Bundesstart 24.01.2019
Ja, wo Marvel drauf steht, ist auch Stan Lee drin. Vorsicht für alle Film-Buffs, kurz einmal mit dem Nachbarn geschwätzt, schon hat man ihn verpasst. Aber es bleibt wirklich ausreichend Gelegenheit, sich in anderen vielen kleinen und größeren Details zu verlieren. Außerdem geht es ja in erster Linie um den liebenswertesten aller Bösewichter aus den Konsolenspielhallen. Schon zu Beginn des Filmes macht diese Fortsetzung den Eindruck, dass sie keine erzwungene Geldmaschine sein soll, die sich am Erfolg des Vorgängers gütlich tun will. Natürlich möchte Teil zwei genau das, die Regeln des Geschäftes sehen das so vor. Aber man kann sehr wohl darüber hinweg sehen, weil Autor Johnston mit seine Kollaborateurin Pamela Ribon mit viel Sorgfalt gegenüber dem Zuschauer, der Geschichte und seinen Figuren einen fast fließenden Übergang zwischen den zwei Filmen gelingt. Auch wenn zwischenzeitlich sechs Jahre vergangen sind. Genau wie in der Handlung von CHAOS IM NETZ.
Vanellope ist noch immer besessen von ihren Autorennen im Spiel Sugar Rush. Und wenn Mr. Litwak seinen Laden »Litwaks Arcade« schließt, hängt sie mit ihrem besten Kumpel Ralph bis zur nächsten Öffnung die Nacht über ab. Ralph, noch immer von unbeschwerten Gemüt und mit der Gesamtsituation durchaus zufrieden, scheint eher wie das Gegenteil von Vanellopes haltlosem Tatendrang. Genau das ist die eigentlich Idee hinter CHAOS IM NETZ: wo beginnt oder endet Freundschaft, und wie verhält es sich mit dem eigenartigen Begriff Kompromiss. Dies wird auf die Probe gestellt, als Ralph und Vanellope zwar gewollt im Internet landen, doch die dortigen Regeln lange nichts mehr mit in sich geschlossenen Videokonsolen zu tun haben. Johnston und Ribon haben Unmengen von Seitenhieben und Details in Bezug auf Internetphänomene, Popkultur und Heimtücken des Netzes aufgegriffen. Wer versucht, sich nur einen Bruchteil zu merken, wird schnell aufgeben. Und genau dies ist das Schöne im Film. Die Regie von Johnston und Moore winkt nicht mit dem großen Zaunpfahl. Der Zuschauer ist gefordert, zumindest der erwachsene.
Es tut sich eine gewisse Kluft zwischen den kleinen und großen Zuschauern auf. Die Dialoge sind in weiten Teilen spaßbefreit, weil sie sich zu sehr auf die Grundaussage konzentrieren und alles bis in Detail erklären möchten. Eine vertane Möglichkeit, Kinder und ihre Eltern in einen Dialog zu bringen. Andersherum könnten die Jüngeren mit all den Anspielungen, computertechnischen Finessen und der eigentlichen Struktur des Internets ihre Schwierigkeiten bekommen. Auch wenn die jetzt heranwachsende Generation schon viel weiter ist, als man ihr zutrauen würde.
Eine Musical-Szene mit Vanellope und den Disney-Prinzessinnen ist sogar so bieder inszeniert, dass man verzweifelt, aber umsonst, auf eine originelle Auflösung hofft. Doch auch wenn sich die zwei Teile der Handlung immer wieder schwer tun, ineinander zu greifen, schmälert das nicht den Genuss dieser im Grunde sehr gelungenen Fortsetzung. Welcher Film hat denn nicht mit den ein oder anderen Schwächen zu kämpfen? Tief im Herzen ist jeder Zuschauer mit Ralph verbunden, und das ist schon der Garant für einen wundervollen Kinoabend, bei dem man nicht viel verzeihen muss, sondern genießen kann.
Zu den Höhepunkten zählt zweifellos das Geständnis der Disney-Prinzessinnen, dass sie in ihren eigenen Filmen bei einer Krise in ein Gewässer blicken, in eine melancholische Ballade ausbrechen, wo sich dann im Spiegelbild des Gewässer das Konterfei des Herzallerliebsten offenbart. Die Auflösung dieser Szene ist vielleicht sogar absehbar, aber im Gesamten doch eine der witzigsten Sequenzen. Wenigen wird auffallen, wie Aschenputtel bei einem anstehenden Kampf zur Abwehr die Spitze ihres gläsernen Schuhs abschlägt. Selbstredend sind die scheinbar unerschöpflichen Auftritte von bekannten Film- und Internet- oder Konsolenfiguren ein wahrer Fundus für Filmversessene und ältere oder jung gebliebene Spieler. In der Textur der Animationen einzelner Figuren hat man sehr genau darauf geachtet, dass man ungefähr erahnen kann, in welchem Jahrzehnt der jeweilige Charakter heimisch war. Doch diese Umsetzung ist keineswegs aufdringlich, sondern angenehm leicht angedeutet.
CHAOS IM NETZ ist ein Beweis dafür, dass die Macher nicht einfach nur dem Erfolg hinterher rennen, sondern sich der Erfolg aus dem Verständnis für Figuren und Thematik von selbst ergibt.
Und wer entdeckt das Zeichen A113, welches in jedem Pixar-Film zu sehen ist, und zum Teil auch in Filmen anderer Studios? Nach wie vor die Zimmernummer eines realen Klassenzimmers, wo angehende Pixar-Animationskünstler ihren Feinschliff bekommen.
RALPH BREAKS THE INTERNET – CHAOS IM NETZ
Stimmen:
Ralph: John C. Reilly / Pierre Peters-Arnolds
Vanellope von Schweetz: Sarah Silverman / Anna Ficher
Shank: Gal Gadot / Maria Koschny
Yesss: Taraji P. Henson / Tanja Geke
Felix: Jack McBrayer / Kim Hasper
Alleswisser: Alan Tudyk /Lutz Mackensy
und
Buzz Lightyear: Tim Allen / Walter von Hauff
Regie: Phil Johnston, Rich Moore
Drehbuch: Phil Johnston, Pamela Ribon
Kamera: Nathan Warner
Bildschnitt: Jeremy Milton, Fabienne Rayley
Musik: Henry Jackman
Produktionsdesign: Cory Loftis
1 Std. 52 Min.
USA / 2019
Promofotos Copyright Walt Disney Studios Motion Pictures