Bandit bespricht: Pixars SOUL

SOUL – Dis­ney+ 25.12.2020

Er ist Musik­leh­rer mit weni­ger begab­ten Schü­lern. Dies macht ihm umso mehr zu schaf­fen, weil Joe Gard­ner eigent­lich davon träumt, sei­nen Lebens­weg als respek­tier­ter Jazz-Pia­nist zu gehen. Eine zufäl­li­ge Ses­si­on mit der umju­bel­ten Doro­thea Wil­liams bringt Joe die­sen Traum sehr nahe. Sein Kom­men­tar zu die­sem glück­li­chen Ereig­nis: »Wenn ich heu­te ster­ben soll­te, ster­be ich als der glück­lichs­te Mensch der Welt.«
Eigent­lich soll­te es genau in die­sem Moment für Joe Gard­ner gewe­sen sein. Doch auf dem För­der­band zum »Gro­ßen Jen­seits«, will Joe von sei­nen eige­nen Wor­ten nichts mehr wis­sen. Der Tod ist noch lan­ge kei­ne Opti­on, auch wenn alle Gesetz­mä­ßig­kei­ten gegen ihn spre­chen. Und damit stel­len sich Regis­seur Pete Doc­ter und sei­ne Co-Autoren Kemp Powers und Mike Jones einer Auf­ga­be, wie sie für einen Fami­li­en­film nicht heik­ler sein könnte.

Auch wenn der Tod selbst für Dis­ney immer wie­der ein the­ma­ti­scher Hand­lungs­punkt ist, war er es aller­dings bis jetzt noch nicht in die­ser Kon­se­quenz. Es ist aber auch klar, dass es dafür den krea­ti­ven Frei­raum der Vir­tuo­sen von Pixar braucht. Doc­ter war der Kopf hin­ter TOY STORY, was weit mehr war als eine tol­le Geschich­te über leben­di­ge Spiel­sa­chen. Oder die­se legen­dä­ren ers­ten zwan­zig Minu­ten in OBEN, wel­che die berüh­ren­de Rea­li­tät des Lebens ohne Dia­log beschrieb, ver­ständ­lich, real, aber nicht verschreckend.

Um SOUL in sei­ner The­ma­tik und Tie­fe gerecht zu wer­den, kommt man nicht umhin, Ver­glei­che auf­zu­füh­ren und Par­al­le­len zu vor­an­ge­gan­ge­nen Fil­me von Doc­ter und Pixar zu zie­hen. Und da liegt nach TOY STORY und OBEN letzt­end­lich ALLES STEHT KOPF am nächs­ten. Der hat das ful­mi­nan­te Kunst­stück voll­brach­te, ganz plau­si­bel aus dem Wesen ver­schie­de­ner Emo­tio­nen jeweils einen für sich ste­hen­den Cha­rak­ter zu for­men. Wenn im Bezug zur Erklä­rung von Emo­tio­nen, der Tod so etwas wie eine natür­li­che Stei­ge­rung für eine fil­mi­sche Auf­ar­bei­tung sein soll­te, dann wür­de dies nur mit einem künst­le­ri­schen Allein­stel­lungs­merk­mal funktionieren.

Von allen See­len, die zufrie­den in Rich­tung des »Gro­ßen Jen­seits« stre­ben, ist Joe Gard­ner der ein­zi­ge, der sich nicht ein­ver­stan­den zeigt, ins Licht zu gehen. Nach einem kur­zen Tumult lan­det er aus Ver­se­hen im »Gro­ßen Davor«, und bringt reich­lich Unru­he in das Gefü­ge der außer­welt­li­chen Ebe­nen. Allein die opti­sche Dif­fe­renz zwi­schen den abge­bil­de­ten Wel­ten ist eine Her­aus­for­de­rung an unse­re Akzep­tanz als Zuschau­er. Joes irdi­sche Welt protzt förm­lich mit kräf­ti­gen, anspre­chen­den Braun­tö­nen, und ver­blüf­fen­den Rea­lis­mus in der Gestal­tung der Settings.

 

Dafür blen­det fast das »Gro­ße Davor« mit sei­nen ver­wa­sche­nen, und unscharf wir­ken­den Pas­tell­far­ben. Hier wer­den die See­len mit her­kömm­li­chen Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten ver­se­hen, und müs­sen am Ende ihren ganz spe­zi­el­len »Fun­ken« fin­den, der sie dann erst als Indi­vi­du­um aus­macht. Die See­len sind unde­fi­nier­ba­re Pilz­ge­stal­ten, die nicht zu unter­schei­den sind. Die Koor­di­na­to­ren und Auf­pas­ser hören alle­samt auf den Namen Jer­ry und sind ledig­lich zwei­di­men­sio­na­le Mischun­gen von Poly­go­nen und Bogenfiguren.

The­ma­tisch ist also der Tod nur ein vor­ge­scho­be­ner Begriff. Es ist jenes Allein­stel­lungs­merk­mal, wel­ches einen Pixar-Film im Niveau immer wie­der leicht über ande­re Fami­li­en­fil­me hebt. SOUL geht eigent­lich viel wei­ter, weil er die schon sehr oft behan­del­te theo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Jen­seits umgeht. Statt­des­sen geht er ganz zum Anfang. Wie wer­den wir zu der Per­son, die uns letzt­end­lich auch aus­macht? Es fällt schwer im fami­li­en­ori­en­tier­ten Main­stream einen wei­te­ren der­art kom­ple­xen und anspruchs­vol­len Film zu fin­den, der natür­lich eben­so ent­spannt, unge­zwun­gen und amü­sant sei­ne The­men behandelt.

Mit einer ein­fa­chen Geschich­te gibt sich SOUL wirk­lich nicht zufrie­den. Geschickt und unauf­dring­lich ist die Geschich­te in ein schwar­zes Umfeld ein­ge­bet­tet, dass wirk­lich erst an Klei­nig­kei­ten auf­fäl­lig wird. Dies nimmt man im ers­ten Moment nur unter­be­wusst wahr, und wird dann aber auch voll­kom­men ega­li­siert, weil die Geschich­te stimmt, die Atmo­sphä­re ein­nimmt, das Unter­hal­tungs­po­ten­ti­al von der ers­ten Sze­ne an trägt.

 

Der Film macht mit sei­nem Selbst­ver­ständ­nis klar, dass die eth­ni­sche Her­kunft in Fil­men in der Regel viel zu auf­dring­lich behan­delt wird. Im Main­stream sind schwar­ze Cha­rak­te­re meist Zuge­ständ­nis­se an eine demo­gra­fi­schen Min­der­heit. Meist wer­den Fil­me von Afro-Ame­ri­ka­nern mit schwar­zen Haupt­dar­stel­lern auch für eine haupt­säch­lich schwar­zes Publi­kum pro­du­ziert, was nach wie vor eine unver­ständ­li­che Not­wen­dig­keit hat.

Bei einem demo­gra­fisch abso­lut los­ge­lös­ten Ani­ma­ti­ons­film ega­li­siert sich das, weil ein markt­füh­ren­des Unter­neh­men wie Pixar sich es durch sei­ne Repu­ta­ti­on erlau­ben kann, nicht ein­fach nur mit Kon­ven­tio­nen zu bre­chen, son­dern sich auch die bes­ten krea­ti­ven Köp­fe dafür zu leis­ten. Die­ser Frei­raum schafft Bin­dung, und die­se Bin­dung offen­bart sich in einer gewis­sen Risi­ko­be­reit­schaft, die sich durch Wer­ke wie SOUL auszahlt.

Die­ser Film hat einen schwar­zen Haupt­dar­stel­ler in einem von Schwar­zen gepräg­ten Umfeld. Dass der Film nicht damit hau­sie­ren geht, und wie voll­kom­men selbst­ver­ständ­lich er das trans­por­tiert, bemerkt man dar­an, dass man es nicht vor­der­grün­dig wahr­nimmt und eben­so selbst­ver­ständ­lich annimmt. Doch genau­so sub­til und durch­dacht geht er auch mit sei­nem Grund­the­ma um.

 

So weit es über­haupt mög­lich ist, ver­mei­det SOUL in sei­nen Gedan­ken und Aus­füh­run­gen jede theo­lo­gi­sche Zuord­nung an irgend­wel­che Reli­gio­nen. Allen­falls ist es eine bun­te Mischung von vie­len abs­trak­ten Vor­stel­lun­gen von Exis­ten­zen vor dem Leben und nach dem Tod. Das ist unglaub­lich unter­halt­sam und ori­gi­nell, und soll es auch sein. Denn ent­schei­dend sind in ers­ter Linie die Fra­gen, wel­che der Film weit über das »Gro­ße Davor« und den Ursprung an sich hin­aus bereit hält.

Und das ist zum Bei­spiel auch die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Hier und Jetzt, die man im Leben ger­ne ein­mal über­geht. Wie sagt ein Cha­rak­ter ein­mal zutref­fend, und nur vor­der­grün­dig lus­tig: »Hier kann kei­ne See­le Scha­den neh­men, dafür ist die Erde da.« Doch zwi­schen all dem Auf­ge­führ­ten ist noch viel mehr an Geschich­te, intel­li­gen­ten Dia­lo­gen und anspruchs­vol­lem Humor, dass es an die­ser Stel­le den Rah­men spren­gen wür­de. Oder immens spoi­lern könn­te. Oder es unin­ter­es­sant wird.

Inter­es­sant ist, wie SOUL es schafft, sei­ne inhalt­li­chen Ansprü­che in Dra­ma­tur­gie und Humor auf Erwach­se­ne wie Kin­der glei­cher­ma­ßen zu über­tra­gen. Die­sel­ben Fra­gen und spe­ku­la­ti­ven Visio­nen wer­den nicht, wie sonst üblich, in alters­ori­en­tier­ter Wech­sel­wir­kung für die unter­schied­li­chen Zuschau­er­grup­pen auf­ge­teilt. Exakt so ver­hält es sich auch mit dem unab­läs­si­gen Humor­le­vel, der dabei ein brei­tes Spek­trum von hin­ter­sin­nig bis Slap­stick abdeckt. Es könn­te in man­chen Tei­len die Jün­ge­ren leicht über­for­dern, aber die Erwach­se­nen zu kei­nem Zeit­punkt unterfordern.

 

Für Film­freaks und Pixar-Nerds ist auch hier der omi­nö­se Raum A113 zu ent­de­cken und der Piz­za Pla­net-Lie­fer­dienst zu fin­den. Über die Ani­ma­tio­nen selbst muss man kei­ne Wor­te mehr ver­lie­ren. Muss man nicht, aber es ist wie­der ein­mal erstaun­lich wie per­fekt und rea­lis­tisch Bewe­gun­gen und die sze­ni­sche Auf­lö­sung gelun­gen ist. Beson­ders in den Musik­sze­nen dürf­ten sich Musi­ker unter den Zuschau­ern begeis­tert zeigen.

Dass im Abspann 28 Pro­duk­ti­ons­ba­bys auf­ge­führt wer­den, erweckt den Anschein, als hät­ten die Crew­mit­glie­der wäh­rend der Pro­duk­ti­on zu viel Pau­sen gehabt. Danach sieht Soul aber ganz und gar nicht aus, eher das Gegen­teil. Das die Ani­ma­tio­nen wegen der Kri­se zum größ­ten Teil im Home Office ent­stan­den, könn­te dem aller­dings wider­spre­chen. Es tut der anspruchs­vol­len Genia­li­tät von SOUL kei­nen Abbruch, aber es macht Spaß sol­chen Gedan­ken­spie­le frei­en Lauf zu lassen.

SOUL
Stimmen:
Jamie Foxx / Charles Ret­ting­haus: Joe Gardner
Tina Fey / Anna Carl­son: 22
Dave­ed Diggs / Kaze Uzumaki: Paul
Phy­li­cia Ras­had / Mari­an­ne Groß: Libba
Quest­love / Tobi­as Schmidt: Curley
Ange­la Bas­sett / Ari­an­ne Bor­bach: Doro­thea Williams
Gra­ham Nor­ton / Frank Schaff: Moonwind
Rachel House / Dani­el Zill­mann: Terry
und als Jerry:
Richard Ayoa­de, Ali­ce Bra­ga, Wes Studi /
Almut Zydra, Mag­da­le­na Tur­ba, Jaron Loewenberg

Regie: Pete Doc­ter, Kemp Powers
Dreh­buch: Pete Doc­ter, Kemp Powers, Mike Jones
Kame­ra: Matt Aspbu­ry, Ian Megibben
Bild­schnitt: Kevin Nolting
Film­mu­sik: Trent Rez­nor, Atti­cus Ross
Jazz Kom­po­si­tio­nen: Jon Batiste
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Ste­ve Pilcher
USA / 2020
100 Minuten

Bild­rech­te: WALT DISNEY STUDIOS / DISNEY/PIXAR

AutorIn: Bandit

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