Terry Gilliam: THE ZERO THEOREM

Poster The Zero Theorem

THE ZERO THEOREM – Bun­des­start 27.11.2014
Die Bespre­chung basiert auf der ame­ri­ka­ni­schen BluRay-Fassung

Wenn Ter­ry Gil­liam einen Film dreht, dann hat man was zu erzäh­len. Auch weil Gil­liam sel­ber so viel erzäh­len will. Aber man darf nicht unbe­dingt Ant­wor­ten auf die sich häu­fen­den Fra­gen erwar­ten. Gil­liam ist ein sehr eigen­wil­li­ger Regis­seur, sicher­lich gibt es weit exzen­tri­sche­re in der Film­land­schaft, doch der Fil­me­ma­cher ist in die­sem illus­tren Kreis einer der ganz weni­gen, die sich direkt an der Gren­ze von Art­house- und Main­stream-Publi­kum ent­lang bewe­gen. Cro­nen­berg wäre viel­leicht noch einer die­ser Namen. Wenn Ter­ry Gil­liam einen Film dreht, dann ist die­ser etwas Beson­de­res. Das kann glei­cher­ma­ßen posi­tiv wie nega­tiv aus­ge­legt wer­den. Zer­legt man die­se Fil­me in ihre ein­zel­nen Bestand­tei­le, ist es am wahr­schein­lichs­ten, dass sich posi­tiv und nega­tiv die Waa­ge hal­ten. Bei ZERO THEOREM wäre das zum Bei­spiel eine sehr gute Schau­spie­le­rin, die eine sehr schlecht insze­nier­te Figur spie­len muss. Oder dass Nico­la Peco­ri­ni mit einer tadel­lo­ser Kame­ra­füh­rung über­zeugt, die Aus­stat­tung aller­dings viel zu über­la­den und chao­tisch ist. Wenn Ter­ry Gil­liam einen Film dreht, dann ist er der ein­zi­ge, der eine schrei­end bun­te Welt, rich­tig depri­mie­rend wir­ken lässt.

Qohen Leth arbei­tet für die Fir­ma Man­com, wo er »Wesen­hei­ten zer­malmt«. Das muss an Infor­ma­ti­on genü­gen, weil der Film kei­ne wei­te­ren Erklä­run­gen dazu abgibt. Aber immer­hin ist Qohen der Bes­te in sei­nem Job. Spä­ter wird der Zuschau­er von Qohens digi­ta­lem Psych­ia­ter erfah­ren, dass er unter allen Ängs­ten lei­det, die ein Mensch haben kann. Wes­we­gen er auch lie­ber von zuhau­se aus arbei­ten möch­te, einer auf­ge­las­se­nen Kir­che, die er sei­nen weni­gen Bedürf­nis­se ange­passt hat. Der Chef von Man­com, ein­fach das Manage­ment genannt, stimmt zu. Aller­dings wird Qohen mit einer neu­en Auf­ga­be betreut, bei der er das »Zero Theo­rem« fin­den soll. Die mathe­ma­ti­sche For­mel, die nichts gerin­ge­res erklä­ren soll, als war­um der Mensch exis­tiert. Eine Auf­ga­be, an der Qohen zu zer­bre­chen droht, und ihn an den Rand des Wahn­sinns bringt. So wie es vie­len Figu­ren in Ter­ry Gil­liams Fil­men erging. Sam Lowry in BRAZIL, Raoul Duke in FEAR AND LOATHING, Par­ry als KÖNIG DER FISCHER, oder wenn James Cole ver­sucht die TWELVE MONKEYS zu finden.

Ob die Welt aus der Feder von Pat Rus­hin eine Dsy­to­pie oder Uto­pie ist, lässt der Film voll­kom­men offen. Auf alle Fäl­le ist es eine Welt, die für Qohen Leth uner­träg­lich ist. Manisch greift er beim ers­ten Klin­geln ans Tele­fon, in der Hoff­nung, der Anru­fer wür­de ihm den Sinn des Lebens erklä­ren. Fil­me von Ter­ry Gil­liam for­dern unab­läs­sig die Fra­ge her­aus, »war­um?« Und Gil­liam ant­wor­tet unge­rührt mit, »war­um nicht?« Und wenn der Zuschau­er sagt: »das kannst du so nicht machen.« Dann ent­geg­net Gil­liam mit: »ich habe es gemacht.« Das Pro­blem ist gera­de bei ZERO THEOREM, dass Gil­liam die­ser Wel­ten­ent­wurf einer mög­li­chen Zukunft nicht glaub­haft gelingt. Es ist eine bon­bon­far­be­ne, knall­bun­te Welt, mit ver­fal­le­nen Gebäu­den. Es gibt sehr vie­le zufrie­de­ne Men­schen, und ein Sys­tem, das damit prahlt, alles zu über­wa­chen. Wenn eine der Figu­ren pro­pa­giert, dass das Leben drau­ßen statt­fin­den wür­de, dann sitzt man auf einer Bank in einem beto­nier­ten Park, und drei­ßig Ver­bots­schil­der mar­kie­ren den Hin­ter­grund. Dar­un­ter das Ver­bot, her­um­zu­sit­zen. Es ist eine ver­rück­te Welt, ein vor Fan­ta­sie strot­zen­der Ent­wurf. Dies allein ist sehens- und bewun­derns­wert. Für sich gese­hen. Doch beißt es sich total mit den fun­da­men­ta­len Fra­gen, die der Film sei­nen Cha­rak­te­ren auf den Weg gibt.

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Wäre es nicht wirk­lich äußerst span­nend, lie­ße sich durch Mathe­ma­tik tat­säch­lich die Bestim­mung des Men­schen erklä­ren? Könn­te man damit auch die Exis­tenz Got­tes bewei­sen? Es ist rühm­lich, dass Gil­liam, aber auch dem Autor Pat Rus­hin, die Cha­rak­te­re viel näher ste­hen, als der Hin­ter­grund der Geschich­te. Doch gera­de die Prä­mis­se vom Sinn des Lebens erfor­dert ein­fach eine dif­fe­ren­zier­te­re Her­an­ge­hens­wei­se. Letzt­end­lich hat Ter­ry Gil­liam zwei Fil­me gemacht. Der eine erin­nert in sei­ner Fül­le an Ein­falls­reich­tum an sein TIME BANDITS, der ande­re zeigt Par­al­le­len zu Boyl­es meta­phy­si­schen Gedan­ken in SUNSHINE, oder Nolans Phy­sik in INTERSTELLAR. Sind bei­de Sei­ten die­ses Films über­aus span­nen­de Ideen, so sind sie den­noch nicht wirk­lich kom­pa­ti­bel, weil sie sich in ihrer Her­an­ge­hens­wei­se eigent­lich aus­schlie­ßen müss­ten. THE ZERO THEOREM ist also ein Film, der inter­es­sant genug ist, um ihn zu sehen, aber nicht so gut, um sich wirk­lich ein­zu­bren­nen. Was ihm aller­dings nicht gelingt, ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Idee vom Sinn des Lebens. Mit Mon­ty Python hat Gil­liam einen Film mit dem Titel SINN DES LEBENS gemacht, und der war viel­leicht näher an einer phi­lo­so­phi­schen Her­aus­for­de­rung, als es ZERO THEOREM zustan­de bringt.

Mit einem Bud­get, das irgend­wo bei 10 Mil­lio­nen Dol­lar anzu­set­zen ist, hat Gil­liam wie­der ein­mal einen Film gemacht, der nach weit mehr aus­sieht. Das wären immer­hin 5 Mil­lio­nen weni­ger als bei sei­nem eigent­li­chen Durch­bruch BRAZIL fast drei­ßig Jah­re vor­her, der in sei­nen opti­schen Aus­ma­ßen bereits das Bud­get posi­tiv in Fra­ge stell­te. Grund­sätz­lich wird sich der Regis­seur und Fil­me­ma­cher schwer tun, die Finan­zen sei­ner Fil­me bes­ser zu stel­len, ist er doch der am übels­ten vom Schick­sal gebeu­tel­te Regis­seur der Indus­trie. Nach sei­nen Erfah­run­gen wäh­rend der Umset­zung von MÜNCHAUSEN beschloss Gil­liam, sich von nun an nur noch mit einem Kame­ra­team wäh­rend der Pro­duk­ti­on beglei­ten zu las­sen. Die dar­aus resul­tie­ren­de Doku­men­ta­ti­on HAMSTER FAKTOR bei dem Dreh zu TWELVE MONKEYS zählt zu den span­nends­ten und auf­schluss­reichs­ten der soge­nann­ten Making-Ofs der Gegen­wart. Das Desas­ter wie­der­hol­te sich bei DON QUIXOTE, ein Film der wegen des Spiels des Schick­sals nicht voll­endet wer­den konn­te. Der Haupt­dar­stel­ler ver­letz­te sich so, dass jeder Zeit­rah­men gesprengt wur­de, und ein Unwet­ter ver­nich­te­te den größ­ten Teil der Aus­rüs­tung, was finan­zi­ell nicht mehr aus­zu­glei­chen war. Auch hier macht eine Doku­men­ta­ti­on das Bes­te aus dem bösen Schick­sal eines beherz­ten Fil­me­ma­chers. MADNESS AND MISADVENTURES OF MUNCHAUSEN ist neben HAMSTER FAKTOR einer der bes­ten Doku­men­ta­tio­nen über Dreh­ar­bei­ten eines Films über­haupt. Und dem Schei­tern dar­an ohne­hin. Dann starb Ter­ry Gil­liam bei DOKTOR PARNASSUS noch der Haupt­dar­stel­ler Heath Led­ger unter Lin­se hin­weg. Was für ein Ver­hält­nis muss der Regis­seur zum Medi­um Film haben, dass er nicht längst umge­schult oder hin­ge­wor­fen hat.

THE ZERO THEOREM ist sicher­lich nicht Gil­liams bes­te Umset­zung eines Stof­fes. Aber das Resul­tat ver­deut­licht noch immer sehr ein­dring­lich, dass Ter­ry Gil­liam ein Künst­ler ist, der sich unge­ach­tet sei­ner Kri­ti­ker in sei­nem Métier sehr ziel­si­cher bewegt. Viel­leicht wäre bei ZERO THEOREM mehr als nur opti­sche und cha­rak­ter­li­che Spie­le­rei mög­lich gewe­sen. Wis­sen wird man es letzt­end­lich nicht. Nur die­se Ahnung wird immer im Bewusst­sein des cine­as­tisch ver­wur­zel­ten Zuschau­er her­um geis­tern, der für sich viel mehr hin­ter der Geschich­te zu ahnen verspürt.

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THE ZERO THEOREM
Dar­stel­ler: Chris­toph Waltz, David Thew­lis, Lucas Hedges, Méla­nie Thier­ry, Peter Stor­ma­re, Rupert Fri­end, Ben Wis­haw, Lily Cole, Matt Damon, Til­da Swin­ton u.a.
Regie: Ter­ry Gilliam
Dreh­buch: Pat Rushin
Kame­ra: Nico­la Pecorini
Bild­schnitt: Mick Audsley
Musik: Geor­ge Fenton
Pro­duk­ti­ons­de­sign: David Warren
107 Minuten
Rumä­ni­en – Frank­reich – Groß­bri­tan­ni­en 2014
Pro­mo­fo­tos Copy­right Con­cor­de Filmverleih

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