Bandit bespricht: I SEE YOU

I SEE YOU – Ama­zon Prime & iTu­nes 08.05.2020

Als I SEE YOU beim Fan­ta­sy Film­fest 2019 lief, gab es bit­te­re Aus­ein­an­der­set­zun­gen, wie man sich erdreis­ten kön­ne, die­sen Film als Hor­ror zu ver­mark­ten. Da es kei­ne fest­ge­leg­te Defi­ni­ti­on des Gen­res Hor­ror­film gibt, liegt die­se daher meist im Auge des Betrach­ters. Zumin­dest Film­wis­sen­schaft­ler sind sich dar­über einig, dass sich Hor­ror über die sub­jek­ti­ve Stim­mung und Emp­fin­dun­gen defi­niert. Für den Fan von zum Bei­spiel Dario Argen­to oder dem CON­JU­RING-Uni­ver­sum lie­gen Stim­mung und Emp­fin­dung auf ande­ren Ebe­nen. I SEE YOU ist den­noch in eini­ger Hin­sicht Hor­ror­film, aber gleich­zei­tig auch raf­fi­nier­ter Thril­ler. Als Schau­spie­ler in allen Gen­res behei­ma­tet, hat Autoren­debü­tant Devon Graye wirk­lich ein beacht­li­ches Spiel mit den Sin­nen erson­nen. Vor­bil­der schei­nen ab und an durch, und bewuss­te Anlei­hen sind erst am Ende wirk­lich aus­zu­ma­chen.

Dass eini­ges im Argen ist, bei der Fami­lie Har­per, wird umge­hend nach der Ein­stiegs­se­quenz deut­lich. Zuvor wird in einem ein­sa­men Wald­stück ein Jun­ge wie von Geis­ter­hand von sei­nem Fahr­rad kata­pul­tiert, spä­ter gilt er als ver­misst. Doch der Fokus rich­tet sich auf die Pro­ble­me der Har­pers, wo Gat­tin Jackie schein­bar einen klei­nen ehe­li­chen Fehl­tritt hat­te. Soh­ne­mann Con­nor hasst sie dafür, die Fami­lie in den Abgrund getrie­ben zu haben. Der Göt­ter­gat­te Greg ver­sucht sei­ne See­len­qual wenigs­tens von sei­nem Sohn fern zu hal­ten. Er ist Detec­ti­ve bei der ört­li­chen Poli­zei der klei­nen Stadt und fin­det mit den Ermitt­lun­gen des ver­schwun­den Jun­gen vom Anfang eine will­kom­men Ablen­kung. Doch immer wie­der gesche­hen uner­klär­li­che Din­ge im Haus der Har­pers. Im Wech­sel­bad der Gefüh­le rücken die merk­wür­di­gen Vor­fäl­le immer wie­der in den Hin­ter­grund.

Man soll­te tat­säch­lich etwas Geduld mit­brin­gen, denn Regis­seur Adam Rand­all hat sich in die­sem, sei­nem drit­ten, Film viel Zeit genom­men. Zumin­dest was die ers­ten 40 Minu­ten angeht. Das ist nicht unbe­dingt lang­wei­lig, doch teil­wei­se der Erwar­tungs­hal­tung des Publi­kums abträg­lich. Denn der Zuschau­er hat die Prä­mis­se sehr schnell durch­schaut, wenigs­tens für sich. Die unheim­li­chen Vor­komm­nis­se sind schnel­ler in einen erklär­ba­ren Kon­text gelegt, bevor Rand­all sein ers­tes Kanin­chen aus dem Hut zau­bert. Dann aller­dings macht auf ein­mal der zu lan­ge schei­nen­de Auf­bau plötz­lich Sinn, und sorgt für ein rau­nen­des »Das habe ich so nicht kom­men sehen«. Was der Autor im zwei­ten Teil auf­zeigt, ist dann fast schon wie­der ein eige­ner Film. Nicht eigen­stän­dig, aber anders. Wohl­wol­lend anders. Es bleibt span­nend, und stets mit einem knis­tern­den Gefühl von gesträub­ten Nacken­haa­ren. Hor­ror, das ist eben, wie man es emp­fin­det. Nur dass Rand­all in die­sem zwei­ten Teil immer wie­der ein­mal den Fokus ver­liert und sich die Aus­wir­kun­gen zwei­er unter­schied­li­cher Betrach­tungs­wei­sen nicht immer atmo­sphä­risch decken.

Doch ein­mal hin­ter den Vor­hang gese­hen ist die zwei­te gro­ße Über­ra­schung schließ­lich weni­ger auf­re­gend, wenn­gleich noch immer sehr effek­tiv. Selbst wenn es nicht den Anschein erweck­te, und auch nie­mand wirk­lich miss­trau­isch mach­te, wur­de ein ele­men­ta­rer Teil der end­gül­ti­gen Auf­lö­sung im Mit­tel­teil bereits vor­weg genom­men. Und aus dem »Damit hab ich nicht gerech­net«, wird zumin­dest noch ein mild erstaun­tes »So hängt das also zusam­men«. Das Pro­blem bei die­ser Art von Film: mit einer Erzähl­struk­tur in die­ser Form bleibt das begie­ri­ge Publi­kum etwas außen vor, wo es doch eigent­lich ger­ne invol­viert wäre. Denn bei I SEE YOU kann man wirk­lich nicht vor­her­se­hen, oder erah­nen, wie sich die Geschich­te ent­wi­ckeln könn­te, und wor­auf sie abzie­len wird. Es feh­len mög­li­che Varia­blen, und der Zuschau­er wird ledig­lich mit Tat­sa­chen kon­fron­tiert. Der ers­te Reflex wird zwangs­läu­fig die Fra­ge sein, ob alles im Zusam­men­hang wirk­lich Sinn macht – und wo unbe­ant­wor­te­te Hand­lungs­punk­te blei­ben. Es macht Sinn und es blei­ben kei­ne Fra­gen. Doch auf die­se kon­se­quen­te Wei­se erzählt, nimmt die Insze­nie­rung eine ent­schei­den­de Ebe­ne aus den vie­len Schich­ten des erwar­te­ten Unter­hal­tungs­fak­tors.

Die haupt­säch­lich unbe­kann­te­ren Dar­stel­ler sind ein gro­ßer Vor­teil im Span­nungs­auf­bau und ‑ablauf. Wobei die emo­tio­na­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen in den zwi­schen­mensch­li­chen Bezie­hun­gen oft kon­stru­iert wir­ken und die Glaub­wür­dig­keit schon hin und wie­der lei­det. Das fällt meis­ten umso mehr ins Gewicht, weil die Ver­hält­nis­se inner­halb der Fami­lie immer wie­der die Cha­rak­te­re auch den Fokus ver­lie­ren las­sen, dass sehr unge­wöhn­li­che Din­ge in ihrem unmit­tel­ba­ren Umfeld pas­sie­ren. Die­se nicht ganz stim­mi­gen, oft­mals banal insze­nier­ten Kon­flik­te, neh­men auch eini­ges von der sich auf­bau­en­den Span­nung im ers­ten Teil. Und so sehr man es auch igno­rie­ren möch­te und auch ver­sucht es nicht zu erwäh­nen: Das durch plas­ti­sche Chir­ur­gie gezeich­ne­te Gesicht von Helen Hunt lenkt immer und immer wie­der ab.

Tech­nisch ist I SEE YOU fast schon makel­los. Jede Erzähl­ebe­ne hat ihre eige­ne atmo­sphä­ri­sche Form in Kame­ra­füh­rung und Inten­si­tät der Insze­nie­rung. Selbst die Jump-Sca­res dürf­ten für eini­ge Über­ra­schung sor­gen. In vie­ler­lei Hin­sicht ist I SEE YOU eine sehr gelun­ge­ne Über­ra­schung. Er ist durch­weg span­nend und sehr effek­tiv in sei­ner unheim­li­chen Atmo­sphä­re. Und mit Sicher­heit dürf­te er viel mehr Zuschau­er ange­nehm über­ra­schen, als er dump­fe Nörg­ler fin­den wird. Denn Hor­ror, defi­niert sich ja durch sub­jek­ti­ve Stim­mun­gen und Emp­fin­dun­gen. Hört man jeden­falls so.

I SEE YOU
Dar­stel­ler: Helen Hunt, Jon Ten­ney, Judah Lewis, Owen Teague, Libe Barer, Gre­go­ry Alan Wil­liams u.a.
Regie: Adam Rand­all
Dreh­buch: Devon Graye
Kame­ra: Phil­ipp Blau­bach
Bild­schnitt: Jeff Cas­tel­luc­cio
Musik: Wil­liam Arca­ne
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Car­men Navis
USA /​ 2019
96 Minu­ten

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