Bandit bespricht: COME AWAY – Die Magie der Träume

COME AWAY – Ama­zon Prime / iTu­nes – DVD – Blu-ray

Come away, O human child!
To the waters and the wild
With a fae­ry, hand in hand,
For the world’s more full of weeping
than you can understand.
– W. B. Yeat’s The Sto­len Child –

Wer Lewis Car­rolls zwei ALI­CE-Bücher gele­sen hat, muss eine von zwei Erfah­run­gen gemacht haben: A) Er hat sich viel tie­fer und über die Geschich­ten hin­aus damit beschäf­tigt, um ansatz­wei­se zu ver­ste­hen, was Car­roll eigent­lich damit im Sinn hat­te. Oder B) Er hat die Bücher als zeit­ver­schwen­de­ri­schen Hum­bug wie­der ins Regal zurück gestellt. Soll­te es ein C) geben, fällt er auto­ma­tisch in die Kate­go­rie A) mit Ten­denz zu B).

Das nega­ti­ve Kino­jahr 2020, wel­ches durch die Posi­ti­ven eben­falls in einer ande­ren Welt statt­fand, hat bereits Benh Zeit­lins WENDY – EINE REISE ZWISCHEN DEN ZEITEN ver­schluckt. Fast wie es ein bestimm­tes Kro­ko­dil mit einer Uhr getan hat. Die­se Wen­dy war eine sehr eigen­wil­li­ge Inter­pre­ta­ti­on nach Geschich­ten von James M. Bar­rie, blieb aber dem Kern der Erzäh­lun­gen um den Jun­gen, der nie­mals alt wer­den woll­te, sehr, sehr nahe. Auch die­se Geschich­ten hat­ten den Anspruch über den Buch­rü­cken hin­aus gele­sen zu werden.

Als Dreh­buch-Debü­tan­tin hat sich Maris­sa Kate Good­hill wohl gedacht, dass in der infla­tio­nä­ren Flut der PETER PAN-Film­ad­ap­tio­nen seit Anbe­ginn der lau­fen­den Bil­der, ein wei­te­rer Ver­such kei­nen wirk­li­chen Scha­den anrich­ten wür­de. Und tat­säch­lich, das muss man ihr las­sen, ist der Grund­ge­dan­ke, Ali­ce Lid­dell und Peter Pan als Geschwis­ter mit ihren indi­vi­du­el­len Geschich­ten neben­ein­an­der zu stel­len nicht nur toll­kühn, son­dern sogar genial.

Unglück­lich gewähl­te Geschen­ke beschreibt man ger­ne mit dem ent­schul­di­gen­den Sinn­spruch, es ist der Gedan­ke der zählt. So ein­fach ist es nicht, mit dem was Regis­seu­rin Bren­da Chap­man aus die­sem Buch gemacht hat, die mit ihrer Betei­li­gung an KÖNIG DER LÖWEN, PRINZ VON ÄGYPTEN oder MERIDA gute Visi­ten­kar­ten vor­leg­te. Aller­dings waren da Vor­la­gen, Anlie­gen und mora­li­sche Ansprü­che kla­rer defi­niert. DIE MAGIE DER TRÄUME muss daher Her­aus­for­de­rung und Blind­flug glei­cher­ma­ßen gewe­sen sein.

Anfangs toben im Litt­le­ton-Haus­halt noch drei gelieb­te, wohl­erzo­ge­ne und fröh­li­che Kin­der. Sie spie­len Pira­ten und ver­an­stal­ten Tee­ge­sell­schaf­ten. Die Litt­le­tons sind nicht reich, aber gut situ­iert. Bis das Schick­sal eine böse Ker­be in das glück­li­che Gefü­ge schlägt. Vater Jack fällt zurück in unheil­brin­gen­de Ange­wohn­hei­ten, und Mut­ter Rose ret­tet sich in alko­ho­li­sche Medi­ka­ti­on. Für die behü­te­te Ali­ce und ihren Bru­der Peter bricht die hei­le Welt zusam­men. Ohne Unter­stüt­zung müs­sen Ali­ce und Peter die Fami­lie ret­ten, mit dem was ihnen geblie­ben ist: ihrer Fantasie.

Wenn wirk­lich etwas hän­gen bleibt von COME AWAY, dann sind es die behut­sam, aber extrem effek­tiv ein­ge­setz­ten Effek­te. Da erscheint in einem Zwi­schen­schnitt ein aus­ge­dien­tes Boots­wrack kurz als ech­tes Pira­ten­schiff. Ech­te Pfei­le und Bögen fal­len als abge­bro­che­ne Äste zu Boden. Die Fan­ta­sie der Kin­der wird immer wie­der kurz­zei­tig Wirk­lich­keit, bis der Zuschau­er glaubt, von sei­ner eige­nen Wahr­neh­mung getäuscht wor­den zu sein.

Aber auch wie die Geschich­te noch mit man­chen Ele­men­ten jon­gliert, dürf­te erfah­re­ne Leser und Ken­ner erfreu­en. Da kämpft Peter um das Leben von Ali­ce‘ wei­ßen Hasen, oder Ali­ce ist die eigent­li­che Besit­ze­rin von Glöck­chen die spä­ter Peters Feen­staub ver­streut. Das ist alles sehr inter­es­sant und span­nend zu ver­fol­gen, nur ver­liert sich das alles in einer Ansamm­lung von vie­len, all­zu vie­len Hand­lungs­ele­men­ten und atmo­sphä­ri­schen Rich­tun­gen, so dass Bren­da Chap­man dies nicht wirk­lich stim­mig zusam­men­hal­ten kann.

 

Der Film reißt so vie­le The­men an, dass kei­nes für sich anspre­chend und zufrie­den­stel­lend auf­ge­löst wer­den kann. Die fan­tas­ti­schen Ele­ment wech­seln unver­mit­telt in düs­te­re Atmo­sphä­ren nach Charles Dickens. Die unheil­schwan­ge­ren Emp­fin­dun­gen der Kin­der ver­stär­ken nur die men­ta­len Abstür­ze der Eltern. Rohe und nüch­ter­ne Gewalt ver­mischt sich mit kind­li­cher Nai­vi­tät. Der Ver­such, und Fakt ist, dass es beim Ver­such geblie­ben ist, die fürch­ter­li­che Welt der Rea­li­tät durch die ver­spiel­ten, unbe­darf­ten Augen von Kin­dern zu sehen, ist nicht gelungen.

Dabei ist COME AWAY in Tei­len ein sehr gelun­ge­ner Film, der mit beschei­de­nen Bud­get alles nach sehr viel mehr aus­se­hen lässt, mit ziel­füh­ren­der Kame­ra­ar­beit über­zeugt, und auch das Ensem­ble glän­zen lässt. Doch gleich­zei­tig ver­wirrt er wie­der mit sei­ner eth­ni­schen Diver­genz. Das mag poli­tisch kor­rekt sein, und auch der dama­li­gen Zeit durch­aus gerecht wer­den (zir­ka vik­to­ria­ni­sches Zeit­al­ter). Doch inner­halb die­ser Insze­nie­rung wirkt es unent­schlos­sen, dem Anschein nach nur um der Sache selbst willen.

Tat­säch­lich war­tet man unter­schwel­lig immer auf einen sozio­po­li­ti­schen Kom­men­tar. Doch da wo man ihn ob der Man­nig­fal­tig­keit der schwer­wie­gen­den, aber nur ange­ris­se­nen The­men ein­mal begrü­ßen wür­de, bleibt alles unkom­men­tiert. Buch und Insze­nie­rung woll­ten ein­fach zu viel, in zu wenig Zeit, und auch im fal­schen Verhältnis.

Nun sind Peter Pan und Ali­ce nicht irgend­wer in der Welt der Fan­tas­tik. Da ist das Wort »Iko­ne« end­lich ein­mal wirk­lich ange­bracht. Und dem wird COME AWAY über­haupt nicht gerecht. Die vor­han­de­nen Ansät­ze und das Spiel mit iko­ni­schen Figu­ren und ihren Ele­men­ten deu­tet vie­le Mög­lich­kei­ten an, und wird aber nie wirk­lich gut oder kon­se­quent aus­ge­spielt. James M. Bar­rie und Lewis Car­roll haben kei­ne hei­le Glit­zer­welt beschrie­ben, auch wenn sie ihren Geschich­ten die­sen Anstrich gaben.

Im Kern haben bei­de Wel­ten etwas Düs­te­res, etwas Beun­ru­hi­gen­des. Schein­bar lag da für Maris­sa Kate Good­hill und Bren­da Chap­man die Inten­ti­on, dies auf den gesam­ten Cha­rak­ter des Film zu pro­ji­zie­ren. Doch da haben bei­de etwas grund­le­gend falsch inter­pre­tiert. Mit den übli­chen und bekann­ten Ver­satz­stü­cken zu spie­len, spie­gelt noch lan­ge nicht nicht das Wesen des­sen wie­der, was ALICE IM WUNDERLAND- und die PETER PAN-Geschich­ten zu Klas­si­kern wer­den ließ.

Wesent­lich pro­gres­si­ver und radi­ka­ler war da Behn Zeit­lin mit WENDY – EINE REISE ZWISCHEN DEN ZEITEN (der däm­li­che deut­sche Ver­leih soll mal erklä­ren, was der Titel mit dem Film zu tun hat). Aber er hat das Herz von dem Jun­gen, der nie alt wer­den will, und die ein­her­ge­hen­de Sehn­sucht über ver­pass­te Chan­ce und fal­sche Idea­le sehr genau getrof­fen. Auch wenn es kein sehr leich­ter, manch­mal sogar sper­ri­ger Film ist. Aber trotz sei­nes unver­klär­ten Rea­lis­mus ist er der Fan­tas­tik wesent­lich näher.

COME AWAY – DIE MAGIE DER TRÄUME
Dar­stel­ler: David Oye­lo­wo, Ange­li­na Jolie, Kei­ra Chan­sa, Jor­dan Nash, Clar­ke Peters, Micha­el Cai­ne, Derek Jaco­bi, Anna Chan­cellor, Jen­ny Gal­lo­way, Reece Yates, Gugu Mba­tha-Raw u.a.
Regie: Bren­da Chapman
Dreh­buch: Maris­sa Kate Goodhill
Kame­ra: Jules O’Loughlin
Bild­schnitt: Dody Dorn
Musik: John Debney
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Licia­na Arrighi
94 Minuten
Groß­bri­tan­ni­en 2020

Bild­rech­te: SPLENDID FILM

AutorIn: Bandit

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