THE IMITATION GAME – Bundesstart 22.01.2015
Dies ist die Geschichte von Alan Turing, der sich 1953 das Leben nahm, weil er durch eine Hormonbehandlung stark depressiv wurde. Alan Turing war einer von 49.000 Homosexuellen die zwangssterilisiert wurden, als Homosexualität in Großbritannien noch den Tatbestand einer Straftat erfüllte. Es ist das traurige Ende eines Lebens, das mit so viel heldenhafter Fülle gesegnet schien. Dies ist die Geschichte von Alan Turing, der während des zweiten Weltkrieges den Code der deutschen Verschlüsselungsmaschine Enigma knackte. Das ist doch der Stoff, aus dem die Helden sind. Die tragischen Helden, mit ganz hohem Filmpotential. Das muss der Norweger Morten Tyldum sofort erkannt haben, auch wenn ihm bestimmt nicht gleich die große Oscar-Parade in den Sinn gekommen sein wird. Aber wie sieht ein wahrer Oscar-Stoff aus? Nach einer wahren Begebenheit, ein etwas absonderlicher Charakter, ein persönliches berührendes Leben, eine Heldenreise, die gegen jede Vernunft obsiegt. Dreht jemand einen Film nach einer wahren Begebenheit, ruft das umgehend die Kritiker auf den Plan, wenn die dramatisierte Geschichte von den Fakten abweicht. Und immer wieder muss man feststellen, wie dumm solche Kritik ist. Würden Filme sich gestreng an die Fakten halten, würde sich das kein Zuschauer antun. Schließlich geht es in erster Linie um den Kern einer Geschichte, und um deren Aussage. Auch THE IMITATION GAME gibt sich faktischen Änderungen hin, um die Geschichte gleichermaßen spannend, aber auch berührend erzählen zu können.
1939 kommt Alan Turing nach Bletchley Park, um sich um eine Anstellung bei der Regierung zu bewerben. Mit seiner extrem humorlosen und leider auch unverschämt direkten Art eckt er nur an, doch die Führungsspitze ist auf jede noch so abwegige Hilfe angewiesen, um die nicht zu entschlüsselnde Enigma der Deutschen zu knacken. Erst einmal ernennt er sich selbst zum Leiter der Abteilung, siebt dann ordentlich unter den Kollegen aus, und nimmt zum Entsetzen ganz Bletchley Parks, eine Frau in sein Team. Während die Kollegen versuchen, sich dem Code mathematisch anzunähern, entwirft Turing eine Maschine, welche dieselbe Rechenleistung in ungleich kürzerer Zeit schaffen würde.
Alan Turing ist zerfressen vom Ehrgeiz. Schließlich ist Logik und Mathematik das einzige, was Alan nach einer gescheiterten Liebe geblieben ist. Eine nicht sehr unkomplizierte Liebe, eine die nicht sein durfte, und dann auch nicht war. Kollegin Joan möchte ihm da gerne Trost und eine Beziehung anbieten, die der Erfinder natürlich zurückweist. Allerdings hat auch Joan ganz eigene Ziele, die sich Alans Gesinnung durchaus bewusst ist, und sich für eine anstehende Karriere den Rücken von anderen Männern frei zu halten versucht. Dann beginnt Alans Maschine zu arbeiten. Und die Gruppe Wissenschaftler wird plötzlich mit unerwarteten Verantwortungen konfrontiert.
In seiner technischen Umsetzung, ist IMITATION GAME ein sehr zufriedenstellender Film, der keine Wünsche offen lässt. Auch die Darsteller überzeugen allesamt und geben mit ihrem Spiel dem Spannungsbogen eine erweiterte Ebene. Morten Tyldum hat seine Inszenierung genau auf einen stimmigen Rhythmus und antreibendes Tempo ausgelegt. Auch wenn manch dramaturgischer Kniff, dann doch zu simpel oder ungenau umgesetzt ist. Zum Beispiel versucht Turing seine ihn eigentlich hassenden Kollegen hinter sich zu bringen, und wie er das letztendlich bewerkstelligt, ist dann doch offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass man möglichst schnell mit der Handlung voran kommen wollte. Auch die Rolle des Detectives, der den Einbruch in Turings Haus 1951 aufklären will, ist nicht im geringsten schlüssig. In erster Linie ist er der Katalysator, um die Geschichte an den Zuschauer zu bringen. Aber was Detective Nock vorgibt zu tun, und wie er wirklich handelt, widerspricht sich ständig, ohne dass es wirklich einen Grund dafür gäbe. Was kaum etwas daran ändert, dass IMITATION GAME eine sehr gut erzählte Geschichte bleibt. Auch wenn man trotz aller Bemühungen den Vorgang der Entschlüsselung nicht wirklich versteht: Die Enigma und das persönliche Schicksal Turings halten sich im Spannungsfeld nicht einfach nur die Waage, sondern greifen immer wieder ineinander. Doch das überraschendste ist GAMEs Humor, der immer wieder mit Turings Verhalten durchschlägt. Der Tragödie zum Trotz, kann und darf in IMITATION GAME sehr viel gelacht werden. Dass dafür gewisse Fakten abgewandelt werden müssen, um den dramatischen Effekt zu erhalten, das kennt man aus jeder Biografie.
Aber was ist mit einer Biografie, in der überhaupt nichts mehr stimmt? Eine Biografie, in der alle Fakten so gebeugt wurden, dass sie am Ende nur noch eine filmische Einheit ergaben. So war Turing nie der exzentrische Einzelgänger, sondern wurde von Kollegen als sehr umgänglicher, liebevoller Mann beschrieben. Die Enigma-Truppe zählte zudem weit mehr als nur vier Mann plus Frau, und Turing war überhaupt nicht ihr Leiter. Nicht in Bletchley-Park wurde begonnen, den Code zu entschlüsseln, vielmehr baute das britische Team auf den schon erfolgreichen Arbeiten des polnischen Geheimdienstes auf. Wichtig waren dafür die Schlüsselbücher der Deutschen, welche der Film ENIGMA von 2001 stark thematisierte, hier aber keinerlei Erwähnung finden. Und nicht Turing allein verfasste den Brief an Churchill, um die Arbeiten zu übernehmen, sondern er verfasste ihn gemeinsam mit einigen Kollegen, um beim Projekt zu bleiben. Die Briten besaßen auch keine Original-Enigma, sondern arbeiteten mit einem Nachbau, der nach den Angaben eines Spions gefertigt wurde. War die Entschlüsselung in Wirklichkeit ein extrem komplexer mathematischer Vorgang, stellt sie sich im Film als genialer Geistesblitz. Zudem war Commander Denniston, Oberkommandierender von Bletchley Park, Turing sehr wohlgesonnen, wo man hingegen den Film für pointenreiche Zwecke dazu nutzt, sie zu überzeugten Gegnern zu machen. So beschrieb jedenfalls Simon Singh in seinem Buch GEHEIME BOTSCHAFTEN die eigentlichen Fakten dieser wahren Begebenheit. (Recherche: Lumberjack)
Was macht also einen Film aus, der zum einen spannend erzählt ist, und auch mitfühlend umgesetzt wurde, sich aber durch seinen Hintergrund rechtfertigt? Doch wenn kaum etwas von diesem Hintergrund als faktische Wahrheit gezeigt wird, muss man den Film als solchen in Frage stellen können. Denn wirklich interessant sind doch zwei Aspekte der Geschichte: zum einen was Alan Turing für Großbritannien leistete, und zum anderen wie das Vereinigte Königreich mit Menschen wie Turing umging. Das mag im grundsätzlichem Tenor des Films noch vorhanden sein, doch stützt man das auf eine geschichtliche Vergangenheit, die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges nicht beliebig war, sondern entscheidend. Und in diesem Verlauf wird der Zuschauer mit einem Menschen konfrontiert, der tatsächlich sein Umfeld polarisierte, und dadurch das Publikum auch für sich einnimmt. Aber der im wirklichen Leben nie dieser Mensch war. Alan Turing kann auch nicht stellvertretend dargestellt werden, für all die hunderte von Menschen, die im streng geheimen Bletchley Park ihre Verdienste leisteten, ohne dass diese aus Gründen der Geheimhaltung jemals individuell gewürdigt wurden.
Alan Turing war durchaus ein mathematisches Genie, und man kann auch guten Gewissens sagen der Begründer der Computer-Technologie. Doch dann treffen auch wieder zwei differenzierte Geschichten aufeinander, nämlich der Mensch Alan Turing und die Leistungen, die in Bletchley Park insgesamt vollbracht wurden. Genau dies schien IMITATION GAME im Sinn gehabt zu haben, und scheitert letztendlich an seiner Authentizität. Wie widersprüchlich so etwas werden kann, ist doch THE IMITATION GAME eigentlich ein stimmig unterhaltsamer Film, der die Genre-Konventionen geschickt zu nutzen versteht, ohne sie all zu offensichtlich zu verbrauchen. Kino, wie Kino sein sollte. Trotzdem ist ein bitterer Beigeschmack durchaus gerechtfertigt.
THE IMITATION GAME
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Rory Kinnear, Charles Dance, Mark Strong, Allen Leech, Matthew Beard u.a.
Regie: Morten Tyldum
Drehbuch: Graham Moore, nach dem Buch von Andrew Hodges
Kamera: Oscar Faura
Bildschnitt: William Goldenberg
Musik: Alexandre Desplat
Produktionsdesign: Maria Djurkovic
114 Minuten
USA-Großbritannien 2014
Promofotos Copyright Square One Entertainment / The Weinstein Company
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Danke. Traurig ist, daß der Film teilweise geradezu auf das Grab Turings pinkelt (er war kein verrückter Einzelgänger, aber Geeks sind in Hollywood halt so) und es komplett versäumt, die Leistung von Turing zu erklären (was sind nochmal Turing-Maschinen?).
Bleibt: Eine handwerklich sehr gut gemachte verpaßte Gelegenheit.
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Aber gleichzeitig ist es auch eine Herabwürdigung aller am Projekt beteiligten Personen. Anstatt auf den privaten Turing, hätte man sich viel mehr um den Wissenschaftler bemühen müssen, denn das ist das spannende für die Geschichte. Das Private hingegen hatte ja keinen Einfluss auf den geschichtlichen Verlauf.