INSURGENT – Bundesstart 19.03.2015
Seit zweihundert Jahren ist Chicago mit einem Zaun abgeriegelt. Jenseits des Zaunes ist Leben nicht möglich. Innerhalb des Zaunes gibt es fünf Fraktionen. Die Amite sind für die Lebensmittelversorgung zuständig. Die Ferox bilden die Schutzmacht. Wissenschaftler und Lehrer sind bei den Ken. Die niemals lügenden Candor verwalten das Rechtsystem. Die selbstaufopfernden Altruan stellen die eigentliche Regierung. Es ist eine Zukunft, in der niemand gegen seine Bestimmung ankommt. Ein Ferox ist immer ohne Angst und kampfbereit. So wie ein Candor niemals lügen kann, oder ein Altruan immer nur bis zur Selbstaufgabe dienend ist. Doch da sind noch die Unbestimmten, welche alle diese Tugenden in sich vereinen, und nicht nur nach einem einzigen Kodex leben. Unkontrollierbare Individuen, die dieser Gesellschaftsordnung schaden könnten. Und die den Ken vorstehende Jeanine setzt alles daran, diese Gesellschaftsordnung zu bewahren. Was zu einem Massaker führte. Aber vier als Rebellen verfolgte Ferox und Ken gelang die Flucht. Jetzt suchen die Heldin Tris, ihr Freund Four, der Bruder Caleb, und der niederträchtige Peter Zuflucht bei den äußerst friedfertigen Amite. Die Ruhe hält nicht lange an, denn die Schutztruppen der Ferox sind schlau, und machen die Flüchtigen ausfindig. Vielleicht sind sie auch nicht so schlau, aber der Film muss endlich mal in die Gänge kommen.
Die Harry-Potter-Produzenten haben einen unentschuldbaren Trend angestoßen, und das ist der vierte Teil der Trilogie. Okay, der achte Teil von sieben Bänden, was vielleicht in Anbetracht der epochalen Geschichte gerechtfertigt war, und die reine Geld-Abzocke noch verschleierte, weil es ein neues Konzept war. Bei TWILIGHT musste man nur den Kopf schütteln, und die unverschämte Unverfrorenheit bei TRIBUTE VON PANEM schon wieder zu bewundern. Spätestens nachdem DIE BESTIMMUNG – DIVERGENT kein phänomenaler, aber doch hoch platzierter Erfolg wurde, war klar, was passieren würde. Und dazu war ein neues Gesamtkonzept für die Verfilmungen gefragt. Das Kreativteam wurde komplett ausgetauscht, bis auf Cutterin Nancy Richardson, aber der wurde Stuart Levy zur Seite gesetzt. Das lässt zwei Schlüsse zu. Entweder wollte man die einzelnen Teile unterschiedlich gestalten lassen, oder ein neues, geschlossenes Team muss die letzten drei Teile in einen Guss bringen, um die Expansion zu rechtfertigen. Niemand kann hinter die Türen eines Produzentenbüros sehen. So werden diese einem erzählen, was dem Ruf der Serie oder der Beteiligten am wenigsten schaden wird.
Ob der Wechsel INSURGENT geschadet hat, wird man letztendlich nicht sagen können. Aber er kämpft mit den Schwächen, die schon seinem Vorgänger verweigerten, ein weit breiter aufgestelltes Publikum zu finden. Und das sind immer wieder nur Kleinigkeiten, die sich schließlich aufsummieren. Hegt man böse Absichten, dann unterstellt man INSURGENT eine immer wieder kehrende Abfolge von Szenen. Eine ordentliche Action-Passage, welcher Tris’ Versuch von Trauma-Bewältigung folgt, um dann in Selbstaufgabe zu münden, aus der Protagonisten in allerletzter Sekunde gerettet zu werden. Leider ist da wirklich nicht mehr. Nur die Bemühungen in der Inszenierung, gaukeln dem Zuschauer vor, mehr Entwicklung in der Handlung wahrzunehmen, als es Duffield, Goldman und Bombacks Drehbuch wirklich zustande gebracht hat. Es geht sogar soweit, dass es an manchen Stellen dem Zuschauer eigentlich egal ist, wie eine Spannungssequenz ausgeht. Entweder ist alles möglich, oder in einer ausweglosen Situation kommt in letzter Sekunde die Rettung. Und wiederholt entscheidet sich die Handlung für letzteres. Originalität ist für INSURGENT ein Fremdwort. Die Macher in allen Branchen setzen auf Sicherheit, auf Konzepte die sich schon immer bewährt haben. Es ist die Kunst des Einlullens, dem Publikum Altbekanntes in neuem Gewand zu zeigen. Dadurch kommt der Film in die Zwickmühle, im Grunde kein schlechter Film zu sein. Obwohl man es ihm eigentlich allzu gerne ankreiden möchte.
Wenn man sich um die Inszenierung streiten kann, den Verlust von Kreativität beklagen will, oder keine Einwände gegen den Mainstream gelten macht, dann ist dies ohne weiteres gerechtfertigt. Die Diskussion kann jeder für sich auf beiden Seiten durchaus auch gewinnen. Was allerdings aufstößt, ist ein ständiges Gefühl von falscher Logistik. Da wären zum Beispiel ein paar Dutzend Amite, die Lebensmittel für den Rest der Bevölkerung produzieren. Sieht man in der Schlusssequenz die Massen von Menschen, übersteigen diese um ein vielfaches der Anzahl von möglichen Amite, welche die Bewohnern überhaupt ernähren könnten. Schließlich ist da auch noch die Geografie von Chicago, welche nie wirklich zu stimmen scheint. Da sieht man des Öfteren das Hancock-Center, welches im Film immer wieder irgendwie falsch positioniert scheint. Das ist für einen Auswärtigen natürlich irrelevant. Aber ist es das auch für die Glaubwürdigkeit des Filmes? Dann gibt es ein Tor im abschirmenden Zaun, das eigentlich im ausgetrockneten Michigan Lake liegt. Spärliche Hinweise deuteten im Vorgängerfilm allerdings darauf hin, dass beim Bau des Zaunes der See noch Wasser hielt. Das sind Fehler, welche man in einem kleinen Brainstorming hätte beiseite schaffen können. Einem aufmerksamen Zuschauer hingegen wird es keine Ruhe lassen. Wie auch die Außenbereiche der Amite, wo der Speisebereich und das Mobiliar im Freien stehen. Wer einmal einen Winter in Illinois verbracht hat, der wird sich an den Kopf langen, wenn jemand behauptet, dort mehr als sechs Monate in sommerlichen Gefilden verbracht zu haben. Im Übrigen zeigt das Set-Design auch keinerlei Alternativen, welche eine Möglichkeit für diese Fraktion aufzeigt, wie sie in kälteren Jahreszeiten untergebracht sein könnten.
Es gibt haufenweise beeindruckende Sequenzen, in welchen besonders der nachträglich konvertierte 3D-Effekt zum tragen kommt. Man merkt, dass die Bildgestaltung bereits im Vorfeld genau darauf geachtet hat, wo die Stereo-Konvertierung am Besten eingesetzt werden könnte, was andere Filme stark vermissen lassen. Besonders wenn Tris in einer Simulationssequenz versucht, ihre längst dem Régime geopferte Mutter zu retten. Irgendwie hat sich das Effekte-Team untereinander darauf geeinigt, Zerstörungen in den dargestellten Pseudo-Realitäten mit sich aufsprengenden Blöcken zu gestalten. Also verbringt INSURGENT sehr viel Zeit damit, Sequenzen zu zeigen, in denen sich Gebäude, Menschen oder andere Dinge in Trümmer auflösen, die auseinander driften. Ein Effekt der schön anzusehen ist, sich aber schnell abnutzt.
Es ist ein Film der vielen Zufälle. Es gibt immer die notwendigen Gimmicks, um eigentlich unlösbare Probleme zu lösen. In ausweglosen Situationen erscheinen unvermittelt tatkräftige Helfer. Verstärkung tritt immer erst im letzten Moment ins Bild, um Spannungsmomente zu generieren. Robert Schwentke wird dem Drehbuch gerecht, und kann es durchaus auch aufwerten. Dennoch bleibt seine Inszenierung auf den ohnehin engen Kreis von Zielpublikum gerichtet. Er unternimmt keinerlei Bemühungen, die Fesseln von eingefahrenen Schemata aufzureißen. Das macht einen an Action reichen Film, in weiten Teilen bleibt er sogar spannend, und die Darsteller sind eine hilfreiche Bereicherung. Aber INSURGENT könnte so viel mehr. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Buchtrilogie über eine dystopische Zukunft kommt, die durch einen jugendlichen Helden aufgebrochen wird. MAZE RUNNER wartet im September mit der zweiten Verfilmung auf, ohne dass der dritte Teil angekündigt ist. Bei THE GIVER blieb diese Buchreihe mangels Erfolg ohne weitere filmische Adaption. Es ist also sehr eng, und damit auch gefährlich. PANEM wird zweifellos ungeschlagener Favorit in diesem merkwürdigen Sub-Genre bleiben. Desto wichtiger wäre es gewesen, dem Publikum mehr zu geben als nur wirksame, aber am Ende belanglose Kinounterhaltung. Und sollte dies der Buchvorlage geschuldet sein, dann darf man eben darauf keine Rücksicht nehmen. Wie oft müssen Romane gebogen und umgeschrieben werden, damit ein stimmiges Drehbuch daraus wird. INSURGENT hätte sich besser aufstellen müssen, um die Aufmerksamkeit für die abschließenden zwei Teile zu intensivieren.
DIE BESTIMMUNG – INSURGENT
Darsteller: Shailene Woodley, Miles Teller, Ansel Elgort, Theo James, Naomi Watts, Kate Winslet, Jai Courtney, Octavia Spencer, Ashley Judd u.a.
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: Brian Duffield, Akiva Goldsman, Mark Bomback, nach der Trilogie von Veronica Roth
Kamera: Florian Ballhaus
Bildschnitt: Stuart Levy, Nancy Richardson
Musik: Joseph Trabanese
Produktionsdesign: Alec Hammond
117 Minuten
USA 2015
Promofotos Copyright Concorde Film