Bandit bespricht: JOJO RABBIT

JOJO RABBIT – Bun­des­start 23.01.2020

Johan­nes Betz­ler, zehn Jah­re, stol­zes Mit­glied bei der Hit­ler­ju­gend, und bes­ter Freund von Adolf Hit­ler. Da lässt das Mar­ke­ting kei­nen Zwei­fel auf­kom­men, dass dies eine Sati­re sein muss. Sie muss, denn Spaß mit Hit­ler ist selbst nach deut­schen Ver­su­chen, die sich erfolg­reich schlu­gen, immer noch mit bit­te­rem Bei­geschmack belegt. Da tut ein Blick von außen ganz gut. Die sind eher unver­krampft, wesent­lich wage­mu­ti­ger, und weni­ger distan­ziert. Die Mut­ter des mitt­ler­wei­le vier­und­vier­zig­jäh­ri­gen Schau­spie­lers und Fil­me­ma­chers Taika Wai­ti­ti ist selbst jüdi­scher Abstam­mung. Das macht es gera­de in Euro­pa, ganz spe­zi­ell in Deutsch­land, immer irgend­wie ver­tret­ba­rer, und trägt so eine klei­ne Abso­lu­ti­on mit sich, wenn­gleich mit Vor­be­halt und unter kri­ti­schen Bli­cken. Aber selbst wenn der Film hält, was das Mar­ke­ting ver­spricht, ist JOJO RABBIT tief in sei­nem Her­zen viel näher an der bit­te­ren Wahr­heit, als es eine Komö­die noch als unschul­di­ge Far­ce ver­kau­fen könn­te.

Nichts liegt Johan­nes mehr am Her­zen, als sich über die Hit­ler­ju­gend für die Wehr­macht zu qua­li­fi­zie­ren. Sein ima­gi­nä­rer Freund Adolf steht ihm dabei aller­dings etwas im Weg. Doch JoJo sieht eine zwei­te Chan­ce, als er ein jüdi­sches Mäd­chen ken­nen­lernt. Am Bei­spiel von Elsa will der über­zeug­te Nazi ein Buch schrei­ben, in dem die Bös­ar­tig­keit, das ver­schla­ge­ne Wesen und die mör­de­ri­schen Absich­ten des gemei­nen Juden beschrie­ben wer­den.
Wai­ti­ti, der neben Dreh­buch und Regie auch noch die Neben­rol­le des Dik­ta­tors über­nom­men hat, beweist sich erneut als geschick­ter und ver­füh­re­ri­scher Erzäh­ler. Er hat eine Vam­pir-WG wie den ganz nor­ma­len Wahn­sinn erschei­nen las­sen und mit THOR: RAGNAROK einen der unkon­ven­tio­nel­le­ren Mar­vel-Fil­me insze­niert. Der Halb-Mao­ri nimmt sei­ne Geschich­ten nicht so ernst – und sich selbst als Macher schon gar nicht. Aber er nimmt sein Publi­kum sehr ernst. Er hat bis­her dem Zuschau­er nie etwas ein­fach nur vor­ge­setzt, son­dern ihn immer mit­ge­nom­men.

Wenn Taika Wai­ti­ti sein begie­ri­ges Publi­kum an die Hand nimmt und leich­ten Schrit­tes vor­aus­geht, dann muss das aber nicht bedeu­ten, dass es ein gemüt­li­cher Spa­zier­gang wird. JOJO RABBIT ist zwei­fel­los eine Far­ce. Zuerst. Mit mora­li­scher Unter­stüt­zung durch sei­nen ima­gi­nä­ren Freund ver­sucht sich JoJo am Ernst des Lebens, und wenn er schei­tert, schei­tert auch sein Freund, der aber immer alles schön reden kann. Das ist mit­un­ter sehr wit­zig, manch­mal auch bit­ter iro­nisch, aber immer nur am Ran­de des über­dreh­ten Kla­mauks, der den­noch immer haar­scharf neben­her läuft. Es hat schon eini­ge Sati­ren gege­ben in denen Adolf Hit­ler als über­for­der­ter Töl­pel durch die Sze­ne­rie stol­pert. Aber JOJO RABBIT ist eben kein Film über Adolf Hit­ler und Wai­ti­ti will sich auch nicht über die­se Per­son lus­tig machen, sie durch den Dreck zie­hen, sie lächer­lich insze­nie­ren. Der Dik­ta­tor ist hier die Aus­ge­burt einer kind­li­chen Fan­ta­sie. Zuerst fällt das gar nicht so auf, doch nach und nach lüf­tet die Geschich­te den Schlei­er. Der Hit­ler, über den man hier als Erwach­se­ner lacht, ist eigent­lich die häss­li­che Ideo­lo­gie wel­che sich schon in die Köp­fe leicht zu bein­flus­sen­der Kin­der fest­setzt. Eine Ideo­lo­gie die viel wider­li­cher und gefähr­li­cher ist, als die dafür stell­ver­tre­ten­de Per­son selbst.

Sei­nen locke­ren Ton ver­liert die Insze­nie­rung zu kei­nem Zeit­punkt. Ein über­stra­pa­zie­ren­des Dra­ma bleibt aus. Doch nach und nach wan­delt sich die Sati­re zu einem weni­ger hel­len Blick auf die Kraft eines ver­füh­re­ri­schen Sys­tems. Die Kame­ra­bil­der von Mihai Malai­ma­re neh­men dabei eine ent­schei­den­de Stel­lung ein. Eine stim­mungs­vol­le Dyna­mik der unre­flek­tier­ten Fan­ta­sie von JoJo, weicht immer mehr star­ren und unver­spiel­ten Ein­stel­lun­gen der auf­kei­men­den Rea­li­tät des wirk­li­chen Lebens. Aber der visu­el­le Look ver­än­dert sich nicht kom­plett oder radi­kal, kräf­ti­ge Far­ben blei­ben erhal­ten. Denn die Hoff­nung, die geht zuletzt, und für Johan­nes Betz­ler soll die Hoff­nung erhal­ten blei­ben. Aber da hat der Erzäh­ler schon soviel an dra­ma­tur­gi­schen Mög­lich­kei­ten mit auf den Weg gege­ben, dass sich beim Zuschau­er noch in den letz­ten zwan­zig Minu­ten eine Span­nung an Unge­wiss­heit auf­baut. Man wur­de mit dem Schick­sal von Hasen­fuß JoJo untrenn­bar ver­bun­den, und man möch­te auch nicht mehr los­las­sen.

Mit einem ganz her­vor­ra­gen­den Ensem­ble, selbst­re­dend von Roman Grif­fin Davis als JoJo in sei­nem Schau­spiel­de­but ange­führt, gelingt dem Film der flie­ßen­de Wech­sel von poin­tier­tem Witz zu unauf­dring­li­chem Dra­ma ohne Bruch im Erzähl­duk­tus. Ledig­lich Sam Rock­wells Cha­rak­ter als Wehr­machts­of­fi­zier macht einen über­spann­ten Ein­druck und Rebel Wil­son als sei­ne Gehil­fin wirkt sogar rich­tig fehl in der Hand­lung. Der bewuss­te Ana­chro­nis­mus bei eini­gen Musik­stü­cken nimmt zusätz­lich eini­ges aus der bit­te­ren Tra­gö­die, auf die der Film eigent­lich hin­aus­lau­fen könn­te. Das kann man als gut emp­fin­den oder schlecht betrach­ten. Es unter­streicht nur extra, dass der Film eben nicht auf all­zu leicht mög­li­che, aber letzt­end­lich bil­lig aus­ge­schlach­te­te Emo­tio­nen hin­aus möch­te. Ein lebens­be­ja­hen­des Stück an Kino­un­ter­hal­tung, das sei­nen Hin­ter­grund trotz der fast respekt­lo­sen Art voll­kom­men ernst und eben nicht auf die leich­te Schul­ter nimmt.

In der Ori­gi­nal-Sprach­fas­sung reden die Dar­stel­ler in einer sehr über­zeu­gen­den här­te­ren Aus­spra­che, wel­che der deut­schen Spra­che tat­säch­lich am nächs­ten ist. Sie ver­fal­len dabei aller­dings nicht in einen über­zeich­ne­ten Akzent und ver­lie­ren auch nicht ihre natür­li­che Arti­ku­la­ti­on. Bleibt für die deut­sche Syn­chro­ni­sa­ti­on zu hof­fen, das man auch hier, beson­ders bei einem Cha­rak­ter, auf die über­be­an­spruch­te Sprech­wei­se ver­zich­tet.

JOJO RABBIT
Dar­stel­ler: Roman Grif­fin Davis, Tho­ma­sin McKen­zie, Scar­lett Johans­son, Taika Wai­ti­ti, Sam Rock­well, Archie Yates, Rebel Wil­son, Ste­phen Mer­chant u.a.
Dreh­buch & Regie: Taika Wai­ti­ti
Kame­ra: Mihai Malai­ma­re Jr.
Bild­schnitt: Tom Eagles
Musik: Micha­el Giac­chi­no
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Ra Vin­cent
108 Minu­ten
Tsche­chi­en – Neu­see­land – USA 2019

Pro­mo­fo­tos Copy­right Walt Dis­ney Stu­di­os Moti­on Pic­tures

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