MADAME WEB – Release 14.02.2024 (world)
Visuelle Effekte unter dem Niveau eines Low-Budget-Films, ein Drehbuch ohne inspirierte Eigenständigkeit, erstklassige Darsteller die einfach nicht wissen was sie tun sollen. Doch am schlimmsten ist der exzessive Versuch, jene Verbindungen ignorieren zu wollen, die einfach nicht ignoriert werden können. Nicht für den Nerd, und nicht für das noch immer geneigte Marvel-Publikum. Wird immer wieder von einer gerechtfertigten, manchmal auch überzogenen, Müdigkeit gegenüber dem Superhelden-Genre lamentiert – wie unter anderem auch von diesem Rezensenten – ist MADAME WEB einer dieser Filme, welche jene zitierte Müdigkeit befeuern. Sieht man sich die Crème de la Crème-Liste der TV-Arbeiten von Regisseurin S.J. Clarkson an, wird ihr Kinodebüt zu einem noch größerem Mysterium. Aber alles beginnt wohl damit, dass von der aus den Comics bekannten Figur kaum noch etwas übrig ist.
Nach einigen merkwürdigen Vorfällen muss sich die selbstsichere Rettungssanitäterin Cassandra Webb eingestehen, über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen. Einst wurde ihre Mutter Constance, eine Forscherin, im Dschungel Perus von ihrem vermeintlichen Partner Ezekiel Sims erschossen. Noch bevor sie starb, wurde sie von einer Spinne gebissen, wodurch wenigstens Cassandra die Geburt überlebte. Jetzt muss die Sanitäterin dreißig Jahre später mit ihren frisch erfahrenen Fähigkeiten drei High-School-Mädchen beschützen. Diese drei Spider-Man-Vorgängerinnen werden von Ezekiel Sims verfolgt. Er will seiner Bestimmung zuvorkommen, dass die Drei ihn töten werden.
»Wenn Du die Verantwortung übernimmst, wird dir große Macht zuteil«, lässt Clarkson ihre Figuren sagen. Sie hat zusammen mit Claire Parker noch maßgebliche Veränderungen an dem Drehbuch von Matt Sazama und Burk Sharpless vorgenommen, als sie die Regie übernahm, und freie Hand bei der Gestaltung der Geschichte bekommen hat. Eine sehr eigenwillige Interpretation von Spider-Mans Lektion »mit großer Macht kommt große Verantwortung«. So verdreht wie dieses im allgemeinen Sprachgebrauch bekannteste aller Comic-Zitate, verhält sich auch MADAME WEB als Film zu seinen Ursprüngen, als würde er mit ihnen nichts zu tun haben. Ein durchweg seltsames Unterfangen.
Ziemlich am Anfang gibt es eine Blaulichtfahrt mit dem Krankenwagen die exemplarisch für das steht, was mit MADAME WEB nicht stimmt. Die Hetzjagd durch die vollen Straßen hat keinerlei Dynamik, der Schnitt ist träge und die Kameraführung altbacken, die Helden Cassandra Web und Ben Parker schmeißen mit locker gemeinten 80er Jahre Plattitüden um sich, und die einzelnen Auftritte der drei späteren Superheldinnen geschehen ohne einen Hauch von besonderem Impuls. So sind die Action-Szenen, und so sind die Charakterzeichnungen. Flach, langatmig, belanglos und uninteressant. Inhaltlich und inszenatorisch fehlt es überall an souveränen Momenten.
Für jeden AVENGERS gibt es einen ANT-MAN: QUANTUMANIA. Aber wo bleibt da MADAME WEB, wenn »Sony’s Spider-Man Universe« für VENOM bereits MORBIUS hat? Grundsätzlich ist dieses Superhelden-Abenteuer kein guter Film. Das fällt besonders stark bei den Charakter-Szenen auf, wenn das eigentlich exzellente Ensemble außerhalb der Action interagiert. In diesen Momenten würde man sich wünschen, ein handfestes Drama oder eine lockere Beziehungskomödie zu bekommen. Ob Johnson, Scott, Sweeney, Merced oder O’Connor, ihnen sieht man Dank ihrer natürlichen Art unheimlich gerne zu. Was aber in dem Augenblick zerfällt, wenn sie ins Superheldenszenario wechseln.
Auf der einen Seite zeigt S.J. Clarkson wider bisheriger Erfahrungen kein Gespür für die Dramaturgie dieser besonderen Art von Spannungsmomenten, wenn sich Szenen durch die Vorahnung wiederholen und neu ausgerichtet werden. Ein Blick zu der auf zwei Zeitebenen stattfindenden Autojagd in Tony Scotts DEJA VU hätte sehr viel geholfen. Auf der anderen Seite müssen sich die Darsteller mit eindimensionalen Figuren abmühen, denen keine Möglichkeit für eine subtilere und eigene Gestaltung gegeben wird. Besonders Tahar Rahim verliert sich als Ezekiel Sims immer mehr in trivialen Versatzstücken eines Gegenspielers, der ohne tiefere Motivation einfach nur böse sein muss.
Das alles klärt noch lange nicht die quälende Frage, ob MADAME WEB in irgendeiner Ausrichtung besser gewesen wäre, hätte man nicht so vehement das Ausgangsmaterial verleugnet. Wobei die Wandlung der alten, paralysierten Cassandra aus den Comics, zu der jungen, dynamischen Cassandra in Gestalt von Dakota Johnson mit Abstand als geringstes Problem gilt. Es ist das eine, unbedingt einen Film machen zu wollen, der ohne Einflüsse von anderen Quellen für sich alleine steht. Es wird aber zu etwas ganz anderem, wenn man sich trotzdem einen Running Gag leistet, den Namen eines neugeborenen Babys nicht zu verraten der nur der spätere Spider-Man Peter Parker sein kann.
Das Drehbuch wurde zeitlich noch so angepasst, dass nicht mehr Andrew Garfields Amazing Spider-Man, sondern Tom Hollands Inkarnation aus Marvels Cinematic Universe in die Kontinuität passen würde. Genutzt wurde dieser Umstand nicht, wirft aber noch mehr Fragen auf. Geblieben ist Adam Scotts undankbare Nebenrolle als Onkel Ben, der ursprüngliche Initiator des legendären Satzes, »mit großer Macht kommt große Verantwortung«. Was lediglich dem Nerd-Faktor dient. Den fragwürdigen Effekten, dem einfallslosen Drehbuch und den unterversorgten Darstellern nützt das sehr wenig.
Ansonsten begnügt sich MADAME WEB mit der Form einer großen Mogelpackung, wenn mit den Verkörperung von Spider-Girl und zwei Spider-Woman geworben wird, diese aber nur als kurze Teaser für eine höchst fragwürdige Fortsetzung in Erscheinung treten. Gesichert sind hingegen die Vorproduktionen von Superhelden-Filmen, die ganz sicher eine eventuelle Müdigkeit gegenüber dem Genre sehr schnell vergessen machen.
MADAME WEB
Darsteller: Dakota Johnson, Sydney Sweeney, Isabela Merced, Celeste O’Connor, Adam Scott, Tahar Rahim, Mike Epps, Emma Roberts u.a.
Regie: S.J. Clarkson
Drehbuch: S.J. Clarkson, Claire Parker, Burk Sharpless, Matt Sazama
Kamera: Mauro Fiore
Bildschnitt: Leigh Folsom Boyd
Musik: Johan Söderqvist
Produktionsdesign: Ethan Tobman, Ruth Ammon
USA 2024
117 Minuten
Bildrechte: SONY PICTURES RELEASING