AD ASTRA: Deutschlandstart am 19. September 2019
Enthält am Ende Spoiler, ohne die man den Film nicht besprechen könnte
Schon die Trailer ließen vermuten, dass der Science Fiction-Film AD ASTRA nicht gerade der Actionkracher-Blockbuster werden würde, die ansonsten so die Kinos (und inzwischen auch die Fernseher) dominieren. Ein deutlich gealterter Brad Pitt spielt einen Astronauten in einer vergleichsweise nahen Zukunft, der sich auf den Weg macht, um seinen Vater zu suchen, ebenfalls ein Astronaut, der vor 30 Jahren auf einer Mission zum Neptun verschollen ist. Was dabei herauskam ist deutlich näher am Arthouse als am Blockbuster.
Nochmal zu den Trailern: Wer die gesehen hat und deswegen ins Kino geht, wird vermutlich enttäuscht werden, denn die lassen aufgrund ihres Zusammenschnitts einen deutlich schnelleren Film vermuten, als man dann tatsächlich geliefert bekommt. Denn AD ASTRA lässt sich Zeit. Viel Zeit. Es geht abseits einiger weniger Actionsequenzen sehr, sehr gemächlich zu. An Pitts Spiel ist nichts auszusetzen. Kamera und Drehbuch sind beinahe die ganze Zeit sehr nah an seiner Figur, zudem gibt er den Erzähler in ich-Perspektive. Ständig werden sein Charakter, seine Gedanken und auch die selbst erkannten Unzulänglichkeiten ausführlich vor dem Zuschauer ausgebreitet. Dabei erkennt man auch nach und nach Parallelen zu seinem Vater, der Frau und Sohn auf der Erde zurück ließ, um auf eine Mission zu gehen, von der im Prinzip schon klar war, dass es sich um eine ohne Rückkehr handeln würde. Doch für McBride senior waren Job, Raumfahrt – und vor allem »das da draußen« – das Wichtigste. Mit seinem Spiel empfiehlt sich ein sichtbar nicht mehr taufrischer Brad Pitt für kommende Charakterrollen nach dem Ende einer Actionkarriere. Ich muss mir dringend mal aktuelle Bilder von ihm ansehen, ob er künstlich auf älter getrimmt wurde, um den leicht kaputten und psychisch angeschlagenen Typen besser darstellen zu können. Zumindest wurde das mit einer hochkontrastigen Darstellung noch unterstrichen.
Bestechend an AD ASTRA ist die im Großen und Ganzen äußerst glaubwürdige Darstellung der Raumfahrt, von Besiedlungen auf Mond und Mars. Man hat bei echter Technik der NASA, ESA und Co. offensichtlich äußerst genau hingesehen und das führt zu beeindruckenden Szenarien, Fahrzeugen und Einstellungen, die sich hinter anderen Klassikern des Genres auf keinen Fall verstecken müssen. Allerdings waren die Macher so sehr in ihre Szenerien verliebt, dass sie es stellenweise mit deren Dauer überspannen. Die Inszenierung ist äußerst langsam. Das wäre an sich kein Problem und passt zu Thema und Geschichte, allerdings übertreiben es Regie und Schnitt meiner Ansicht nach und ziehen den Film damit künstlich in die Länge – was überhaupt nicht notwendig gewesen wäre, denn AD ASTRA hätte auch ohne diese Längen funktioniert, sogar besser. Es ist für mich immer ein schlechtes Zeichen, wenn ich während einer Vorführung über Logiklöcher sinniere, oder sogar mal auf die Uhr schaue. Ja, ich weiß, der Cineast schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, aber so war es leider.
Alles in allem ist AD ASTRA wirklich kein komplett schlechter Film, allerdings verhindern in meinen Augen diverse Punkte, dass es ein wirklich guter Film wird. Da sind zum einen die Längen, die man durch einen etwas großzügigeren Schnitt hätte vermeiden können. Dann gibt es einige kleinere Logiklöcher über die man gnädig hätte hinwegsehen können. Ärgerlich ist allerdings, wenn elementare Fragen zu Figuren gestellt werden, und die sich dann am Ende einfach in Luft auflösen, wenn einem keine halbwegs originelle oder wenigstens unerwartete Auflösung präsentiert wird. Sondern nur eine, die zumindest mich ob ihrer Profanität höchst unbefriedigt zurückließ. Eigentlich ist das gar keine Auflösung. Nach all dem, was AD ASTRA vor einem ausbreitet, nach all der Selbstreflexion der Hauptfigur, nach den Ereignissen bei diesem interplanetaren Roadmovie soll die Auflösung sein, dass der leicht soziophobe Held am Ende zur Erde zurück kehrt, auf einmal zuhause ist und Menschen plötzlich ganz toll findet? Tut mir leid, aber das ist einfach viel zu billig und dem Rest der Story nicht angemessen. Der erwartete Mindfuck am Ende, der den Zuschauer atemlos oder ratlos zurück lässt, bleibt aus. Dass die Figur durch all das geläutert wurde, kauft man Pitt dann aber eben doch nicht ab.
Und dann noch der Logikfehler, der den gesamten Film ad absurdum führt. Vater McBride war vor vielen Jahren zum Neptun aufgebrochen, hat für die Reise 17 Jahre benötigt und bleibt dann da draußen. Auf einmal geht vom Schiff und der darauf befindlichen Antimaterie eine gigantische Gefahr durch »Wellen« aus. Das ist schon relativ hanebüchen, hätte ich allerdings noch hinnehmen können. Es wird also eine Mission losgeschickt, um nachzusehen was los ist und das uralte Expeditionsschiff samt Antimaterie zu sprengen. Damit die Bedrohung aufhört. Weil sich aber die Raumfahrt in den 30 Jahren erheblich weiter entwickelt hat, dauert der Flug vom Mars zum Neptun nur noch ca. 80 Tage.
Wollen die Drehbuchautoren mich eigentlich verarschen? Wenn man weiß, dass von der alten Mission noch welche leben und der Flug hin mit einem Raumschiff, das ein besserer Weltraumbus ist, nur 80 Tage dauert (und zurück nochmal 80, nach dem was man so präsentiert bekommt kein Katzensprung, aber auch keine Odyssee), WARUM HABEN DIE NICHT LÄNGST WEN DA HINGESCHICKT, UM ÜBERLEBENDE ZU RETTEN und die gefährlichen Wellen abzustellen? Vor allem, wenn Weltraumfahrt als etwas eher Normales dargestellt wird, das einer heutigen Fernreise entspricht? Warum muss zuerst der Sohn vom Mars aus Kontakt aufnehmen und erst dann wird eine Mission ausgesandt, um das Schiff zu zerstören? Und warum muss er überhaupt erst Kontakt aufnehmen? Das ergibt so dermaßen überhaupt keinen Sinn, dass es geradezu weh tut. Und umso mehr weh tut, dass man das mit ein, zwei Sätzen und einem experimentellen Schiff mit neuem Antrieb, das zufällig am Mars rumdümpelt, hätte umschiffen können.
Am Ende scheitert AD ASTRA an seinem eigenen Anspruch, den er zum einen nicht in ein halbwegs angemessenes Ende kulminiert, und zum anderen daran, dass man den Zuschauer bei all der akribisch und wunderbar dargestellten Raumfahrt offenbar für so dumm hält, das planetengroße Loch in der Story zugunsten schöner Szenerien und einer Menge Charakterspiel von Pitt zu übersehen.
Lange Strecken des Films sind durchaus sehenswert, insbesondere wenn tatsächlich mal etwas passiert. Eine halbe Stunde weniger hätte AD ASTRA gut getan. Brad Pitt spielt leider insbesondere im letzten Drittel gegen ein schlampiges Drehbuch an.
Schade drum, mit ein klein wenig mehr Mühe, minimalen Änderungen am Drehbuch und ein paar mutigen Schnitten hätte das ein schöner Film werden können.
Ich vermute, er wird trotzdem für den Oscar nominiert. Schaut euch lieber nochmal GRAVITY an.
AD ASTRA
Besetzung:
Regie: James Gray
Drehbuch: James Gray, Ethan Gross
Produzenten: Arnon Milchan, Yariv Milchan, Brad Pitt
Ausführende Produzenten: Marc Butan, Jeffrey Chan, Paul Conway, Sophie Mas, Anthony Mosawi, Lourenço Sant’ Anna, Michael Schaefer, Dong Yu
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Schnitt: John Axelrad, Lee Haugen
Musik: Max Richter
Produktionsdesign: Kevin Thompson
Casting: Douglas Aibel
122 Minuten
USA 2019
Ich denke, man kann die Themen um die »Logiklöcher« auch gaaanz anders sehen. Aber für mich sind diese Aspekte nur ein nebensächliches Thema des Films. Hier geht es nicht um plausible Logik der Ereignisse (wie auch bei INTERSTELLAR – den ich aber dennoch deswegen verurteile). Der Film transportiert seine Themen – wie so oft – im Gewand eines SF-Films. Warum die Menschheit ihre Probleme so langsam kennt, sie aber doch überallhin mitnimmt. Und natürlich das Thema Einsamkeit – auf mehreren Ebenen. Sicherlich für den einen oder anderen schlicht banal, wenn einen der Film nicht packt. Mich hat er gefesselt, aber vielleicht auch deswegen, weil mich das aufgrund meiner eigenen Vater-Sohn-Beziehung ge- und betroffen hat…