Finchers Stil sorgt für VERBLENDUNG

Als ich um einen per­sön­li­chen Kom­men­tar über die Neu­ver­fil­mung von VERBLENDUNG gebe­ten wur­de, lehn­te ich ab. Zunächst. Per­sön­li­che Mei­nun­gen haben in Rezen­sio­nen gewöhn­lich nichts ver­lo­ren. Man ver­schafft sich einen per­sön­li­chen Ein­druck und ana­ly­siert die­sen zu einer weit­ge­hend objek­ti­ven Betrach­tung. Doch je mehr man über David Fin­chers Ver­si­on des Stieg Lar­son Thril­lers nach­denkt, des­to weni­ger gibt es tat­säch­lich zu sagen. Der Visio­när Fin­cher hat ein Meis­ter­werk geschaf­fen. Und er ist damit gescheitert.

In mar­ki­gen Mar­ke­ting-Wor­ten hat Dani­el Craig her­auf­be­schwo­ren, wie das nur zwei Jah­re nach der schwe­di­schen Pro­duk­ti­on erschei­nen­de Remake eine Auf­wärts­spi­ra­le für alle Pro­duk­te sein kann. Selbst­ver­ständ­lich wer­den die­se Wech­sel­wir­kun­gen grei­fen. Fin­cher wird Men­schen zum Lesen brin­gen, die Leser wer­den auf die schwe­di­sche Fas­sung neu­gie­rig, die Schwe­den-Frak­ti­on wird neu­gie­rig auf die Ame­ri­ka­ner. Hin und her. Als jemand, der den Roman gele­sen hat und vor Erre­gung gleich zwei Stun­den spä­ter die unge­kürz­te TV-Fas­sung sehen muss­te, war schon der Trai­ler zu der neu­en VERBLENDUNG eine Offen­ba­rung. Aber was für eine. Jedes Bild war hand­lungs­be­dingt leicht zuzu­ord­nen, jeder Schnip­sel ver­riet den Kon­text der Sze­ne. Mei­ner per­sön­li­chen Mei­nung nach war ich sicher, einen exzel­len­ten Film erwar­ten zu dür­fen. Und einen sehr über­flüs­si­gen dazu.

David Fin­cher selbst äußer­te in sei­nen halb ver­tei­di­gen­den, halb wer­ben­den Stra­te­gien, die­sen fabel­haf­ten Stoff sei­nen Lands­leu­ten näher­brin­gen zu müs­sen. Es wur­de nicht ein­fach nur ein Remake, son­dern ein Remake für den ame­ri­ka­ni­schen Markt. Und er wol­le eine Ver­si­on schaf­fen, die wesent­lich näher an der Roman­vor­la­ge ist. Die­sen Satz hät­te man igno­rie­ren kön­nen, wenn er nicht stän­dig wie­der­holt wor­den wäre. So wur­de die­ser Satz zu einem Feh­ler. Autor Ste­ve Zai­li­an hat mehr in der Hand­lung ver­än­dert als Nico­laj Arcel und Ras­mus Heis­ter­berg zwei Jah­re vor­her für die schwe­di­sche Fas­sung. Bei­de Fil­me haben fast die glei­che Lauf­zeit, mit dra­ma­tur­gi­schen Absich­ten ist das nicht zu begrün­den. Doch letzt­end­lich sind die zai­li­an­schen Abwei­chun­gen zum Roman irrele­vant und haben kei­nen Ein­fluss auf die Geschich­te oder den Span­nungs­bo­gen und sind nur für Ver­blen­de­te von Belang.

Wie soll man also eine per­sön­li­che Mei­nung for­mu­lie­ren über einen Film, der wie eins zu eins vom Buch über­nom­men scheint? Was VERBLENDUNG zu einer der erfolg­reichs­ten schwe­di­schen Pro­duk­tio­nen welt­weit mach­te, ist sicher­lich der Tat­sa­che zu schul­den, dass sie einer der ganz, ganz weni­gen Fil­me ist, die es ver­mö­gen, den kom­plet­ten Inhalt einer 700 Sei­ten star­ken Roman­vor­la­ge umzu­set­zen. Und nichts ande­res tut David Fin­cher mit dem Dreh­buch von Zai­li­an. Es ist alles da, alles wird geret­tet, nichts bleibt zurück. Somit hat David Fin­cher genau das erreicht, was ich per­sön­lich erwar­tet habe. Er hat einen exzel­len­ten Film geschaffen.

Fin­chers Lang­zeit­kol­la­bo­ra­teur und Lieb­lings­ka­me­ra­mann Jeff Cro­nen­weth hat stim­mungs­vol­le, ver­wa­sche­ne Sze­nen insze­niert, taucht schwe­di­sche Land­schaf­ten und Städ­te in schmut­zi­ge und oft kon­trast­lo­se Bil­der. Er ver­bin­det aber zum Bei­spiel auch Gemüts­schwan­kun­gen der Haupt­fi­gur Lis­beth Sal­and­ers mit auf­dring­li­chen Rot-braun-Tönen. Aller­dings ste­hen Cro­nen­weth Eric Kress´ küh­le, trost­lo­se Bil­der des Ori­gi­nals in nichts nach.

Mit einem Mix ver­stö­ren­der Abbil­der ver­frem­de­ter Gestal­ten und einer pul­sie­ren­den Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des Led-Zep­pe­lin-Klas­si­kers IMMIGRANT SONG ver­spricht ein für Fin­cher-Fil­me typi­scher Titel­vor­spann lei­der viel zu viel. Dar­über kann man hin­weg­se­hen, sobald die Hand­lung ein­setzt, denn die­se ist ent­schei­dend. Sieht man die Schwe­den­fas­sung, begeis­tern einen die unauf­dring­li­che Authen­ti­zi­tät von Noo­mi Rapace und Micha­el Nyquist als Detek­tiv-Gespann und spä­te­res Pär­chen. Aber was soll man sagen, Roo­ney Mara und Dani­el Craig tun es ihnen gleich. Natür­lich gibt es hier und da Vor­lie­ben. Da tönt es in Foren, Blogs und Feuil­le­tons, wel­cher Dar­stel­ler hier und dort wel­che Figur von wem auch immer bes­ser ver­kör­per­te. Blan­ker Unsinn, denn die­se Aus­sa­gen erge­ben sich aus besag­ten Vor­lie­ben, aber auch aus vor­ge­fer­tig­ten Mei­nun­gen. Das sind rein per­sön­li­che Betrach­tungs­wei­sen. Aber kei­ne der dar­stel­le­ri­schen Qua­li­tä­ten des einen Films steht hin­ter einer des ande­ren an. Was das Remake für den ame­ri­ka­ni­schen Markt erneut in Bedräng­nis bringt, sei­ne Daseins­be­rech­ti­gung zu erklären.

So über­ra­schend es war, dass sich tat­säch­lich ein dickes Buch in sei­ner Gän­ze in zwei­ein­halb Stun­den auf Film ban­nen ließ, genau­so über­ra­schend ist die Bezie­hung zwi­schen bei­den Film­ver­sio­nen. Am Ende ist VERBLENDUNG von 2011 doch nicht schmut­zi­ger, här­ter oder auf­wüh­len­der. Nichts bekommt man zu sehen, was man nicht auch schon in MÄNNER, DIE FRAUEN HASSEN gese­hen hat, wie der schwe­di­sche Titel von Buch und Film ist. Das betrifft die unter­kühl­te Atmo­sphä­re genau­so wie Hand­lungs­tei­le oder expli­zit kör­per­li­che Dar­stel­lun­gen. Inter­es­san­ter­wei­se schen­ken sie sich nichts, gra­ben dem ande­ren aber auch nicht das Was­ser ab. Sie sind sehens­wert, span­nend, abgrün­dig und begeistern.

Wenn man also aus einer per­sön­li­chen Betrach­tung her­aus ein objek­ti­ves Resü­mee zie­hen woll­te, müss­te man schlicht und ergrei­fend sagen, dass im Ver­gleich der einen Fas­sung nichts bes­ser und nichts schlech­ter gegen­über der ande­ren Ver­si­on ist. Somit hat David Fin­cher ein zwar klei­nes, aber eben doch ein Meis­ter­werk geschaf­fen. Und ist damit geschei­tert, zumin­dest wenn er mehr errei­chen woll­te als bereits fil­misch und gedruckt vor­han­den war. Ich war, sicher einen exzel­len­ten Film erwar­ten zu dür­fen, und wur­de reich­lich belohnt. Ob er tat­säch­lich über­flüs­sig ist, wer­de ich aus mei­ner per­sön­li­chen Betrach­tung her­aus­las­sen müs­sen. Wäre Fin­chers Ver­si­on nie ent­stan­den, hät­te ich per­sön­lich nicht das Gerings­te ver­misst. So ergab sich die Gele­gen­heit, einen wirk­lich guten Stoff in einem neu­en Gewand erneut erfah­ren zu dür­fen, und ich wur­de nicht betro­gen. Etwas, das ich über Neu­in­ter­pre­ta­tio­nen in der Regel nicht sagen kann.

VERBLENDUNG – THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO
Dar­stel­ler: Roo­ney Mara, Dani­el Craig, Chris­to­pher Plum­mer, Stel­lan Skars­gard, Ste­ven Berkhoff, Robin Wright, Yorick van Wagen­in­gen, Joely Richard­son, Goran Visn­jic u.v.a.
Regie: David Fin­cher
Dreh­buch: Ste­ven Zaillian
Kame­ra: Jeff Cronenweth
Bild­schnitt: Kirk Bax­ter, Angus Wall
Musik: Trent Rez­nor, Atti­cus Ross
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Donald Graham
zir­ka 158 Minuten
USA 2011

 

Pos­ter und Pro­mo­fo­tos Copy­right Colum­bia Pictures

2 Kommentare zu „Finchers Stil sorgt für VERBLENDUNG“

  1. Ein sehr schö­ner Arti­kel! Zwar habe ich den Film nicht gese­hen, doch die­se Ein­schät­zung ent­spricht ziem­lich genau dem, was ich mir bereits gedacht bzw. erhofft habe. Mit fil­mi­schen Schwer­ge­wich­ten wie David Fin­cher, Jeff Cro­nen­weth, Chris­to­pher Plum­mer und Dani­el Craig, der sich lan­ge vor sei­ner James Bond Kar­rie­re als Cha­rak­ter­schau­spie­ler bewährt hat, durf­te eigent­lich nichts schief gehen.

  2. Hal­lo Miriam,
    Du bringst mein inner­li­ches Fias­ko auf den Punkt. Mit Fin­cher Cro­nen­weth, Craig, Plum­mer, und auch Mara konn­te es eigent­lich nicht schief gehen. Nur, das es mit der gesam­ten Crew und Cast der
    schwe­di­schen Fas­sung, die alle­samt rela­tiv unbe­kannt und kei­ne Grö­ßen im Geschäft sind, auch nicht schief gegan­gen ist. Im Gegenteil.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies und von eingebundenen Skripten Dritter zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest (Navigation) oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst Du Dich damit einverstanden. Dann können auch Cookies von Drittanbietern wie Amazon, Youtube oder Google gesetzt werden. Wenn Du das nicht willst, solltest Du entweder nicht auf "Akzeptieren" klicken und die Seite nicht weiter nutzen, oder Deinen Browser im Inkognito-Modus betreiben, und/oder Anti-Tracking- und Scriptblocker-Plugins nutzen.

Mit einem Klick auf "Akzeptieren" werden zudem extern gehostete Javascripte freigeschaltet, die weitere Informationen, wie beispielsweise die IP-Adresse an Dritte weitergeben können. Welche Informationen das genau sind liegt nicht im Einflussbereich des Betreibers dieser Seite, das bitte bei den Anbietern (jQuery, Google, Youtube, Amazon, Twitter *) erfragen. Wer das nicht möchte, klickt nicht auf "akzeptieren" und verlässt die Seite.

Wer wer seine Identität im Web schützen will, nutzt Browser-Erweiterungen wie beispielsweise uBlock Origin oder ScriptBlock und kann dann Skripte und Tracking gezielt zulassen oder eben unterbinden.

* genauer: eingebettete Tweets, eingebundene jQuery-Bibliotheken, Amazon Artikel-Widgets, Youtube-Videos, Vimeo-Videos

Schließen