Die Fregoli-Illusion ist eine meist schizophrene Störung, bei der Menschen glauben, alle anderen Menschen um sie herum wären ein und die selbe Person, mit demselben Aussehen. Darunter leidet auch Michael Stone, der während einer Lesereise im Fregoli-Hotel eincheckt, in der Geschichte, die von Francis Fregoli geschrieben wurde. In Wahrheit steckt hinter dem Pseudonym Francis Fregoli der Autor Charlie Kaufman, der spätestens mit BEING JOHN MALKOVICH auch einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. Und der Name Charlie Kaufman lässt auch erahnen, dass man auch auf einige Überraschungen bei ANOMALISA gefasst sein muss. Zum Beispiel, dass es der erste Animationsfilm ab 18 Jahren ist, der eine Oscar-Nominierung erhielt.
Michael Stone ist kein glücklicher Mann. Einer der mit herab hängenden Schultern durchs Leben geht, der lieber Room-Service bestellt, und aus der Mini-Bar trinkt. Ein Mensch, der seine Umwelt gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Doch dann geschieht etwas ungewöhnliches. Im Hotel-Flur hört er eine Stimme, die sich von allen anderen unterscheidet. Wie besessen stürmt Michael der Stimme hinterher, und trifft auf Lisa, deren Gesicht sich ebenfalls von allen anderen unterscheidet. In dieser Nacht verspürt er endlich wieder einmal Lebensfreude.
ANOMALISA ist weniger Film, als ein weiter gesponnenes Gesamtkunstwerk. Geschrieben hat es Kaufman als Hörstück. Damals hatten schon David Thewlis, Jennifer Jason Leigh und Tom Noonan ihre Stimmen hergegeben. Jetzt hat Kaufman mit Unterstützung von Duke Johnson die visuelle Ebene hinzugefügt. Allerdings als Animationsfilm, und das im Stop-Motion-Verfahren. Dadurch haben alle beteiligten Figuren, außer Michael und Lisa, nicht nur dieselbe Stimme, sondern auch dieselben Gesichter. Der Zuschauer bekommt eine Ahnung von Michaels Zustand. Und selbst nach der scheinbar befreienden Nacht im Hotel macht es der Autor seinem Charakter nicht einfach. Charlie Kaufman präsentiert kein Kuschelkino, er spielt mit den Erwartungen und Wahrnehmungen seines Publikums.
Die Puppen und die Settings sind sehr aufwendig gestaltet, als solches imponiert beides. Doch Stop-Motion hatte schon immer den Charakter von nicht ganz flüssigen Bewegungen. Und auch in ANOMALISA wirken viele Bewegungspassagen etwas ungelenk, mit einer Spur von scheinbar gewollter Künstlichkeit. Das muss man akzeptieren können, um richtig an die Charaktere heranzukommen. Zudem Kaufman und Johnson ihre Geschichte sehr gemächlich inszenieren, und sich sehr viel Zeit nehmen, mit einer Handlung, die ohnehin auf das Notwendigste ausgelegt ist.
Lisa wird die Anomalie in Michaels Leben. Wo wohl der Filmtitel herkommt? Und trotz der langsamen Inszenierungen, und seinen oftmals nicht wirklich realistischen Bewegungsabläufen, ist ANOMALISA ein spannender Film. Man darf ihn eben nicht als herkömmlichen Film betrachten, sondern immer das grundsätzliche Konzept im Kopf behalten. Mehr als alle anderen Kopfgeburten des Charlie Kaufman, ist diese hier die Anspruchsvollste, weil sie nicht wirklich Film sein will, sondern eine Herausforderung.
ANOMALISA
Stimmen:
Michael Stone: David Thewlis / Frank Röth
Lisa Hesselman: Jennifer Jason Leigh / Caroline Ebner
Alle Anderen: Tom Noonan / Christian Weygand
Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson
Drehbuch: Charlie Kaufman
Kamera: Joe Passarelli
Bildschnitt: Garret Elkins
Musik: Carter Burwell
Produktionsdesign: John Joyce, Huy Vu
90 Minuten
USA 2015
Promofotos Copyright Paramount Pictures