Bandit bespricht: Joaquin Phoenix – JOKER

JOKER – Bun­des­start 10.10.2019

Wenn ein Film mit soviel Wucht im Kino ein­schlägt und schlag­ar­tig aus den Fugen gera­te­ne Kon­tro­ver­sen her­vor ruft, hat das was zu bedeu­ten. Wenn die­ser Film den­noch von den kri­ti­sie­ren­den Moral­apos­teln wie begeis­ter­ten Film­kri­ti­kern glei­cher­ma­ßen in höchs­ten Tönen gelobt wird, dann scheint die Film­welt schon seit gerau­mer Zeit etwas ver­misst zu haben. Wie nähert man sich einem Film an, der bei Kino­gän­gern schon der­art beliebt ist, dass sie ihn nicht erst ein­mal sehen müs­sen. Schon die aller­ers­te Sze­ne, Phoe­nix in extre­mer Nah­ein­stel­lung schminkt sich ein Clowns­ge­sicht, und das Audi­to­ri­um erup­tiert in fre­ne­ti­schen Jubel. Augen­blick­lich wird der Wunsch frei­ge­setzt, den Film als Scree­ner in den befrie­de­ten Wän­den des eige­nen Hei­mes sehen zu kön­nen. Die­ser Wunsch wird ad absur­dum geführt, wenn die Abspann­ti­tel lau­fen.

Mit JOKER begin­nen die ers­ten ernst­haf­ten Stim­men nach den Oscars laut zu wer­den. Natür­lich Joa­quin Phoe­nix an vor­ders­ter Front der Eksta­sen aus Jubel und Wohl­wol­len. Aber ist die Figur des Arthur Fleck wirk­lich bis dato Phoe­nix’ bes­te dar­stel­le­ri­sche Leis­tung? Auf kei­nen Fall. An die­ser Stel­le geht ein ver­stoh­le­ner Sei­ten­blick allein in Rich­tung des kaum beach­te­ten INHERENT VICE. Was aber Todd Phil­lips, der auch zusam­men mit Scott Sil­ver das Dreh­buch schrieb, dem Aus­nah­me­schau­spie­ler bie­tet, ist sei­ne bis dato größt­mög­li­che Büh­ne mit dem größt­mög­li­chen Frei­raum und sei­ner extro­ver­tier­tes­ten Aus­drucks­kraft.

Arthur Fleck ist ein Mensch mit einer unge­wöhn­li­chen neu­ro­lo­gi­schen Stö­rung. Er bricht in unkon­trol­lier­tes Lachen aus, wenn er ner­vös ist, oder unter Druck gerät. Kein guter Aus­gangs­punkt, wenn man vor der Mög­lich­keit steht, sei­nen Lebens­traum zu erfül­len, was aber im ent­schei­den­den Moment selbst­ver­ständ­lich mit Ner­vo­si­tät ein­her­geht. Unmerk­lich, aber kon­ti­nu­ier­lich schwin­den die gepress­ten, wenigs­tens im Ver­such unter­drück­ten Aus­brü­che. Arthur Fleck lernt erst zu lächeln, am Ende kann er rich­tig lachen. Der Grund ist bru­tal, er muss nur sei­nem sozio­pa­thi­schen Ver­hal­ten einem sei­ner Umwelt ange­pass­ten Frei­raum gewäh­ren. Für Arthur Fleck ist es Kathar­sis, für die Welt in der er lebt ein­fach nur ein gewöhn­li­cher Kreis­lauf. Die Gesell­schaft, wel­che Arthur Fleck ver­letz­te, demü­tig­te, aus­schloss, die­se Gesell­schaft umschließt den Joker am Ende mit ver­stö­ren­der Zunei­gung.

War­um sich Todd Phil­lips in sei­ner Lauf­bahn als Komö­di­en-Regis­seur aus­ge­rech­net ein Dra­ma mit einer der­ar­ti­gen Inten­si­tät aus­such­te und umsetz­te, wird wohl ein Geheim­nis blei­ben. Noch dazu mit einer Figur im Mit­tel­punkt, die man ledig­lich aus Comic-Büchern und deren Ver­fil­mun­gen kann­te. Bestimmt hat Phil­lips eini­ge Aus­sa­gen dar­über getrof­fen, sowie sich Phoe­nix dazu äußer­te, war­um er die Rol­le über­nom­men hat. Doch es wird sich nie fest­stel­len las­sen, ob hier wah­re Grün­de aus­ge­spro­chen wur­den, oder die­se ledig­lich in den Tenor von Auf­merk­sam­keit, Kon­tro­ver­se und krea­ti­ver Anar­chie pass­ten. Ein Film die­ser Grö­ßen­ord­nung, mit 55 Mil­lio­nen Dol­lar den­noch beschei­den, ent­wi­ckelt sich nicht in weni­gen Mona­ten. Ihn als bewuss­te Pro­vo­ka­ti­on gegen­über unse­rer aktu­el­len Gesell­schaft zu sehen, wäre ver­mes­sen. Obwohl vie­le enthu­si­as­ti­sche Kri­ti­ker JOKER in die­sen Kon­text sehen möch­ten.

In einem ste­ten Wan­del unse­rer Zeit, kam JOKER das ers­te mal auf die Lein­wand, als die Film­welt gera­de für ein sol­ches Spek­ta­kel von Schmerz, Ver­lust und Skru­pel­lo­sig­keit bereit war. Wie sich Joa­quin Phoe­nix in sei­nem Kör­per win­det und etwas Unwirk­li­ches damit anstellt, als wol­le er nur her­aus aus die­ser Haut, das ver­bin­det sich mit Law­rence Shers detail­ier­ten Bil­dern zu einer unan­ge­neh­men Erfah­rung. Der Zuschau­er mehr denn je als Voy­eur – und ein Dar­stel­ler der die­se bra­chia­le Lust am Beob­ach­ten noch bestärkt. Die Kame­ra hält Arthur immer im Mit­tel­punkt, die im Bild ersicht­li­che Umge­bung ver­schwimmt in der Unschär­fe. Erst als der Joker sich sei­ner bemäch­tigt, ver­schmilzt die­ser mit der dar­ge­stell­ten Gesell­schaft, und wird Teil des gro­ßen Gan­zen.

JOKER ist eine fil­mi­sche Grenz­erfah­rung für den Main­stream. Er ist unan­ge­nehm. Das Kino für die Mas­sen­un­ter­hal­tung ist ande­res an Dra­ma­tik und Auf­lö­sung gewohnt. Nicht aber, dass man zu sei­nen eige­nen Rück­schlüs­sen gezwun­gen wird. Der Film kann für jeden etwas ande­res bedeu­ten, aber er gibt es nicht vor, und das macht ihn schwie­rig. Für vie­le mag JOKER viel­leicht ein unver­hoh­le­ner Blick auf unse­re heu­ti­ge Gesell­schaft sein. Aber ganz sicher wird er wegen sei­ner Anders­ar­tig­keit gefei­ert. Und da macht es sich bezahlt, ihn in einem aus­ver­kauf­ten Kino­saal zu erle­ben, wo Reak­tio­nen unmit­tel­bar fol­gen. Man­che zwei­fel­los frag­wür­dig. Doch so bezieht der Film sei­ne Zuschau­er mit ein, wie es die Welt des Arthur Fleck mit dem Joker getan hat.

JOKER
Dar­stel­ler: Joa­quin Phoe­nix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Fran­ces Con­roy, Brett Cul­len, Shea Whig­ham, Bill Camp u.a.
Regie: Todd Phil­lips
Dreh­buch: Todd Phil­lips, Scott Sil­ver
Kame­ra: Law­rence Sher
Bild­schnitt: Jeff Groth
Musik: Hil­dur Guðna­dót­tir
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Mark Fried­berg
122 Minu­ten
Kana­da – USA 2019

Pro­mo­fo­tos Copy­right WARNER BROS.

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