Es dürfte leider nur wenige Leute gegen, die sich an Peter und Bobby Farrellys OSMOSIS JONES erinnern werden. Eine empfehlenswerte Einsicht in den menschlichen Körper. Das weiße Blutkörperchen Osmosis Jones muss das tödliche Virus Thrax im Körper ausfindig, und den Garaus machen, bevor es sich zu sehr ausbreitet. Aber Thrax ist gerissen, und Osmosis muss zum Beispiel mit Hilfe der Nierensteine arbeiten. Wenn dann nicht auch noch die Wiederwahl des Bürgermeisters in Gestalt des Gehirns anstünde, welches der Einfachheit halber lieber nur eine Grippetablette einnimmt. OSMOSIS JONES ist eine sehr originelle, weil sehr gut durchdachte Unterhaltung. 14 Jahre später geht Pixar einige Schritte weiter, ebenso originell und durchdacht. Natürlich Pixar, die sich, trotz ihrer Einbindung ins Maus-Haus, die Reputation bewahrt haben.
Riley ist elf Jahre, als sie mit ihren Eltern vom mittleren Westen nach San Francisco zieht. Eine große Veränderung, mit der ihre Gefühle in der Schaltzentrale ihres Oberstübchens einiges zu tun bekommen. »Freude« hat alles einigermaßen im Griff, auch wenn »Wut« oder »Kummer« immer wieder Hand ans Schaltpult legen. Doch dann kommt es zur Katastrophe, als »Freude« und »Kummer« aus Unachtsamkeit ins Labyrinth des Gedächtnisses geschleudert werden. Und ein Kind, das nur von »Wut«, »Ekel« und »Angst« gesteuert wird, kann ein perfektes Verhältnis zu den Eltern schnell ins Wanken bringen.
Pete Docter ist der geniale Kopf, der zuletzt OBEN für Pixar machte. Und damit der Filmwelt die eindringlichste und außergewöhnlichste Handlungssequenz schenkte, wenn er ein komplettes Leben zweier Charaktere erzählte, ohne auch nur ein Wort an Dialog zu verwenden. Aber Docter ersann auch die Geschichte von WALL*E, der die Geschichte mit unglaublichen 20 Minuten ohne ein einziges Wort beginnt, und dabei so viel erzählt. Nun ist ALLES STEHT KOPF viel gesprächiger, als die voran genannten Filme. Teilweise sogar so geschwätzig, wie gewöhnliche Kinder-Animationen. Aber an was kein bisheriger Animationsfilm herankommt, sind die unfassbaren Details, und das unglaublich komplexe, aber funktionierende Geflecht von bebilderten Gedankengängen. Wie funktioniert ein Mensch, und was treibt ihn dazu, das zu tun, was er schließlich auch tun wird? Es ist ein Familienfilm aus dem Hause Pixar, und dennoch gibt er darauf genau die richtigen Antworten.
Als Riley geboren wird, blickt nur »Freude« in die Welt nach draußen. Die Schaltzentrale ist klein und sehr übersichtlich. Später, wenn der erste Broccoli auf dem Speiseplan steht, kommt »Ekel« dazu. Und »Wut«, »Kummer« und »Angst« folgen. Mit den Jahren wird die Schaltzentrale auch ausgefeilter und komplexer. Broccoli wird dabei zu einem der vielen Running-Gags. Viele Running-Gags? Das ist eben das besondere an ALLES STEHT KOPF, der sich nie damit zufrieden gibt, einfach nur die Handlung voran zu treiben. Was er letztendlich auch tut, aber dennoch in jeder Sequenz darauf bedacht ist, sie logisch und verständlich zu gestalten. In keinem Moment speist der Film seine Zuschauer mit einem »das ist eben so« ab. Es gibt auch kein unerwartetes Überraschungsmoment, mit dem »Freude« und »Kummer« ihren Weg in die Schaltzentrale zurück finden. Wenn eine aus einem Leiterwagen bestehende Rakete den Helden zur Hilfe eilt, dann wurde dieser Leiterwagen schon lange vorher in der Handlung eingeführt.
Aber auch das Löschen von unwichtig gewordenen Informationen, oder der Irrweg in das Unterbewusstsein, folgen der rationalen Umsetzung des phantastischen Gedankens. Ein zu Hilfe eilender imaginärer Freund aus der Kindheit, der in den Jugendjahren noch zu Ehren kommt. Der Einfallsreichtum der Macher ist unbeschreiblich. Dieser imaginäre Freund Bing Bong trägt auch zu den emotionalsten Momenten bei, aber nicht weil die Macher dies daraufhin konstruierten, sondern weil es harmonisch und natürlich aus der Handlung heraus entsteht. Was man allgemein unter der großen Kunst des Erzählens versteht. Zugegeben, natürlich ist das Konzept ein ersonnenes Konstrukt. Aber wie ALLES STEHT KOPF dies umsetzte und präsentiert, ist erstklassiges Erzählkino. Harmonisch, intelligent, nachvollziehbar.
Um ALLES STEHT KOPF in seinem genialen Umfang zu erfahren, muss man den Film auch gesehen haben. Es gibt durchaus Strecken, die lediglich den kindlichen Charakter bedienen. Aber der Erwachsene ist dennoch durchweg gefordert. Die Schaltzentrale ist ein stetig wachsendes Konstrukt. Die junge Riley ist zu Beginn elf Jahre alt. Wenn die Geschichte erzählt ist, gibt es Bilder einer wachsenden Struktur in Rileys Kontrollzentrum. Und wer aufpasst, der sieht auch den in warnenden Farben gefassten Notschalter betitelt mit »Pubertät«. Da haben die Macher sich bestimmt ein allzu offensichtliches Hintertürchen aufgehalten. Denn ALLES STEHT KOPF ist so genial und auch akribisch umgesetzt, das er förmlich nach einer Fortsetzung schreit. Genießen wir diesen Film. Alles was kommen wird, hechelt grundsätzlich seinem Vorgänger hinterher. Und ALLES STEHT KOPF ist ein sehr imposanter Vorgänger.
ALLES STEHT KOPF – INSIDE OUT
Stimmen:
Freude: Amy Poehler / Nana Spier
Kummer: Phyllis Smith / Philine Peters-Arnolds
Angst: Bill Hader / Olaf Schubert
Wut: Lewis Black / Hans-Joachim Heist
Ekel: Mindy Kaling / Tanya Kahana
Riley: Kaitlyn Dias / Vivien Gilbert
Mutter: Diane Lane / Bettina Zimmermann
Vater: Kyle MacLachlan / Kai Wiesinger
Regie: Pete Docter, Ronaldo Del Carmen
Drehbuch: Meg LeFauve, Josh Cooley, Pete Docter
Bildschnitt: Kevin Nolting
Musik: Michael Giacchino
Produktionsdesign: Ralph Eggleston
94 Minuten
USA 2015
Promofotos Copyright Walt Disney Studios Motion Picture