Obwohl ich die zweite Frage aufgrund von Befangenheit nicht beantworten kann, ist die Antwort auf die erste recht einfach: beim Steampunk ist bekanntermaßen das »Machen«, also das Herstellen oder »Verfeinern« von Gegenständen oder das Herstellen von passender Kleidung ein zentrales Thema. Daher finde ich es persönlich naheliegend, sich eine Messe wie die Creativa mal unter diesen Aspekten näher anzusehen – denn die Veranstaltung wirbt damit, geradezu ein Tempel der Kreativität zu sein.
In wie weit sich der Besuch für den Steampunk-Maker lohnt, beleuchtet dieser Bericht, der allerdings durchaus auch andere Aspekte betrachtet.
Falls jemand noch nichts von der Veranstaltung gehört haben sollte, vorab einige Basisinfos:
Die jährlich in den Westfalenhallen Dortmund ausgerichtete Creativa findet 2012 zum 31. Mal statt. Sie ist nach Angaben der Veranstalter die größte europäische Messe für »kreatives Gestalten«, nimmt aktuell die Messehallen vier bis acht auf insgesamt 36000 Quadratmetern ein und konnte im letzten Jahr ca. 78000 Besucher zählen. In diesem Jahr fand man auf der Veranstaltung 663 Aussteller aus 22 Ländern.
Die Veranstalter der Creativa nennen als zentrale Themen Kunsthandwerk, Handarbeiten, Stoffe, Patchwork-Stoffe, Quilts, Bastel- und Künstlerbedarf, Spiele, Holzwaren, Papier, Stempel, Scrapbooking, Dekoartikel, Kurzwaren, Bänder und Borten, Applikationen (im Sinne von Deko für Bekleidung, nicht als Software), Bekleidung, Kindermoden, Puppen und Zubehör, Perlen, Schmuck und Schmuckzubehör.
Damit ist die Bandbreite meiner Meinung nach auch deutlich umrissen, wobei der Löwenanteil auf die Schmuckherstellung entfällt – und hierbei liegen die Perlen ganz weit vorne.
Die Besucherbandbreite ist nicht ganz so groß. Gefühlt waren ca. 99% Frauen anwesend, objektiv betrachtet dürften es wahrscheinlich eher 98% gewesen sein. ;o) Das Durchschnittsalter bewegte sich über meinem – und ich habe die Mitte der 40 bereits überschritten. Damit ist die anwesende Zielgruppe im Prinzip klar umrissen: Frauen, genauer gesagt Hausfrauen und Rentnerinnen, womit die Messe meiner Ansicht nach allerdings ihr Potential nicht ausschöpft, denn die gezeigten Themenbereiche ließen sich problemlos durch andere »modernere« kreative Techniken erweitern, um ein breiteres Publikum auf die Veranstaltung zu locken und diese so für deutlich mehr Personenkreise attraktiv zu gestalten.
Ich hatte mich neben anderem unter dem Aspekt auf den Weg nach Dortmund gemacht, einmal sehen zu wollen, ob man als Steampunk-Maker dort Anregungen erhalten oder vielleicht sogar Materialien für Projekte bekommen kann. Ich war der Ansicht, dass insbesondere in Sachen Deko und kleinerer Gimmicks, die die eigenen Kreationen vervollständigen oder abrunden sollen, etwas zu finden sein sollte. Dem war im Prinzip auch so, ich gehe auf ein paar Beispiel ein und zeige auch entsprechende Bilder. Grundsätzlich kann man in diversen der oben genannten Themenbereiche tatsächlich Nutzbares finden.
Ich werde allerdings auch auf Themen abseits des Steampunks eingehen.
Wie oben angemerkt, sind Perlen im Handarbeitsbereich offensichtlich nach wie vor DAS zentrale Thema. Man merkte das auch daran, wie es sich durch die Messe zog, man fand entsprechende Stände nicht nur im Rahmen der »Perlen-Expo« der Themenhalle vier, sondern auch in jeder der anderen Messehallen. Man findet dabei natürlich ungeheuer viel Nippes (wie überhaupt auf der Messe), aber auch ganz bemerkenswerte Stücke international anerkannter Künstler und Designer.
Japans wahrscheinlich renommierteste Perlenkünstlerin Takako Sako stellte einen Kimono vor, der aus 2,1 Millionen Perlen gewebt wurde und ein Gewicht von 14 Kilogramm aufweist. Das war ein beeindruckendes Stück Handwerksarbeit. Das Kleidungsstück war auf der Creativa zum ersten Mal in Deutschland zu sehen und zum letzten Mal außerhalb Nippons, denn es wird demnächst einen festen Platz in einer Dauerausstellung des Kabuki-Theaters in Tokio einnehmen.
Bemerkenswert fand ich die Stücke von Jeff Pines aus den USA, der sich mit seinen folkloristischen und mythologischen Stücken weit abseits des Mainstreams der anderen Schmuckherstellungsanbieter befand und auch überaus freundlich Auskunft gab. Er war überrascht, dass mir beispielsweise der »Tag der Toten« in Mexico geläufig war (er hatte ein Armband zu dieser Thematik) – möglicherweise war ich der einzige Besucher des Messe, der den Begriff kannte. :o) Siehe Bilder.
Im Bereich Perlen, Ketten und Schmuck findet man natürlich tatsächlich haufenweise nutzbares Material für Steampunk-Anwendung, man könnte sich bei diversen der Anhänger oder Applikationen vorstellen, diese auch als Verzierungen für ein viktorianisch angehauchtes Projekt verwenden zu können.
Erwähnen möchte ich zudem eine erhebliche Menge von Lederbändern in verschiedenen Ausführungen, Farben und Qualitätsstufen, sowohl echt wie auch echt wirkendes Kunstleder, die man sicher prima für verschiedene Zwecke verwenden kann. Mir schwebte auf Anhieb vor, dass man damit beispielsweise Griffe von in Strahlenpistolen umgemoddete Nerf-Guns umwickeln könnte, oder Kabel in den hohlen Ausführungen versteckbar wären.
»Viktorianisch« oder Design-Anleihen aus dem frühen 20. Jahrhundert waren überhaupt bemerkenswert häufig vertreten, allerdings leider zu oft in derart übertriebenen Kitschvarianten, dass man eine Nutzung ausschließen möchte; zwar ist Steampunk-Ästhetik ja oft eine Symbiose aus geradliniger Technik, organischen Formen und Verzierungen, aber es sind Grenzen gesetzt, die von bonbonbunten und unerträglich kitschigen Motiven durchbrochen werden – das geht gar nicht.
Man findet aber immer wieder auch tatsächlich nutzbare Werkstoffe oder Gimmicks, beispielsweise könnte man sich bei Aufkleberbögen mit silbernen oder goldenen zeitgenössischen Verzierungen vorstellen, diese bei einem Projekt zu verwenden (und aus Schutzgründen später mit Klarlack zu überziehen). Alternativ wäre denkbar, die Aufkleber vor der Grundlackierung als minimal erhobene Verschnörkelungen auf Objekten anzubringen und diese dann komplett mit über zu lackieren, um sie dann später durch individuelle Bemalung wieder hervorzuheben.
Viel versprochen hatte ich mir vom vor der Messe groß angekündigten »knetbaren Glas«. Hierbei werden Glaspartikel in eine Masse eingebettet und damit knet- und formbar gemacht, ähnlich wie Knetmasse. Danach kann man die erstellten Stücke dann entweder in einem Brennofen oder aber mit einem Hilfsgefäß (»Mikro-Fuser«) auch in der Mikrowelle brennen und es werden Glas-Stücke daraus. Leider wirkten die entstehenden Stücke deutlich zu organisch, um beim Steampunk Verwendung finden zu können, eventuell ist die Nutzung als Schmuckstein bei entsprechender Formung aber möglich. Weiterhin war man am Stand intensiv mit der Zielgruppe beschäftigt und ordnete mich wohl nicht als potentiellen Kunden ein, so dass ich weitere Informationen leider nicht erhalten konnte. Die ganze Sache war auch nicht gerade preiswert, aber das mag der Tatsache geschuldet sein, dass es sich um ein brandneues (no pun intended) Produkt handelt.
Deutlich interessanter die umfangreiche Auswahl von beschichtetem Aludraht in diversen Formen, Stärken und Breiten bei Hobby-Trend aus den Niederlanden, dieser Draht ist für Verzierungen von Steampunk-Projekten defintiv und vielfältig geeignet. Schon der Anbieter beschränkte sich bei dem Material nicht auf einen Anwendungsbereich – wie zum Beispiel Schmuckherstellung – sondern zeigte sehr vielfältige unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten. Definitiv eine intensivere Betrachtung wert.
Seit Jahrzehnten kenne ich persönlich Holzkästchen in diversen Ausführungen, die man dann mehr oder weniger gelungen bemalen und zur Schmuckaufbewahrung oder ähnliche Zwecke verwenden kann. Aufgrund der gewählten Formen sind diese mit der entsprechenden Behandlung und nach dem Hinzufügen von zusätzlichen Ornamenten als »Verpackung« oder vielleicht besser »Versteck« für ein Hightech-Produkt zu verwenden. Um diese oder ähnliche Boxen zu bekommen reicht allerdings auch ein Besuch im nächsten Bastelladen.
Ein weiteres Thema, bei dem man reichlich nutzbare Dinge finden konnte, war »Dekoration« im weitesten Sinne. An erster Stelle sind hier zahlreiche Schablonen mit passenden Motiven zu nennen, mit deren Hilfe man viktorianische Dekoelemente auf Objekte aufbringen konnte, seien es nun Fensterscheiben, Holz oder Textilien. Ein Anbieter hatte Metallic-Textilfarben im Programm, äußerst interessant allerdings auch metallische Bügelfolien, die man mittels einer Schere in eine gewünschte Form bringen und dann aufbügeln konnte.
Im Deko-Bereich existiert als Handarbeit unter anderem die Herstellung von dreidimensionalen »Bildern«, wobei man verschiedene Objekte und Papierelemente miteinander kombiniert. Die plastischen Objekte liegen hier als ausgestanzte Moosgummi-Matten mit einer Dicke von ca 8 mm vor, auf deren Vorderseite sich Motive befinden – ich entdeckte zum einen ein Zahnrad und zum anderen ein altes Zifferblatt. Allerdings ware der Preis für ein bischen Moosgummi mit 15 Euro meiner Ansicht nach geradezu aasgeierig teuer.
Ebenfalls erwähnenswert dürfte Tusche ein diversen Farben sein, deren Verpackung bereits auf altertümlich gestyled war und dazu passend Schreib- und Kalligraphiefedern in verschiedenen Ausführungen. Eine Möglichkeit, entweder das Outfit mit passenden Detail zu vervollständigen oder aber handschriftliche Unterlagen herzustellen – wenn man denn kalligraphisch begabt ist (oder es lernen möchte).
Passend dazu gab es an einem Stand »Distress-Ink«, eigentlich eine Art Stempelkissen, allerdings befand sich darauf eine Anleitung, mit deren Hilfe man normales Schreibpapier unter Zuhilfenahme der »Distress-Ink« in alt wirkendes Pergament verwandeln kann.
Nicht zuletzt dreht sich ein Thema der Creativa natürlich auch um Schneiderei, hier war die Vielfalt der feil gebotenen Stoffe allerdings leider begrenzt und ich konnte überraschend wenig entdecken, was augenfällig für’s Genre geeignet gewesen wäre. Ein Besuch bei Alphatex dürfte deutlich ergiebiger sein.
So weit meine Eindrücke von der Creativa 2012. Im Anschluss an diesen Artikel noch einmal alle Bilder (also mehr als hier im Text zu sehen sind) mit entsprechender Beschriftung.
Abschließend möchte ich das Fazit ziehen, dass allein schon durch die Menge angebotener Waren selbstverständlich auch für den Steampunk-Maker reichlich Brauchbares zu finden ist, auch wenn verständlicherweise keines des Angebote speziell auf diese Zielgruppe ausgelegt ist. Denn eins ist ganz klar: das Angebotene im Bereich Kreativität stammt allesamt aus dem Kommerz-Mainstream.
Meiner Ansicht nach verschenkt die Creativa diverse Bereiche kreativer Tätigkeiten, die vielleicht nicht so bekannt sind und konzentriert sich zu stark auf die Zielgruppe Frauen, Hausfrauen und Rentnerinnen. Diese Messe wäre viel interessanter und vollständiger, wenn auch auf moderne(re) Schaffensbereiche und Hobbies eingegangen werden würde. Als Beispiele kann man hier Case-Modding, Gewandungserstellung für Cosplay und LARP oder eben die diversen Spielarten des Steampunk-Makings nennen. Vielleicht wäre es sinnvoll, diesen neuen Varianten von Handarbeit und Kreativität (die sich streng genommen vom auf der Messe gezeigten nur dadurch unterscheiden, dass sie eben vergleichsweise neu sind) in Zukunft einen Platz einzuräumen. Ich gehe fest davon aus, dass sich diese beiden Varianten des Hobbies – also klassische Handarbeit mit der erlebten Zielgruppe und moderne kreative Hobbies mit den deutlich jüngeren und unkonventionelleren Anbietern und Interessenten – gegenseitig befruchten würden.
Vielleicht denken die Anbieter ja fürs nächste Jahr einmal darüber nach, die neuen Varianten des kreativen Hobbies zu präsentieren. Da es sich dabei allerdings in den meisten Fällen wirklich um Hobbyisten handelt, die keine gigantischen Umsätze generieren und sich dementsprechend auch nicht die Standkosten leisten können wie die hauptsächlich auf Verkauf ausgelegten Stände der Anbieter bisher, müsste das voraussichtlich erst einmal durch die Veranstalter gesponsort werden. Es ist aber bei einem Erfolg davon auszugehen, dass Anbieter von Materialien für die »neuen« Kreativ-Hobbies dann nachfolgen werden.
Mit einer Aktualisierung und Bandbreitenerhöhung der Themen sowie entsprechender Werbung an den richtigen Stellen bin ich sicher, dass es möglich wäre, die Besucherzahlen deutlich zu erhöhen und die Messe über die vorgefundene Zielgruppe hinaus allgemein attraktiver zu gestalten.
Für Freunde von Mainstream-Handarbeiten, Künstlerbedarf und insbesondere Schmuckherstellung ist die Messe aber allemal einen Besuch wert – und wie wir sehen konnten eingeschränkt durchaus auch für Maker und Makerinnen aus der Steampunk-Szene.
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Text und alle Bilder: Stefan Holzhauer
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Coole Tipps :-)