THE MIDNIGHT SKY – Netflix 23.12.2020
Mit verklärtem Blick starrt Augustine in den Nachhimmel und erklärt der neben ihm stehenden kleinen Iris, dass sie da den Polarstern sehen. Er führt mit ehrfurchtsvoller Stimme aus, dass der Polarstern der wichtigste Stern wäre. Er ist auf der nördlichen Erdhalbkugel immer sichtbar, ein verlässlicher Freund, an dem man sich orientieren kann. Aber spielt er eine Rolle im Weltraum? Kann man ihn da sehen? Würde er auch dort immer den richtigen Weg zeigen? Nein, losgelöst von dieser Welt sind wir auf uns alleine gestellt. Es ist in diesem Film die eindringlichste von den Fragen die von der Wissenschaft in die Philosophie führen. Augustine Lofthouse hat geglaubt, der letzte Mensch auf der arktischen Forschungsstation zu sein. Bis er die achtjährige Iris in den verwaisten Räumlichkeiten findet.
Freunde von George Clooney werden erwarten, dass hinter diesem Film mehr verborgen ist, als nur ein spannungsorientiertes Katastrophenszenario. Nicht die Freunde des unbeschwerten Charmeurs und Schauspielers George, sondern die Kenner des Produzenten und Regisseurs Clooney. Wobei er sich zwischen diesen beiden Positionen als Produzent wesentlich experimentierfreudiger und expressiver zeigt. ARGO, SYRIANA und MICHAEL CLAYTON haben sich weit über den Tellerrand des Arthouse hinweg etabliert.
Von MIDNIGHT SKY würde man aber eher den Vergleich zu SOLARIS herstellen. Das Science Fiction-Element ist lediglich Träger der Geschichte, welche sich erwartungsgemäß als humanistische Parabel zeigt. Allerdings inszeniert Clooney MIDNIGHT nicht so schlüssig und direkt wie Soderbergh seinerzeit SOLARIS. Die Ambitionen, anstelle eines reinen psychologischen Dramas, eine raffinierte Mischung mit Action-Elementen und mysteriösen Handlungspunkten zu gestalten, geht dabei nur bedingt auf.
Wohin alle Menschen evakuiert worden sind, und welche Katastrophe überhaupt dafür verantwortlich ist, bleibt die Geschichte schuldig. Aber selbst über Augustines Gesundheitszustand kann man nur rätseln. Er braucht Dialyse, bei der Evakuierung spricht ein Kollege von seinen letzten Tagen, er trinkt unablässig. Wie alles zusammenhängt, darüber kann man nur spekulieren. Doch es werden nicht die letzten unerklärten Rätsel bleiben, die der Zuschauer für sich lösen muss.
Wenn die Geschichte erzählt ist, sich alles gefügt hat, mysteriöse Hinweise einen Sinn ergeben, bleibt immer noch genügend Freiraum für eigene Gedanken und Interpretationen. Zwischenzeitlich befindet sich das Forschungsschiff Æther auf dem Rückflug von einem der Jupitermonde, auf dem Leben für Menschen möglich wäre. Die fünfköpfige Besatzung war bisher ohne Kontakt zur Erde, und ist sich der Katastrophe auf der Erde nicht bewusst.
Die organische Struktur im Inneren der Æther ist eine optische Besonderheit im Produktionsdesign unter Jim Bissell. Im Gegensatz zur pragmatischen Kühle der Räumlichkeiten von Forschungs- und Wetterstation. Selbst der sichere Unterschlupf für Augustine und Iris in einem verlassenen Wohnmobil, ist leer und schmucklos. Es dauert nicht lange, bis man versteht, dass die Æther am Ende mehr sein wird, als nur eine funktionelle Wirkungsstätte.
Genauso schnell wie der Zuschauer feststellen wird, dass Iris nicht diejenige ist, die beschützt und gerettet werden muss. Iris wird die menschliche Form des Polarsterns für Augustine. Auf dem mörderischen Weg durch die Arktis, um die letzten verbliebenen Menschen auf dem Raumschiff zu retten, treibt sie den gebrechlichen, gesundheitlich geschlagenen Mann an. In seinem bisherigen Leben hatte sich Augustine verlaufen, eine falsche Richtung eingeschlagen. Das kleine Mädchen weist ihm nun den vermeintlich richtigen Weg.
Doch so originell und tiefgründig sich die Erzählung auch geben mag. Clooney ist zu sehr auf bestimmte Figuren und seine Allegorien fokussiert, als das er tieferes Interesse an der Geschichte im Gesamten wecken könnte. Viel zu sehr vernachlässigt er Hintergründe zu den Figuren und dem Szenario selbst. Die befreiende Auflösung am Ende kommt dann fast zu spät und überstürzt. Schlimmer noch, dass erfahrene Kinogänger den Verlauf bereits im ersten Drittel erahnen dürften.
Die einzelnen Handlungspunkte fügen sich nicht Stück für Stück, sondern plötzlich. Der Zuschauer war doch nur Beobachter, er war nicht Teil der Geschichte. Mit den letzten Bildern ist Augustine zum Polarstern geworden. Und man konnte ihn vom Weltraum aus sehen, bildlich gesprochen. Die Überreste der Zivilisation konnte sich an ihm orientieren. Es ist eine schöne Metapher, poetisch und berührend.
Mit beeindruckenden Einstellungen und Szenenauflösungen der unwirklichen Arktis, zaubert Martin Ruhe mit seiner Kamera eine trügerische Faszination für die mörderische Landschaft. Dazu inszenierte George Clooney keine aufwendigen, aber einige sehr intensive und auf den Punkt gestaltete Action-Momente. Der Unterhaltungswert von MIDNIGHT SKY ist zweifellos sehr hoch und in weiten Teilen anspruchsvoll.
Das ist natürlich in erster Linie einem herausragenden Ensemble an exzellenten Darstellern zu verdanken. Keiner von ihnen lässt den Eindruck zu, spielen zu müssen. Die Natürlichkeit im Miteinander und den Dialogen hat einen ganz eigenen Reiz und schafft eine beeindruckende Atmosphäre. Soviel Gespür und Feinschliff hätte auch der Erzählstruktur sehr gut getan. Denn all die künstlerischen Ambitionen sind gut gemeinte Konzepte, aber intellektuell setzt sich THE MIDNIGHT SKY nicht in den Köpfen der Zuschauer fest.
THE MIDNIGHT SKY
Darsteller: George Clooney, Caoilinn Springall, David Oyelowo, Felicity Jones, Kyle Chandler, Demián Bichir, Tiffany Boone, Sophie Rundle u.a.
Regie: George Clooney
Drehbuch: Mark L. Smith
nach dem Roman von Lily Brooks-Dalton
Kamera: Martin Ruhe
Bildschnitt: Stephen Mirrione
Musik: Alexandre Desplat
Produktionsdesign: Jim Bissell
122 Minuten
USA 2020
Bildrechte: NETFLIX
Ich kann es nicht so gut formulieren wie Bandit. Mein Fazit lautet: Bildgewaltig, stellenweise wirklich schön und gerade nicht so langweilig, dass ich bis zum Ende geguckt habe. Und dann ein Gefühl der Leere verspürte.
Ich fands … bemerkenswert. Der Fokus lag ja ganz deutlich mehr auf den Charakteren als auf Handlung und Science Fiction. Man muss das alles eben mehr als Allegorie sehen. Ich fands grandios gespielt.
Die alten Säcke im verknöcherten Deutsch-SF-Fandom zerreißen sich übrigens das Maul darüber, dass es da ja gar keinen bewohnbaren Planeten gibt (einself). Oder dass man mit zwei Personen gar keine stabile Population hinbekommt (war da nicht was mit einer Arche, die unterwegs ist?).
Ich denke, dass wir das Genre endlich wie in den USA von »Science Fiction« in »Speculative Fiction« umbenennen sollten, damit die ewig gestrigen »da stimmt die Wissenschaft ja gar nicht!!!1!1!«-Rufer endlich still sind. Wenn man die noch vorhandenen Hirnzellen mal mit ein wenig Fantasie einsetzt kann man ja beispielsweise annehmen, dass das in einer parallelen Realität stattfand, in der es diesen bewohnbaren Mond gibt. Aber das scheint für die üblichen Fandom-Schlauberger zu kreativ zu sein.
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Mit der Population hatte ich direkt im Anschluss zuerst auch meine Probleme. Aber da der gesamte Filme an sämtlichen Handlungspunkten als Metapher zu verstehen war, sehe ich auch das mit dem Baby als (wie oben beschrieben) als Allegorie.
In diesem Sinne sollten die Zauderer sich auch einmal überlegen, warum es ein Jupitermond sein musste. Denn die Drei Weisen sind ja auch dem Stern von Bethlehem gefolgt. Soll sich jeder selbst ausmalen, wer diese Weisen dann sein könnten.
Und wenn die ‘Wissenschaft’ nicht stimmt, hängt man eben ‘Fiktion’ an. Wegen solcher Dumpfbacken soll man ein Genre umbenennen? Warum? Dieser Typus soll mir bitte einmal erzählen wie man Science Fiction als Genre definiert. Nicht wie er/sie denkt es persönlich für sich zu beschreiben, sondern als allgemein gültige Erklärung. Bleibt dann argumentativ etwas?
Mit 180 Puls verbleibe ich mit besten Grüßen.