Der Betreiber von PhantaNews hat mich netterweise wieder mal auf seine Seite losgelassen, damit ich kund und zu wissen geben kann, dass es ein neues Buch von mir gibt: SCHWINGEN AUS STEIN. Doch hier schreibe ich erst einmal über etwas anderes:
Wölfe, Werwölfe und Schwingen aus Stein – Begegnungen im Wilden Wald
In der Sechsten Tafel des Gilgamesch-Epos lesen wir:
Da du den Hirten, den Hüter liebtest,
Der ständig dir Aschenkuchen geschichtet,
Täglich dir Zicklein geschlachtet hatte,
Hast du ihn geschlagen, in einen Wolf verwandelt:
Die eigenen Hirtenknaben verjagen ihn nun,
Und seine Hunde beißen ihn in die Schenkel.
Dies ist die allererste schriftliche Erwähnung eines Menschen, der in einen Wolf verwandelt wird.
Wir wollen hier nicht darüber reden, wie nett es ist, jemanden in einen Wolf zu verwandeln, der einem Braten und Kuchen bringt. Wichtig ist nur: bereits ca. 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung war die Idee schon Teil des menschlichen Gedankenguts. Und vermutlich schon sehr viel früher, denn die Mythen nehmen nicht abrupt ihren Anfang darin, dass sie auf einmal aufgeschrieben werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Sie werden aufgeschrieben, weil es sie schon eine ganze Weile gibt.
Zu der Zeit saßen die Germanen noch auf den Bäumen, würde ich gerne schreiben, aber sie befanden sich da vermutlich gerade auf der Einreise nach Mitteleuropa, zusammen mit anderen indoeuropäischen Völkern. Und vermutlich hatten sie den Mythos von dem Menschen, der auch ein Wolf sein kann, da schon mit im Gepäck.
Es heißt, germanische Männer, sogenannte Wolfshäuter, hüllten sich in Wolfshäute und glaubten, so die Kräfte der als stark und mächtig angesehenen Wölfe anzunehmen, zu Wolfsmenschen, also Werwölfen zu werden. Hier handelt es sich freilich nicht um den später aufkommenden Werwolf-Fluch, sondern vielmehr um eine Art Tiertotem, eng verbunden mit religiösen Vorstellungen.
Das Christentum hatte zu Wölfen und solchen, die dazu wurden, eine grundsätzlich andere Meinung, auch wenn der Begriff »Werwolf« nicht zeitgleich überall auftauchte. Neben dem Begriff »Wehrwolff« wurden häufig auch Begriffe wie Wolffmensch, Wandelwolff oder Wolfenmacher verwendet, wobei die Begriffe alle ein wenig unterschiedlich definiert und gedeutet wurden dahingehend, wer wen wann wie zu einem Wolf machte. (Der Teufel und seine Spezis wurden dabei stets mit bemüht.)
Doch der Gedanke, dass sich Menschen durch teuflisches Hexenwerk in Wölfe verwandeln (selbst oder durch bösen Einfluss von außen), war nicht zuletzt dadurch manifestiert, dass diese Art von Hexerei sowohl von der kirchlichen, als auch der weltlichen Jurisprudenz verfolgt und somit aktenkundig wurde. Was schwarz auf weiß da stand, wurde gerne geglaubt. Schon 1612 waren im Bayerischen Wald ungewöhnliche Wölfe aufgetaucht, die »durch Nigromanceii und Zauberei in solche Thier verwandlet« [wurden].
Im Bayerischen Wald spielt auch SCHWINGEN AUS STEIN, mein neues Buch, neuester Roman aus meiner 19. Jahrhundert-Reihe.
Ich nehme gerne bekannte Mythen und bastele sie um. Damit tue ich den Mythen nicht mehr Gewalt an, als unterschiedliche Religionen und Regionen es über die Jahrhunderte schon vor mir getan haben – oder auch Hollywood, die große Mythen-Umschmelze.
»Der böse Wolf« ist aus Märchen und Aberglauben nicht wegzudenken. Er wohnt als Archetypus in unseren Köpfen, auch wenn wir im Grunde genau wissen, dass dieser etwas dümmlichere Vorfahr des Hundes weder riesig, noch unbesiegbar gefährlich ist. Doch für die mitteleuropäisch geprägte Märchenseele ist er der Weiße Hai des Wilden Waldes, nicht nur ein Raubtier, sondern hinterhältig, gierig, gemein und mörderisch. Er ist immer ein bisschen mehr als nur Wildtier. Immer ein bisschen Gesamtheit dessen, was uns verführen und umbringen kann.
Einfach den x‑ten Werwolf-Roman schreiben wollte ich jedoch nicht. Vor allem wollte ich nicht die ganze belastete Vordefinition als Fertig-Gericht (instant werewolf – just add moon light) übernehmen müssen. Nicht den Vollmond, nicht die Silberallergie, keinen christlich angehauchten Dämonenkrempel. Ich wollte völlig frei sein in dem, was ich aus Wölfen und Menschen machen konnte. Es geht somit definitiv nicht um Werwölfe als solche.
Es musste also anderes sein. Wo gibt es Wölfe in Bayern? Im Bayerischen Wald. In einer Gegend, die 1867 unendlich arm war und wild und in weiten Teilen unwirtlich und kaum besiedelt. Dort ließ sich die Wirklichkeit verschieben. Und als Folge waren manche Protagonisten nicht mehr genau das, was sie auf den ersten Blick zu sein schienen. Eine Verschiebung des Seins – durch die Grenzen der Natur und der körperlichen Existenz bis hin zur geistigen Ver-Rücktheit. Wie im Märchen ist hier einst jemand »vom Wege abgekommen«, und seither ist nichts mehr, wie es war und keiner mehr 100%ig das, was er sein sollte. Und meine Heldinnen stolpern mitten in diese Szenerie.
Was hat das mit einem Wolf zu tun? Oder mit einem Werwolf?
Das werde ich hier nicht verraten! – Dazu sollte man dann vielleicht doch SCHWINGEN AUS STEIN lesen.
Ju Honisch
SCHWINGEN AUS STEIN kann man direkt bei Feder & Schwert bestellen.
Über Ju Honisch:
Fast alles, was Ju Honisch schreibt, gehört in den Bereich der Phantastik oder ist nicht weit entfernt davon angesiedelt. Niedliche Feen und süße Elflein wird man allerdings umsonst in ihren Büchern suchen. Sie mag es handfest, sie mag es spannend – und schreibt auch keine Kinderbücher.
Für Ihren Erstlingsroman DAS OBSIDIANHERZ erhielt sie 2009 den Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie »Bestes Romandebüt«.
Ju Honisch studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität (Anglistik und Geschichte). Über einen Magister und zwei Staatsexamina brachte sie ihr Weg ins Verlagsgeschäft und von dort zum professionellen Schreiben: Kurzgeschichten, Romane, Gedichte und Lieder. Ihre fundierten Geschichtskenntnisse ermöglichen ihr, für ihre Romane gut recherchierte historische Kulissen zu wählen. Ihr Humor findet sich in den Helden ihrer Bücher wieder.
Bilder:
1.: »Werwolf von Neuses«, ca. 1685, gemeinfrei
2.: »Werwolf von Neuses«, ca. 1685, gemeinfrei
3.: Werwolf, Holzschnitt von 1722, gemeinfrei
4.: Bild Ju Honisch Copyright Ju Honisch
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