Bandit bespricht: ARMY OF THE DEAD

Net­flix seit 21.05.2021

Die Iro­nie ist nicht von der Hand zu wei­sen: Zack Sny­der lehn­te 2004 das Ange­bot ab, ARMY OF THE DEAD als sein Spiel­film­de­but zu insze­nie­ren. Er über­nahm die Regie des Remakes von DAWN OF THE DEAD. In Hol­ly­wood sind Pro­jek­te gedul­dig. Und es hat den Anschein, dass es selbst von allen Sei­ten betrach­tet für ARMY OF THE DEAD nur von Vor­teil war. Nach eini­gen geschei­ter­ten Ver­su­chen nahm nach 15 Jah­ren end­lich Net­flix Geld in die Hand.
Was ist für einen Künst­ler ver­lo­cken­der, als die abso­lu­te Selbst­be­stim­mung bei einer Pro­duk­ti­on? Man darf Net­flix durch­aus vor­wer­fen, dass bei ihren Eigen­pro­duk­tio­nen die Quan­ti­tät weit vor der Qua­li­tät steht. Das ist ver­ständ­lich, das ist wirt­schaft­lich nach­voll­zieh­bar – und bei ARMY OF THE DEAD ist es schlicht­weg not­wen­dig gewe­sen.

Eine bunt gewür­fel­te Söld­ner­trup­pe wird ange­heu­ert, in Las Vegas 200 Mil­lio­nen Dol­lar aus einem Casi­no-Safe zu holen. Es gibt zwei Pro­ble­me: Eine rie­si­ge Hor­de von Unto­ten über­füllt das her­me­tisch abge­rie­gel­te Spie­ler­pa­ra­dies. Und die Regie­rung wird in nur weni­gen Stun­den die Stadt der leben­den Toten mit einem Nukle­ar­spreng­kopf aus­lö­schen.

Natür­lich erwar­tet der ver­wöhn­te Film­lieb­ha­ber bei einem Film mit … OF THE DEAD im Titel, dass die Anleh­nung nicht zum Mar­ke­ting-Werk­zeug ver­kommt. Beson­ders bei dem Regis­seur, der das Remake zu dem im Sub-Gen­re belieb­tes­ten Hor­ror­film mach­te. Wel­cher wie­der­um selbst zum Fan-Lieb­ling des jün­ge­ren Hor­ror­ki­nos avan­cier­te.

Die schwan­ken­den Anga­ben des Bud­gets um die 90 Mil­lio­nen Dol­lar schei­nen noch immer viel zu gering, wenn man das Ergeb­nis betrach­tet. Es gibt Men­schen, die sich an nicht 100% pho­to­rea­lis­ti­schen Bil­dern abar­bei­ten. Die Qua­li­tät eines nach­träg­lich digi­tal ein­ge­füg­ten Cha­rak­ters wird sogar in einem Fach­blatt mit einem aus­führ­li­chen Arti­kel seziert. Dabei geht es um kaum sicht­ba­re Unstim­mig­kei­ten nach denen selbst die­je­ni­gen suchen müs­sen, die von der Nach­be­ar­bei­tung wis­sen. Unbe­darf­te soll­te es nach dem Film­ge­nuss recher­chie­ren.

Optisch ist ARMY OF THE DEAD weit über den Stan­dard des geho­be­nen Anspruchs. Und das betrifft nicht nur die exzel­len­ten Licht­stim­mun­gen und die dif­fe­ren­zier­te Farb­ge­bung ver­schie­de­ner Set­tings. Oder die unter­be­wuss­te Mani­pu­la­ti­on durch Kon­trast-Abstu­fun­gen. Man ver­glei­che die Sze­nen am Tre­sor vor und nach dem Öff­nen, oder bei den Vor­be­rei­tun­gen des Hub­schrau­bers. Die opti­sche Gestal­tung gibt immer den emo­tio­na­len Aus­gang einer Sequenz vor.

Nicht anders ver­hält sich Zack Sny­der mit sehr effek­ti­ven Schär­fen­ver­la­ge­run­gen und dem atmo­sphä­ri­schen Spiel mit der Schär­fen­tie­fe. Es über­rascht, dass dies Sny­ders ers­te Arbeit als bild­ge­stal­ten­der Kame­ra­mann bei einem Spiel­film ist. Und weil er ohne­hin gut bei die­sem Film beschäf­tigt war, hat er sich gleich ein Zubrot als Ope­ra­tor der B‑Kamera ver­dient. Bei den meis­ten Fil­men ist es von Vor­teil, wenn zwei ver­schie­de­ne Krea­tiv-Köp­fe an der insze­na­to­ri­schen und opti­schen Gestal­tung arbei­ten. Bei ARMY muss man es als Glücks­fall anse­hen, dass Sny­der bei­de Gewer­ke auf sich ver­eint.

Die äußerst aus­ge­klü­gel­te Bild­ge­stal­tung ver­kommt nie zum Selbst­zweck. Sie unter­wirft sich auch nicht der Geschich­te, son­dern ver­schmilzt mit allen emo­tio­na­len Ebe­nen, wes­halb sie auch einen der­art effek­ti­ven Ein­fluss auf die Hand­lung nimmt. Und genau an die­sem Punkt muss man auf die atem­be­rau­ben­den visu­el­len Effek­te zurück kom­men. Denn sie geben dem apo­ka­lyp­ti­schen Sze­na­rio den per­fek­ten Rah­men, las­sen nicht ein­fach nur stau­nen, son­dern sie begeis­tern. Es wird geklotzt, wo geklotzt wer­den muss, und es wird sich zurück genom­men, wo dies eben ange­bracht ist.

Dem Zuschau­er bleibt immer das Maß von Cha­os und Zer­stö­rung bewusst, genau­so wie die Gefah­ren durch die Weit­läu­fig­keit die­ser gefal­le­nen Metro­po­le, auch anhand uner­sätt­lich vie­ler Details von bekann­ten Gebäu­den, Leucht­re­kla­men und gan­zen Stra­ßen­zü­gen. Wenn jemand tat­säch­lich etwas an den eigent­lich her­vor­ra­gen­den Effek­ten aus­zu­set­zen hat, der hat auch ver­ges­sen dass Kino (und auch Stream) für den Effekt der Über­wäl­ti­gung und Begeis­te­rung erfun­den wur­de. Und da darf ein um zehn Grad falsch ger­en­der­ter Son­nen­stand kein Kri­tik­punkt sein. Nicht bei ARMY OF THE DEAD.

Die alles über­strah­len­de fil­mi­sche Offen­ba­rung ist Sny­ders Film aber nicht. Das wäre viel zu weit her­ge­holt. ARMY strau­chelt an genau an zwei der ent­schei­den­den Stel­len. Er setzt drei mal zum Fina­le an. Das ist ermü­dend und senkt die Adre­na­lin­kur­ve merk­lich. Das ver­meint­lich besieg­te Böse noch drei­mal ins Bild sprin­gen zu las­sen, macht über­haupt kei­nen Sinn, weil es unnö­tig und nur bil­li­ger Span­nungs­mo­ment ist. Mit viel gutem Wil­len könn­te man dem Regis­seur unter­stel­len, dass dies eine Hom­mage an den Action­film der Acht­zi­ger­jah­re sein soll, wo der Schur­ke auch nie tot zu krie­gen war. ARMY ist prall gefüllt mit Quer­ver­wei­sen, Zita­ten und Refe­ren­zen.

Das Glei­che könn­te man von einem klä­ren­den Gespräch zwei­er Prot­ago­nis­ten am Ende sagen. Aber dazu muss man noch eine zusätz­li­che Por­ti­on guten Wil­lens bewei­sen. Der viel zu lan­ge Dia­log ist extrem pathe­tisch und fügt sich ein­fach nicht in den atmo­sphä­ri­schen Fluss der Erzäh­lung. Dabei hat Sny­der doch zu Anfang genau den rich­ti­gen Ton getrof­fen, was Sen­ti­ment und Cha­rak­ter-Expo­si­ti­on betrifft. Jede Figur bekommt ihre Zeich­nung, auf den Punkt gebrach­te Dia­lo­ge defi­nie­ren den Cha­rak­ter und geben die not­wen­digs­ten Hin­ter­grün­de.

Man kommt nicht umhin, wohl­wol­lend zu bemer­ken, dass die­se Wort­wech­sel nicht nur den Ton des über­zo­ge­nen Macho-Films haben (heu­te mit Frau­en). Sie sind so gut und rea­lis­tisch gespielt, dass die Figu­ren eine wirk­li­che Tie­fe bekom­men. Das bin­det den Zuschau­er auch an die Prot­ago­nis­ten, von denen natür­lich wel­che auf dra­ma­ti­sche Wei­se den Raub­zug und die Unto­ten nicht über­ste­hen wer­den. Und das ist nun bestimmt kein Spoi­ler.

Es ist erstaun­lich, wie gewich­tet ARMY OF THE DEAD ist. Der Film offe­riert alle dra­ma­tur­gi­schen Rich­tun­gen des Kinos. Über­zeich­ne­te Action, tief­grün­di­ge Dia­lo­ge, ein Hauch ech­ter Melan­cho­lie, auch Slap­stick, plat­te Kalau­er, tat­säch­lich Schau­spiel­ki­no, der abge­dro­sche­ne Wett­lauf gegen die Zeit, ste­reo­ty­pe Hel­den­fi­gu­ren, aber eben­so greif­ba­re Cha­rak­te­re, natür­lich sehr inspi­rier­te Span­nungs­mo­men­te – und eine klei­ne Roman­ze. Aber auf gar kei­nen Fall zu ver­ges­sen: jede Men­ge Blut und Gekrö­se. Der sorg­sa­me Schnitt von Dody Dorn sorgt jedoch dafür, dass sich die Bil­der nicht am Ekel­fak­tor fest­saugen, son­dern gleich in eine leich­ter ver­dau­ba­re Sze­nen über­ge­hen. Für schwa­che Gemü­ter bleibt das Schlacht­fest den­noch eine har­te Num­mer, weil der Regis­seur sehr ein­falls­reich und mit schreck­li­cher Fan­ta­sie geseg­net ist. Dass Sny­der sich nicht nach den Mög­lich­kei­ten ori­en­tiert, son­dern die Splat­ter-Effek­te gut und wohl­ge­setzt ver­teilt, sorgt dann auch immer für einen umso ein­dring­li­che­ren Schau­wert.

Wer Kino liebt, wird auch ARMY lie­ben, weil Zack Sny­der eben­falls dem Medi­um ver­fal­len ist. Das sorgt für eine fast unüber­schau­ba­re Men­ge an Film­zi­ta­ten. Nicht wirk­lich gelun­gen ist die offen­sicht­li­che Anlei­he mit einem Umhang an Sny­ders eige­nes Spar­ta­ner-Epos 300, was etwas unfrei­wil­lig Komi­sches hat. Auf der ande­ren Sei­te wird die sze­ni­sche Cho­reo­gra­fie aus Iñá­rit­tus THE REVENANT Begeis­te­rung aus­lö­sen. Film­freun­de wer­den die­se Hin­wei­se umge­hend erken­nen. Aber die Ver­beu­gun­gen vor Fil­men und Kol­le­gen sind äußerst bedacht und durch­aus pas­send ein­ge­wo­ben. Und es freut, dass Rome­ros kaum beach­te­ter SURVIVAL OF THE DEAD Respekt gezollt wird. Pfer­de sind eben etwas wun­der­vol­les.

ARMY OF THE DEAD hat Schwä­chen. Inwie­weit die­se rele­vant wer­den, muss der geneig­te Zuschau­er für sich ent­schei­den. Doch als Gesamt­kunst­werk wirkt er wie eine Blau­pau­se für die best­mög­li­che Kino­un­ter­hal­tung. Das darf man so sagen, weil ARMY einen sie­ben Tage Vor­lauf in US ame­ri­ka­ni­schen Kinos hat­te. Durch und durch kon­zi­piert auf den jeweils ein­dring­lichs­ten Effekt. Und dann noch in einen stim­mi­gen Fluss gebracht, wo alle Ele­men­te vor und hin­ter der Kame­ra per­fekt inein­an­der über­ge­hen. Allei­ne der gran­dio­se Titel­vor­spann ist ein Film­ver­gnü­gen für sich. Nein, er ist den­noch nicht die über­stah­len­de Offen­ba­rung des Film­schaf­fens. Das »Aber…« soll­te jeder für sich voll­enden.

Es ist ohne Zwei­fel spe­ku­la­tiv, wer aber ARMY OF THE DEAD mit Herz und Gefühl, und etwas ana­ly­ti­scher Erb­sen­zäh­le­rei auf sich wir­ken lässt, wäre auch nicht über­rascht, wenn Rome­ros Name dem Werk vor­an ste­hen wür­de.

ARMY OF THE DEAD
Dar­stel­ler: Dave Bau­tis­ta, Ella Pur­nell, Oma­ri Hard­wick, Ana de las Reguera, Mat­thi­as Schweig­hö­fer, Theo Ros­si, Nora Arne­ze­der, Hiroy­u­ki Sana­da u.a.
Regie: Zack Sny­der
Dreh­buch: Jack Sny­der, Shay Hat­ten, Joby Harold
Kame­ra: Jack Sny­der
Bild­schnitt: Dody Dorn
Musik: Tom Hol­ken­borg
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Julie Berg­hoff
148 Minu­ten
USA 2021

Bild­rech­te: NETFLIX

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