oder:
Gesundes Halbwissen
Nachdem es sich inzwischen auch bis zum letzten Nörgler herumgesprochen hat, dass das eBook ein Erfolgsmodell ist, suchen die Kritiker nach neuen Gründen, uns die elektronische Lektüre madig zu machen. In letzter Zeit sehe ich an einschlägigen Orten Texte, die monieren, dass die Typografie bei eBooks auf der Strecke bleibt. Oftmals erkennt man dabei nur auf den zweiten Blick, dass diese Kritik von Totholz-Verlegern stammt, oder Typografen, die sich mit Webtechniken und fluiden Layouts nicht auskennen und starrsinnig auf Print beharren.
Aktuell findet sich in einem Online-Ableger der Süddeutschen Zeitung namens jetzt.de (das soll wohl irgendwie ein modern gemeinter Zweitauftritt oder sowas sein, es geht da um die Themen »Macht«, »Sex«, »Job«, »Kultur«, »Technik«, »Leben« – in dieser Reihenfolge. WTF?) ein Artikel zum Thema Typografie in eBooks und im Großen und Ganzen wird … gemault. Daran wäre erst einmal nichts Schlimmes, das tue ich hier auch immer wieder mal, neudeutsch nennt man das einen Rant. In diesem Artikel der Süddeutschen stolpert man allerdings ständig über Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen oder schlicht falsch sind. Damit niemand dumm sterben muss, gehe ich auf ein paar davon ein und kommentiere sie.
Da liest man beispielsweise:
Doch ein E‑Book kann das Lesevergnügen rasch zunichte machen, schon wenn man die Schrift etwas vergrößert. Plötzlich finden sich Löcher im Text, Zeilen und Überschriften verrutschen, Umbruch und Silbentrennung lassen die Haare des Lesers zu Berge stehen.
Ja, kann alles passieren. Dieses Zitat zeigt allerdings schon das grundsätzliche Problem des Artikels. Da wird sehr lange nur vom »eBook« gesprochen und man differenziert nicht zwischen eBooks und eReadern, sondern macht allle Probleme nur am »eBook« und dessen »Produzenten« fest. Das ist natürlich Mumpitz, denn die angesprochenen typografischen Probleme haben zahllose Gründe, die zum Teil bei den eigentlichen Dateien (also den eBooks) und zum Teil bei den Lesegeräten zu suchen sind. Der Artikel erweckt jedoch den Eindruck, als sei ausschließlich »das eBook« schuld – und das ist falsch. Erst spät im Artikel geht man dann doch plötzlich davon wieder ab und erkennt, dass die Probleme auf drei Ebenen stattfinden. Dazu weiter unten mehr.
Beim Satz
Und wenn man Pech hat, lädt jede Seite des E‑Books beim Umblättern so lange, bis man den Reader entnervt zur Seite legt.
muss zumindest ich mich fragen, welche fossilen Geräte der Autor benutzt hat, denn die Verzögerungen beim Umblättern gehören längst zur Vergangenheit und angeblich kann sogar der Tolino Shine dank Firmwareupdates inzwischen halbwegs schnell blättern (habe ich mir sagen lassen). Der Großteil aktueller eReader blättert schneller als man eine Buchseite umlegen kann. Vielleicht sollte der Autor ein aktuelles Gerät erwerben, statt unreflektiert mal eben grundsätzlich eReader und die eBooks schlecht zu machen (oder die Aussagen Dritter einfach mal zu glauben).
Ja, es kann vorkommen, dass es Hurenkinder und Schusterjungen gibt, weil die Schriftgröße eben variabel ist. Das ist zum einen ein technisches Problem, das mittels aktualisierter Readerfirmwares gelöst werden kann. Vielleicht sollte der Autor zusätzlich mal mit Kurzsichtigen sprechen, ob die einen Schusterjungen wirklich für störend halten, wenn sie dafür das Buch ohne Augenanstrengung lesen können. It´s not a bug, it´s a feature.
Silbentrennung? Ja, gibt es manchmal, manchmal auch nicht. Der Grund hierfür ist einfach: bei vielen eReadern ist die CPU, also der Prozessor, schlicht nicht stark genug, um bei einem fließenden Layout (wir erinnern uns: die Schriftgröße ist dem eigenen Geschmack oder körperlichen Einschränkungen anpassbar) via Software eine korrekte Silbentrennung durchzuführen. Das ist der Grund, warum Lesesoftware auf Tablets oft dazu in der Lage ist, man bei eReadern jedoch darauf verzichten muss. Man kann davon ausgehen, dass ein paar der aktuellen dedizierten Lesegeräte das durch Firmwareupdates noch beigebracht bekommen.
Immer wieder wird Benjamin Göck aus einem Artikel auf buchreport.de zitiert:
Das ist natürlich völliger Unsinn. »Schöne Initialen« sind selbstverständlich möglich. Ebenso wie Ligaturen. Wer letzteres nicht glaubt, sollte mal einen Blick auf das Projekt von Ralf Gawlista werfen, der sogar Fraktur auf eReadern darstellen kann, inklusive korrekter Ligaturen. Wie oft das »Æ« in den von mir verlegten Steampunk-Anthologien ÆTHERGARN und GESCHICHTEN AUS DEM ÆTHER vorkommt, möchte ich lieber nicht zählen. Die Aussage, dass Ligaturen nicht möglich sind, ist schlicht mangelnde Kenntnis und falsch.Auch schöne Initialen und Ligaturen sind nicht möglich.
Aktuell gibt es zwei Standards, die im Gegensatz zur PDF-Version einen dynamischen Umbruch, also einen »lebenden« Text ermöglichen: Epub und Amazon KF8
Was dabei an dieser Stelle verschwiegen wird: ePub und auch Amazons Formate sind keine statischen Standards, sondern entwickeln sich fort. Bereits das gerade aktuelle ePub3 kann deutlich mehr als die Vorversion, auch wenn noch nicht alle eReader das unterstützen. Aber Technik und Software sind dynamische Prozesse und hochveränderlich.
Das Erscheinungsbild des Textes hängt letztlich von den Fähigkeiten des E‑Book-Endgeräts und dem Anwender ab, der die Voreinstellung des Verlags überschreiben kann.
Ach? Auf einmal ist es ein Zusammenspiel aus drei Faktoren und nicht mehr nur »die Produzenten der eBooks« verantwortlich? Ja was denn nun? Außerdem: Auch das, was »der Anwender« einstellt, ist letztendlich eine Funktion des Gerätes. Demnach ist der dritte Faktor gar keiner, der bedient sich nämlich nur der ohnehin vorhandenen Funktionen des Faktor zwei: des Geräts.
Wenn dann zitiert wird, wie sich Jan Middendorp erfreut darüber äußert, dass »Websites schon wie Bücher oder Zeitschriften aussehen«, dann rollen sich fast schon Generationen von Webdesignern und Webentwicklern die Zehennägel auf und wieder ab; es hat lange Jahre gedauert, die Kunden davon zu überzeugen, dass Web nicht die Fortführung von Print in anderer Form ist, und grundsätzlich andere Herangehensweisen erfordert, erst recht die heutige Vielfalt an Bildschirmgrößen von mobil bis Desktop. Eine Webseite ist kein Faltblatt im Netz und sie ist auch keine Zeitung. Warum sollte ein eBook ein Buch sklavisch zu 100% nachäffen wollen? Müsste man nicht vielmehr mal überprüfen und gewichten, welche uralten typografischen Vorgaben man einfach über Bord werfen sollte? Ich weiß, Drucker und Typographen schreien an dieser Stelle Zeter und Mordio, aber man muss einfach erkennen, dass sich selbst Schrift, Schriftbild und Schriftpräsentation weiter entwickeln, auch abhängig vom technischen Umfeld. Man muss auch mal alte Zöpfe abscheiden (können). Wie ich bereits ausführte: der Ergonomievorteil gleicht ein paar Hurenkinder locker aus.
Ein paar Absätze später wird der Artikel dann plötzlich zur Werbeveranstaltung für den Tolino Shine.
Die Tolino-Allianz habe den Vorteil, dass Verlag, Buchhändler und Hardware-Entwickler in einem Boot sind, sagt Michael Hofner. »Da ist es relativ leicht, Ingenieure und Designer an einen Tisch zu bekommen.«
Ja, nur was nutzt es dem Leser, wenn der feststellen muss, dass die Tolino-Firmware miserabel ist und erst nach und nach auf einen akzeptablen Stand gebracht wird? Warum wird zeilenlang auf eReader eingeprügelt, die das bereits können, was dem Tolino noch fehlt, der jetzt aber hochgelobt?
Dann geht der Autor doch noch auf ePub3 ein und ist der Ansicht, dass damit 2015 bessere Gestaltung möglich wäre. Und zitiert Michael Hofner mit
Fix gestaltete Seiten sind dann auch im digitalen Umfeld möglich
Ja warum denn, um Himmels Willen? Damit die Kurzsichtigen wieder nix mehr lesen können? Fixes Layout ist von gestern und vorbei, damit werden sich auch die Print-Typografie-Fetischisten abfinden müssen. Und dann hoffentlich aufhören, darauf zu beharren. Und: ePub3 ist ein aktueller Standard, keine Zukunftsmusik. Weckruf an Herrn Hofner: In 2015 wird es vielleicht schon ePub4 geben.
Man muss eins ganz klar sehen: die Vielfalt der potentiellen Lesegeräte macht es zwingend erforderlich, dass die Textdarstellung fluide ist und sich dem Bildschirm und der Schriftgröße anpasst (unter anderem). Das eBook mus auf einem winzigen Smartphone-Bildschirm eine ebenso gute Figur machen, wie auf einem Retina-iPad. Das erfordert im Moment noch Kompromisse und es erfordert eine Abkehr von uralten Print-Paradigmen, die nicht mehr in die Welt elektronischer Lesegeräte passen. Warum auch?
Ja, eins ist korrekt: es gibt nicht wenige Verlage, auch insbesondere »große«, die schludern ihre eBooks einfach so hin. Das ist nicht hinnehmbar, schon gar nicht angesichts der Wucherpreise, die dafür angesagt werden. Das ist aber auch ein Lernprozess. Das Medium eBook ist zwar streng genommen kein neues, es ist aber gerade erst in der Gesellschaft angekommen und beginnt seinen Siegeszug. Man muss kein Visionär sein, um zu sehen, dass all die angesprochenen Probleme – wenn sie denn überhaupt existieren – in kürzester Zeit beseitig sein werden (können. Könnten.). Auf jeden Fall deutlich schneller als sich nach Gutenberg die Typografie entwickelt hat.
Etliche Verlage haben sich lange mit Händen und Füßen gegen eBooks gewehrt oder tun es heute noch. In den Chefetagen sitzen Offliner, die sich von ihren Sekretärinnen Internetseiten ausdrucken lassen und die immer noch nicht glauben, dass dieses neumodische Zeug erfolgreich sein wird. Denen ist egal wie eBooks aussehen, weil die eh nur überflüssiger Scheiß sind. Kein Wunder also, dass dort keine finanziellen Mittel für eine ansprechende Gestaltung ausgegeben werden. Die Ansicht dürfte sein: wer die Mistdinger haben will, der kauft die auch, wenn sie mies aussehen (wer im vorstehenden Absatz Verallgemeinerungen und Übertreibungen findet, darf sie behalten).
Der Artikel hätte deutlich mehr Recherche und Sachkenntnis benötigt, um seinen Standpunkt glaubwürdig vertreten zu können. Es reicht eben nicht, ein paar Personen zu zitieren und das hintereinander weg zu schreiben, insbesondere, wenn diese Personen sich teilweise auch noch inhaltlich wiedersprechen. Und vielleicht sollte man mal beim Leser nachfragen, wieviel davon tatsächlich als wichtig oder notwendig empfunden wird. Ein ausreichend großer Durchschuss dürfte beispielsweise weit wichtiger sein, als ein Hurenkind.
Korrekt ist, dass in Sachen Gestaltung bei eBook noch viel Raum nach oben ist. Falsch sind im Artikel zwei grundlegende Punkte: das sklavische Klammern an Printgestaltung und die Annahme, dass heute alle eBooks schlecht aussehen. Wer mir das nicht glaubt, sollte mal einen Blick in eBooks beispielsweise von Feder & Schwert werfen. Ich lese gerade DIE ZERBROCHENE PUPPE von Judith und Christian Vogt. Darin gibt es schöne Schriftgestaltung, Initialen und grafische Kapiteltrenner. Schon heute ist ansprechende Gestaltung definitiv möglich. Auch das oben angesprochene Fraktur-eBook-Projekt zeigt, was geht.
Man darf sich aber nicht sklavisch an Totholzlayouts klammern. Die sind von gestern. Damit sind meiner Ansicht nach die teils verqueren Forderungen der Typografie-Fetischisten ebenfalls ein grundlegender Teil des Problems.
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Bild Typografie von zigazou76 auf flickr, CC BY, Screenshot Fraktur-eBook Copyright Ralf Gawlista, Screenshot aus DIE ZERBROCHENE PUPPE Feder & Schwert
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Danke für den Artikel! Erspart mir den Schaum vorm Mund ;-)
Ich hatte jetzt ein paar durchgestaltete Ratgeber als Leseprobe ausprobiert (mit viel Bildern und festem Layout). Es war so ein Krampf mit andauernd Doppelklicken auf einzelne Elemente wie Kästen oder Bilder, dass ich die Bücher nicht gekauft habe. Evtl. fürs große iPad optimiert – auf dem Kindle Paperwhite wars eher unsexy.
Langsames Umblättern: Das kann auch am Gestaltungsgrad liegen. Mein Kindle ist normalerweise superfix, auch bei E‑Books mit Bildern. Aber bei diesen Ratgebern mit Bild- und Layoutelementen hat er ganz schön gerödelt, bis die neue Seite kam. Noch ein Grund, die nicht zu kaufen.
Die sind aber auch für eInk-basierte Reader schlicht nicht geeignet. Wer sowas lesen will, sollte auf die Printfassung zurückgreifen, oder sie auf einem Tablet lesen; deren Prozessoren sind nicht so schwach auf der Brust wie die von eReadern. Meistens.
Zunächst einmal besten Dank für die lobende Erwähnung :-)
Die offiziellen Standards z.B. für EPUB erlauben durchaus sehr schön gestaltete E‑Books, und die Möglichkeit, dass diese für (fast) beliebige Schrift- und Display-Größen immer sauber umbrechen können, ist doch gerade einer der riesengroßen Vorteile von E‑Books.
Ich sehe das Grundproblem (ebenfalls, wie hier schon völlig richtig erwähnt) eher darin, dass die Lesegeräte diese offiziellen Standards nur sehr unzureichend umsetzen. Zum Beispiel habe ich irgendwann die »weichen Trennzeichen«, die eine saubere Silbentrennung geräteunabhängig garantiert hätten, aus »meinen« EPUBs wieder herausgenommen, weil einige Lesegeräte diese völlig falsch darstellen.
Außerdem erinnert mich die heutige Situation ein wenig an die Anfangszeit der CDs in den 1980er Jahren (ja ja, ich weiß, jetzt erzählt Opa wieder vom Kriege ;-) Auch diese waren zunächst völlig lieblos gestaltet, einfach das LP-Cover verkleinert und die Titelliste simpel schwarz auf weiß auf der Rückseite. Es ist wohl auch so, dass die wenigsten Verlage Fachleute für XHTML, CSS, EPUB, etc im Hause haben, daher E‑Books extern im Auftrag erstellen lassen und hier arg auf den Preis achten, weil bei den Verkaufszahlen auch heute immer noch hauptsächlich totes Holz vorherrscht.
Die Lage bei den Lesegeräten ist offenbar äußerst inhomogen, wie ein eReader-Test in der aktuellen c’t zeigt. Kindle, Sony und Tolino sind wohl ganz gut, die Geräte von Pocketbook ignorieren diverse Gestaltungsvorgaben einfach.
Was die Erstellung der eBooks durch externe Dienstleister angeht, bei der möglichst gespart werden soll: dem stimme ich zu.