen. Eigent­lich hät­te eine der­ar­ti­ge Refle­xi­on Grund­la­ge für die­se Film­rei­he sein müs­sen. Denn, wie wahr­schein­lich ist es, dass sich eine gan­ze Nati­on dem Ter­ror beugt, wenn es um die eige­nen Kin­der geht? Hier könn­te man mit Bei­spie­len aus der Ver­gan­gen­heit ent­ge­gen hal­ten. Nur, dass dann eine kri­ti­sche­re Hin­ter­fra­gung umso dring­li­cher gewe­sen wäre.

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MOCKINGJAY 1 ist, dem zum Trotz, gelun­ge­ne Kino­un­ter­hal­tung. Gelun­gen des­halb, weil alle Ele­men­te har­mo­nie­rend inein­an­der über­ge­hen. Tech­nik, Insze­nie­rung, Tem­po, Geschich­te, Dar­stel­ler. Vor allem Dar­stel­ler, wo natür­lich Phil­ip Sey­mour Hoff­man den stärks­ten Ein­druck hin­ter­lässt, was aus­drück­lich nicht ent­spre­chen­den, ver­klär­ten Umstän­den geschul­det ist. Hoff­man ent­zieht sich als Strip­pen zie­hen­der Plut­arch tat­säch­lich jedem cha­rak­ter­li­chen Kli­schee. Er ist genau­so blitz­ge­scheit wie sar­kas­tisch, immer ent­spannt, und doch am Puls des Gesche­hens. Und er gibt sei­ner Figur sehr viel Hin­ter­grün­di­ges, immer mit einem Hauch von mys­te­riö­ser Aus­strah­lung. Aber es ist nicht allein Hoff­man, der den Film sicher noch sehens­wer­ter macht, aber für sich nicht allein in Anspruch neh­men kann, dass MOCKINGJAY 1 auch über­zeu­gen­des Schau­spiel-Kino ist. Da steht natür­lich an ers­ter Stel­le Jen­ni­fer Law­rence, die jede Facet­te mensch­li­cher Emo­tio­nen durch­le­ben muss. Wenn­gleich auch hier Phil­ip Sey­mour Hoff­man mit wesent­lich weni­ger Lein­wand­prä­senz, weit mehr Ein­druck schin­det. Das Glei­che gilt für Eliza­beth Banks´ kur­ze Auf­trit­te als über­dreh­te Stil­be­ra­te­rin Effie, die ein­mal mehr beweist, dass weni­ger doch so viel mehr ver­mit­teln kann.

Aber letz­ten Endes führt alles wie­der zurück zu Jen­ni­fer Law­rence, die, und das muss man ein­fach so aner­ken­nen, mit ihrer Rol­le als Kat­niss Ever­deen eine Sei­te im Buch der Film­ge­schich­te beschrie­ben hat. Und wenn sie nicht gera­de Fil­me mit Brad­ley Coo­per dreht, wird sich die HUN­GER-GAMES-Qua­dro­lo­gie auf län­ge­re Sicht erst als Anfangs­pha­se einer inten­si­ven Kar­rie­re erwei­sen. Und die TRIBUTE VON PANEM für sich? Zumin­dest wer­den sie die letz­ten Bücher sein, bei denen man auf Grund der über­zeu­gen­den, künst­le­ri­schen Umset­zung, die Auf­split­tung des letz­ten Ban­des in zwei Tei­le mit Zufrie­den­heit hin­neh­men wird.

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DIE TRIBUTE VON PANEM: MOCKINGJAY Teil 1
Dar­stel­ler: Jen­ni­fer Law­rence, Josh Hut­cher­son, Liam Hems­worth, Woo­dy Har­rel­son, Eliza­beth Banks, Juli­an­ne Moo­re, Phil­ip Sey­mour Hoff­man, Jef­frey Wright, Donald Sut­her­land, Stan­ley Tuc­chi, Jena Mal­o­ne u.a.
Regie: Fran­cis Law­rence
Dreh­buch: Dan­ny Strong, Peter Graig, nach Suzan­ne Coll­ins’ Buch­tri­lo­gie
Kame­ra: Jo Wil­lems
Bild­schnitt: Alan Edward Bell, Mark Yoshi­ka­wa
Musik: James New­ton Howard
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Phil­ip Mes­si­na
125 Minu­ten
USA 2014

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