Bandit bespricht: THE SUBSTANCE

Poster The Substance

THE SUBSTANCE – Release 19.09.2024 (world)

Jugend­wahn und Schön­heits­idea­le. Drei­mal wischen, zwei­mal tip­pen, ein­mal absen­den, und schon wird man in der Welt dort drau­ßen gese­hen, wie man selbst ger­ne wahr­ge­nom­men wer­den möch­te. Die lei­der nur spär­lich umtrie­bi­ge Fil­me­ma­che­rin Cora­lie Far­geat bekommt mit dem ver­stärk­ten Zeit­geist von Social Media das The­ma ihres erst zwei­ten Spiel­films förm­lich auf dem Sil­ber­ta­blett ser­viert. Sehr leicht hät­te Far­geat einen rele­van­ten Kom­men­tar zur sozio­lo­gi­schen Aus­rich­tung unse­rer Gesell­schaft machen kön­nen. Aber sie ist so schlau gewe­sen, weder mora­li­sie­ren zu wol­len, noch einem Trend hin­ter­her­zu­he­cheln. Auch wenn es genau um die­sen Blick einer Gesell­schaft auf absur­de Idea­le geht. Die­ser Film ist aber kei­ne Abrech­nung die einen Spie­gel vor­hal­ten will, son­dern das Por­trait einer gebro­che­nen Per­sön­lich­keit. Die­se Per­sön­lich­keit ist die viel­fach prä­mier­te Dar­stel­le­rin Eli­sa­beth Spark­le, die als Schau­spie­le­rin über Vier­zig ohne­hin kei­ne Rol­len mehr bekommt, und jetzt mit Fünf­zig sogar aus einer bil­li­gen Aero­bic-Show gefeu­ert wird. Optisch ange­sie­delt in den 1980ern, ist der Film ein noch immer aktu­el­ler Blick auf  sexis­ti­sche Frau­en­bil­der und domi­nan­te Män­ner­wel­ten.

Und nur wer will kann dann auch für sich eine Abrech­nung mit einer gesell­schaft­li­chen Zwangs­stö­rung ent­de­cken. Es muss aber nicht sein und das macht THE SUBSTANCE so groß­ar­tig. In ers­ter Linie geht es um Eli­sa­beth, die sehr frus­triert und extrem wütend, mit einer bis­her unbe­kann­ten Sub­stanz ein neue Chan­ce bekommt. Aus ihrem Kör­per erwächst ihr ein zwei­tes, viel jün­ge­res und sogar ver­bes­ser­tes Selbst. Die strik­te Regel: Das Bewusst­sein muss exakt alle sie­ben Tage, auf die Stun­de genau, zwi­schen dem älte­ren und jün­ge­ren Kör­per wech­seln. Die jun­ge Ver­si­on nennt sich Sue, spricht bei ihrem ehe­ma­li­gen, nichts­ah­nen­den Pro­du­zen­ten vor, der bestimmt nicht zufäl­lig »Har­vey« heißt, und wird mit ihrer eige­nen Fol­ge­sen­dung zum Star. Es sind Män­ner wie Har­vey, die Frau­en wie Eli­sa­beth in ein von der Gesell­schaft tole­rier­tes Elend drän­gen.

Es hat schon fast etwas Kam­mer­spiel-arti­ges, in welch beschränk­tem Umfeld sich die Figu­ren bewe­gen. Obwohl Ben­ja­min Kra­cun mit exzes­si­ven Weit­win­kel­auf­nah­men die Räum­lich­kei­ten unge­heu­er weit macht. Das lässt die Dar­stel­ler immer wie­der auf wenig Raum ziem­lich ver­lo­ren und ein­sam aus­se­hen. Und ein­sam ist jeder der Cha­rak­te­re – und auch wirk­lich ver­lo­ren. Eli­sa­beth kämpft mit dem Ver­lust ihres Selbst­wert­ge­fühls und der schwin­den­den Akzep­tanz beim Publi­kum. Sue ver­ab­scheut das Geheim­nis ihrer jugend­lich wir­ken­den Fri­sche und will auch ihr Bewusst­sein nicht tei­len müs­sen.

Es ist unglaub­lich, was Cora­lie Far­geat ihren Dar­stel­le­rin­nen im Ver­lauf die­ser Tour de Force zumu­tet. Umso bewun­derns­wer­ter ist, was Demi Moo­re und Mar­ga­ret Qual­ley bereit waren, für Eli­sa­beth und Sue kör­per­lich und geis­tig zu geben. Auch wenn sie sich äußer­lich nicht so ähn­lich sehen, brin­gen sie glei­che Ener­gie und Lei­den­schaft für ihre Figu­ren, die im Bewusst­sein eins sind. Die­se Ener­gie und Lei­den­schaft ist nie leicht zu ertra­gen. Qual­ley und Moo­re las­sen fast schon schmerz­haft spü­ren, wie sie von ihren Ambi­tio­nen und Ver­lust­ängs­ten getrie­ben sind. Dabei prescht Far­geat außer­ge­wöhn­lich radi­kal vor. SUBSTANCE ist kein Dra­ma, das ver­sucht, mit geschlif­fe­nen Dia­lo­gen oder sub­ti­len Ansät­zen einen intel­li­gen­ten Anstrich zu bekom­men.

 

Im Resul­tat ist es eben­so unglaub­lich, was Cora­lie Far­geat ihrem Publi­kum im Ver­lauf die­ser Tour de Force zumu­tet. David Cro­nen­berg muss die­sen Film lie­ben, der schließ­lich das Sub-Gen­re Body­hor­ror defi­niert hat. Cora­lie Far­geat geht in der Bezie­hung viel­leicht sogar etwas wei­ter, und insze­niert ihren Film in kom­pro­miss­lo­ser Extre­me. Die Geburt von Sue aus Eli­sa­beths Rücken, offe­ne Fleisch­wun­den, kör­per­li­che Ver­fall, Blut, Kno­chen, Eiter, Mord und Tot­schlag. Der Film zeigt, was sonst der Phan­ta­sie über­las­sen bleibt. Das ist immer scho­ckie­rend, oft­mals ekel­er­re­gend, manch­mal uner­träg­lich.

Aber alles was der Film kre­denzt bleibt stets im Kon­text. Und alles ergibt auch Sinn. Will­kür könn­te man Far­geat vor­wer­fen, aber es wäre dann auch nicht ihr Film, die­ser Film, die­se Erfah­rung. Es kann absto­ßend sein, und bleibt doch unab­läs­sig fas­zi­nie­rend zu beob­ach­ten. THE SUBSTANCE ist das, was man am bes­ten als einen wil­den Ritt beschreibt. Ein Film der sei­ne Ener­gie nicht durch die meist ver­stö­ren­den Weit­win­kel-Optik gewinnt, auch nicht durch sei­ne sorg­sa­me, sehr stim­mi­ge Schnitt­fol­gen. Es ist Raf­fer­ties pro­vo­zie­ren­der Elek­tro-Sound­track mit sei­nen peit­schen­den Rhyth­men und dis­so­nan­ten Ton­fol­gen. Und das scho­nungs­los inten­si­ve Spiel von Mar­ga­ret Qual­ley und Demi Moo­re ist das trei­ben­de Instru­ment. Fas­zi­nie­ren­de Figu­ren, die mit ihrem fana­ti­schen Cha­rak­ter viel Mensch­lich­keit in den Wahn­sinn von Schön­heits­idea­len und Jugend­wahn brin­gen. Was für eine Reak­ti­on auch immer Cora­lie Far­geat in bestimm­ten Sze­nen aus­löst, ist genau die Reak­ti­on, wel­che sie beab­sich­tigt hat.

Da lie­gen unfrei­wil­li­ge Komik und befrei­en­des Lachen genau­so bei­ein­an­der, wie absto­ßen­der Ekel und mit­füh­len­de Trau­rig­keit. Es sind die­se exzes­siv nach außen gekehr­ten Mit­tel, die ganz tief nach innen füh­ren. Ein wil­der Ritt eben.

THE SUBSTANCE
Dar­stel­ler: Demi Moo­re, Mar­ga­ret Qual­ley, Den­nis Quaid u.a.
Regie & Dreh­buch: Cora­lie Far­geat
Kame­ra: Ben­ja­min Kra­cun
Bild­schnitt: Cora­lie Far­geat, Jero­me Elta­bet, Valen­tin Féron
Musik: Raf­fer­tie
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Sta­nis­las Rey­del­let
Groß­bri­tan­ni­en /​ 2024
140 Minu­ten

Bild­rech­te: MUBI

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