Die Besprechung basiert auf der amerikanischen BluRay-Fassung
Wenn Terry Gilliam einen Film dreht, dann hat man was zu erzählen. Auch weil Gilliam selber so viel erzählen will. Aber man darf nicht unbedingt Antworten auf die sich häufenden Fragen erwarten. Gilliam ist ein sehr eigenwilliger Regisseur, sicherlich gibt es weit exzentrischere in der Filmlandschaft, doch der Filmemacher ist in diesem illustren Kreis einer der ganz wenigen, die sich direkt an der Grenze von Arthouse- und Mainstream-Publikum entlang bewegen. Cronenberg wäre vielleicht noch einer dieser Namen. Wenn Terry Gilliam einen Film dreht, dann ist dieser etwas Besonderes. Das kann gleichermaßen positiv wie negativ ausgelegt werden. Zerlegt man diese Filme in ihre einzelnen Bestandteile, ist es am wahrscheinlichsten, dass sich positiv und negativ die Waage halten. Bei ZERO THEOREM wäre das zum Beispiel eine sehr gute Schauspielerin, die eine sehr schlecht inszenierte Figur spielen muss. Oder dass Nicola Pecorini mit einer tadelloser Kameraführung überzeugt, die Ausstattung allerdings viel zu überladen und chaotisch ist. Wenn Terry Gilliam einen Film dreht, dann ist er der einzige, der eine schreiend bunte Welt, richtig deprimierend wirken lässt.
Qohen Leth arbeitet für die Firma Mancom, wo er »Wesenheiten zermalmt«. Das muss an Information genügen, weil der Film keine weiteren Erklärungen dazu abgibt. Aber immerhin ist Qohen der Beste in seinem Job. Später wird der Zuschauer von Qohens digitalem Psychiater erfahren, dass er unter allen Ängsten leidet, die ein Mensch haben kann. Weswegen er auch lieber von zuhause aus arbeiten möchte, einer aufgelassenen Kirche, die er seinen wenigen Bedürfnisse angepasst hat. Der Chef von Mancom, einfach das Management genannt, stimmt zu. Allerdings wird Qohen mit einer neuen Aufgabe betreut, bei der er das »Zero Theorem« finden soll. Die mathematische Formel, die nichts geringeres erklären soll, als warum der Mensch existiert. Eine Aufgabe, an der Qohen zu zerbrechen droht, und ihn an den Rand des Wahnsinns bringt. So wie es vielen Figuren in Terry Gilliams Filmen erging. Sam Lowry in BRAZIL, Raoul Duke in FEAR AND LOATHING, Parry als KÖNIG DER FISCHER, oder wenn James Cole versucht die TWELVE MONKEYS zu finden.
Ob die Welt aus der Feder von Pat Rushin eine Dsytopie oder Utopie ist, lässt der Film vollkommen offen. Auf alle Fälle ist es eine Welt, die für Qohen Leth unerträglich ist. Manisch greift er beim ersten Klingeln ans Telefon, in der Hoffnung, der Anrufer würde ihm den Sinn des Lebens erklären. Filme von Terry Gilliam fordern unablässig die Frage heraus, »warum?« Und Gilliam antwortet ungerührt mit, »warum nicht?« Und wenn der Zuschauer sagt: »das kannst du so nicht machen.« Dann entgegnet Gilliam mit: »ich habe es gemacht.« Das Problem ist gerade bei ZERO THEOREM, dass Gilliam dieser Weltenentwurf einer möglichen Zukunft nicht glaubhaft gelingt. Es ist eine bonbonfarbene, knallbunte Welt, mit verfallenen Gebäuden. Es gibt sehr viele zufriedene Menschen, und ein System, das damit prahlt, alles zu überwachen. Wenn eine der Figuren propagiert, dass das Leben draußen stattfinden würde, dann sitzt man auf einer Bank in einem betonierten Park, und dreißig Verbotsschilder markieren den Hintergrund. Darunter das Verbot, herumzusitzen. Es ist eine verrückte Welt, ein vor Fantasie strotzender Entwurf. Dies allein ist sehens- und bewundernswert. Für sich gesehen. Doch beißt es sich total mit den fundamentalen Fragen, die der Film seinen Charakteren auf den Weg gibt.
Wäre es nicht wirklich äußerst spannend, ließe sich durch Mathematik tatsächlich die Bestimmung des Menschen erklären? Könnte man damit auch die Existenz Gottes beweisen? Es ist rühmlich, dass Gilliam, aber auch dem Autor Pat Rushin, die Charaktere viel näher stehen, als der Hintergrund der Geschichte. Doch gerade die Prämisse vom Sinn des Lebens erfordert einfach eine differenziertere Herangehensweise. Letztendlich hat Terry Gilliam zwei Filme gemacht. Der eine erinnert in seiner Fülle an Einfallsreichtum an sein TIME BANDITS, der andere zeigt Parallelen zu Boyles metaphysischen Gedanken in SUNSHINE, oder Nolans Physik in INTERSTELLAR. Sind beide Seiten dieses Films überaus spannende Ideen, so sind sie dennoch nicht wirklich kompatibel, weil sie sich in ihrer Herangehensweise eigentlich ausschließen müssten. THE ZERO THEOREM ist also ein Film, der interessant genug ist, um ihn zu sehen, aber nicht so gut, um sich wirklich einzubrennen. Was ihm allerdings nicht gelingt, ist eine Auseinandersetzung mit der Idee vom Sinn des Lebens. Mit Monty Python hat Gilliam einen Film mit dem Titel SINN DES LEBENS gemacht, und der war vielleicht näher an einer philosophischen Herausforderung, als es ZERO THEOREM zustande bringt.
Mit einem Budget, das irgendwo bei 10 Millionen Dollar anzusetzen ist, hat Gilliam wieder einmal einen Film gemacht, der nach weit mehr aussieht. Das wären immerhin 5 Millionen weniger als bei seinem eigentlichen Durchbruch BRAZIL fast dreißig Jahre vorher, der in seinen optischen Ausmaßen bereits das Budget positiv in Frage stellte. Grundsätzlich wird sich der Regisseur und Filmemacher schwer tun, die Finanzen seiner Filme besser zu stellen, ist er doch der am übelsten vom Schicksal gebeutelte Regisseur der Industrie. Nach seinen Erfahrungen während der Umsetzung von MÜNCHAUSEN beschloss Gilliam, sich von nun an nur noch mit einem Kamerateam während der Produktion begleiten zu lassen. Die daraus resultierende Dokumentation HAMSTER FAKTOR bei dem Dreh zu TWELVE MONKEYS zählt zu den spannendsten und aufschlussreichsten der sogenannten Making-Ofs der Gegenwart. Das Desaster wiederholte sich bei DON QUIXOTE, ein Film der wegen des Spiels des Schicksals nicht vollendet werden konnte. Der Hauptdarsteller verletzte sich so, dass jeder Zeitrahmen gesprengt wurde, und ein Unwetter vernichtete den größten Teil der Ausrüstung, was finanziell nicht mehr auszugleichen war. Auch hier macht eine Dokumentation das Beste aus dem bösen Schicksal eines beherzten Filmemachers. MADNESS AND MISADVENTURES OF MUNCHAUSEN ist neben HAMSTER FAKTOR einer der besten Dokumentationen über Dreharbeiten eines Films überhaupt. Und dem Scheitern daran ohnehin. Dann starb Terry Gilliam bei DOKTOR PARNASSUS noch der Hauptdarsteller Heath Ledger unter Linse hinweg. Was für ein Verhältnis muss der Regisseur zum Medium Film haben, dass er nicht längst umgeschult oder hingeworfen hat.
THE ZERO THEOREM ist sicherlich nicht Gilliams beste Umsetzung eines Stoffes. Aber das Resultat verdeutlicht noch immer sehr eindringlich, dass Terry Gilliam ein Künstler ist, der sich ungeachtet seiner Kritiker in seinem Métier sehr zielsicher bewegt. Vielleicht wäre bei ZERO THEOREM mehr als nur optische und charakterliche Spielerei möglich gewesen. Wissen wird man es letztendlich nicht. Nur diese Ahnung wird immer im Bewusstsein des cineastisch verwurzelten Zuschauer herum geistern, der für sich viel mehr hinter der Geschichte zu ahnen verspürt.
THE ZERO THEOREM
Darsteller: Christoph Waltz, David Thewlis, Lucas Hedges, Mélanie Thierry, Peter Stormare, Rupert Friend, Ben Wishaw, Lily Cole, Matt Damon, Tilda Swinton u.a.
Regie: Terry Gilliam
Drehbuch: Pat Rushin
Kamera: Nicola Pecorini
Bildschnitt: Mick Audsley
Musik: George Fenton
Produktionsdesign: David Warren
107 Minuten
Rumänien – Frankreich – Großbritannien 2014
Promofotos Copyright Concorde Filmverleih