Der Zweite ist wieder einmal, dass die Autorin Becky Chambers ihr Buch THE LONG WAY TO A SMALL, ANGRY PLANET ursprünglich nicht mit einem Verleger realisiert hat, sondern über eine Crowdfunding-Kampagne via Kickstarter im Jahr 2012. In der Rückschau wundert mich das auch kaum, denn es hat zu viele Parameter, bei denen sogenannte professionelle Verlage gern abwinken. Es ist unter anderem deutlich zu umfangreich und zudem noch gegen jede Menge vorgebliche Regeln der Schriftstellerei geschrieben. Und das ist eins der Probleme mit den großen Verlagen heutzutage: Da sitzen Leute, die meinen die Weisheit, wie man Bücher schreibt, mit schaufelgroßen Löffeln gefressen zu haben. Und wenn wir immer nur auf die hören würden, dann entwickelte sich das Schreiben nie weiter.
Kurzbeschreibung:
When Rosemary Harper joins the crew of the Wayfarer, she isn’t expecting much. The Wayfarer, a patched-up ship that’s seen better days, offers her everything she could possibly want: a small, quiet spot to call home for a while, adventure in far-off corners of the galaxy, and distance from her troubled past.
But Rosemary gets more than she bargained for with the Wayfarer. The crew is a mishmash of species and personalities, from Sissix, the friendly reptillian pilot, to Kizzy and Jenks, the constantly sparring engineers who keep the ship running. Life on board is chaotic, but more or less peaceful – exactly what Rosemary wants.
Until the crew are offered the job of a lifetime: the chance to build a hyperspace tunnel to a distant planet. They’ll earn enough money to live comfortably for years… if they survive the long trip through war-torn interstellar space without endangering any of the fragile alliances that keep the galaxy peaceful.
But Rosemary isn’t the only person on board with secrets to hide, and the crew will soon discover that space may be vast, but spaceships are very small indeed.
Und jetzt kommt sofort der in meinen Augen (fast) einzige Kritikpunkt: Ich habe die selbstpublizierte Version vor zwei Monaten (oder so ähnlich) gekauft. Für angemessen kleines Geld und mit einem SF-Cover. Mitte März schien die Version, für die ein Verlag Moneten rüber gerückt hat und seitdem ist die Indie-Fassung, nicht mehr erhältlich. Dank der überaus positiven Rückmeldungen zu diesem Roman, haben sich Autorin und Verleger (oder nur der Verleger) entschlossen, mal so richtig Kohle für das Buch abzugreifen. Auf einmal kostet der Roman nicht mehr 4,37 Euro, sondern 12,00 Euro – und hat dafür auch noch ein nichtssagendes Cover erhalten.
Whatever. Ich bespreche hier die Indie-Version, da ich keine Ahnung habe, inwiefern die Verlagsversion verschlimmbessert wurde. Aber diese Geldschneiderei geht gar nicht.
Wenn ich SF lese, möchte ich ferne Zukunft, ich möchte eine Menschheit, die in die Galaxis (oder vielleicht darüber hinaus) vorgestoßen ist und dabei auf einen Haufen merkwürdige Aliens traf. Wer weiß, wie schlecht schon Menschen verschiedener Länder oder Kontinente aufgrund ihrer kulturellen Unterschiede miteinander klar kommen, der kann sich grob vorstellen, was geschehen würde, wenn wir auf Aliens treffen. Deswegen bin ich auch so ein überaus großer Fan von Alan Dean Foster und seinem Humanx-Universum. Weil er erzählt, wie man solche Diskrepanzen hinter sich lassen kann.
Becky Chambers macht in diesem Kontext alles richtig. Sie breitet nach und nach ein überaus komplexes Universum vor dem Leser aus. Der Kunstgriff dabei ist, dass dies ausschließlich über die doch sehr kleine Gruppe an Bord des Tunneller-Raumschiffs Wayfarer geschieht. Die sind da nur zu neunt – und ähnlich wie bei FIREFLY muss man sich zusammenraufen, will man seinen Job machen. Dieser Job ist wichtig, aber nicht einfach: Tunneller-Schiffe beißen sich durch Raum und Zeit, um Abkürzungen zu schaffen, man könnte vermutlich Wurmlöcher sagen, mit deren Hilfe große Entfernungen schnell zu überbrücken sind. Ein nicht ungefährliches Geschäft.
Das klingt wie ein höchst Technobabbel-lastiges Buch, aber genau das ist völlig falsch. Ja, es gibt Technobabbel, zuhauf. Das stört allerdings keinen SF-Fan, weil es nicht der wichtige Punkt ist und auch nicht so verkauft wird. Ob man die Techno-Nomenklatur versteht, ist weder handlungswichtig, noch sonst wie von Relevanz, man kann zur Not einfach darüber hinweg lesen.
Das zentrale Ding im Roman sind die Charaktere und deren Beziehungen zueinander, zu anderen und zur Gesellschaft an sich. Und genau deswegen funktioniert auch der merkwürdige Ansatz dieses echt langen Buches zu einem wütenden, kleinen Planeten: Es ist eine Art interstellares Roadmovie; wichtig ist hier zuallererst die Reise, weil diese einem die Protagonisten mit all ihren menschlichen und Alien-Facetten näher bringt. Es werden absonderliche Außerirdische dargestellt, und gleich kurz darauf wird erläutert, warum sie trotz dieser Fremdartigkeiten liebenswert oder nachvollzierhbar sind. Warum wir alle irgendwie nur Lebewesen sind.
Ich finde manches, was in diesem Roman beschrieben wird mutig, angesichts der Entwicklungen auf unserem beschränkten Planeten mit den leider allzu oft geistig ebenso beschränkten Denkweisen seiner Bewohner. Liebe und vielleicht auch nur einvernehmlicher Sex zwischen unterschiedlichen Spezies ist ein zentraler Punkt, ohne jedoch an irgendeiner Stelle ins Peinliche abzugleiten. Im Gegenteil. Ob nun zwischen Mensch und Alien, Alien und Alien oder Mensch und … ich sage dazu nichts weiter: Es wird das wohltuende Credo verbreitet: man muss sich einfach nur lieben. Oder verstehen. Das reicht. Das ist eine sehr humanistische Einstellung – und eine, der ich mich aus tiefstem Herzen anschließen kann.
Und das ist das Schräge an diesem nicht schlecht geschriebenen Roman, der aber völlig untypisch in seiner Dramaturgie ist: er nimmt sich Zeit für die Charaktere, auch die Nebenfiguren, und scheißt auf angeblich unumgängliche und zwingend notwendige Parameter wie Handlungsbögen. Nicht auf Spannungsaufbau, den gibt es immer wieder, denn es ist ein episodischer Roman. Aber so lange mit der Handlung nicht voranzukommen und sich stattdessen auf die Charaktere zu konzentrieren, DAS muss man sich erst einmal trauen. Und deswegen ist es ein »Roadmovie in Space«, das einfach eine Zeit lang den Figuren und den Statsionen die sie abarbeiten folgt, die man einfach liebgewinnen muss. Es ist wie eine Staffel einer TV-Serie mit zehn Episoden in einem Buch, so viele geile abgefahrene Ideen sind darin, die man meiner Ansicht nach auf gar keinen Fall verpassen sollte.
Grandios.
Ja. Der Roman ist fraglos zu lang. Sicher. Aber darüber kann und will ich jetzt nicht philosophieren, weil ich auf der anderen Seite auch nicht wüsste, was man hätte rausstreichen können. Gute Lektoren könnten dazu vielleicht etwas sagen. Und auch ich bin wie gesagt der Ansicht, man hätte das Ding locker um zehn Prozent kürzen können. Wo, das kann und will ich jedoch nicht sagen.
Wer SF in ferner Zukunft mit Raumschiffen und mit einer galaxisweiten Zivilisation aus verschiedenen sehr unterschiedlichen Spezies mag, der sollte mal einen Blick riskieren. Wer so etwas mag und dabei noch Bock auf absolut liebenswerte (mit Ausnahmen) Protagonisten hat, deren Abenteuern man nagelkauend folgt, und wer dann noch ein neues, hochgradig faszinierendes Universum vor sich ausgebreitet haben möchte, der sollte dringend einen Blick in dieses Buch werfen. Das sich handwerklich vielen angeblich zwingend erforderlichen Parametern des Schreibens widersetzt. Und das ist auch gut so.
Ich gebe neun von zehn Fire Shrimps. Die zehnte hätte es für mäßiges Raffen des Textes gegeben. Auch wenn ich – ich sage es erneut – nicht genau wüsste, wo … Und für den neuen, unverschämten Preis der »professionellen« Version müsste ich eigentlich ebenfalls nochmal was abziehen, aber ich bewerte die Indie-Fassung, die ich gelesen habe. Vielleicht bekommt ihr sie ja noch irgendwo, ich würde mal davon ausgehen, dass da sogar die Autorin mehr dran verdient … Schon dreist, dass ein hergelaufener Verlag meint, an einem crowdgefundeten Buch jetzt die dicke Kohle machen zu müssen.
p.s.: Es hat mir ungeheuer in den Fingern gekribbelt, hier mehr zu den zwischenwesischen Beziehungen zu schreiben, eben weil die so ein zentraler und großartiger Punkt von THE LONG WAY TO A SMALL, ANGRY PLANET sind, der konservative Penner sicherlich auf die Palme bringen dürfte. Der Roman ist ein Plädoyer für Toleranz über alle Grenzen hinweg, aber nicht bis zur Selbstaufgabe. Und das muss man der Autorin hoch anrechnen. Es würde aber viel zu viel Spoilern.
THE LONG WAY TO A SMALL, ANGRY PLANET
Becky Chambers
Science Fiction-Roman
selbstpubliziert
Juli 2014
ca. 399 Seiten
ca. 4,50 Euro (Indie-eBook vor ca. zwei Monaten gekauft)
ca. 12,99 Euro (Hodder & Stoughton, 16. März 2015))
Coverabbildung Copyright Becky Chambers, Klappentext aus der Verlagsversion