Bandit bespricht: Robert Zemeckis – HERE

Poster HERE

HERE – Bun­des­start 12.12.2024 – Release 31.10.2024 (AUS)

Dies ist eine Geschich­te, die vor 65 Mil­lio­nen Jah­ren begann. Aber sie ist nicht aus Ste­ven Spiel­bergs JURASSIC PARK. Was aber eine gute Brü­cke schlägt. Denn in Schub­la­den gesteckt, darf man Spiel­berg durch­aus als den emo­tio­nals­ten Fil­me­ma­cher unse­rer Zeit anse­hen. Kei­ner mani­pu­liert die Gefüh­le des Publi­kums bes­ser. Nicht weit dahin­ter ist schon Robert Zeme­ckis, der aller­dings den ers­ten Rang belegt, wenn es um Expe­ri­men­tier­freu­dig­keit geht. Kei­ner umarmt so beherzt die Neue­run­gen in der digi­ta­len Ent­wick­lung wie Robert Zeme­ckis. Sein Enthu­si­as­mus beim Live-Action-Ani­ma­ti­on-Mix ROGER RABITT war anste­ckend. Das Loch im Bauch und der ver­dreh­te Hals in DER TOD STEHT IHR GUT war bahn­bre­chend. Und FORREST GUMP trieb dies alles auf die Spit­ze. Was mit Moti­on-Cap­tu­re in POLAR EXPRESS erreicht wur­de, war weg­wei­send und ist noch lan­ge nicht zu Ende ent­wi­ckelt. Robert Zeme­ckis zeigt unge­mein beein­dru­ckend, wohin die Rei­se im visu­el­len Erzäh­len gehen könn­te.

Grund­la­ge für das von Zeme­ckis und Eric Roth ver­fass­te Dreh­buch ist die Gra­phic Novel glei­chen Titels von Richard McGui­re. Eine ein­zi­ge fes­te Kame­ra­ein­stel­lung, wel­che an Ort und Stel­le in Abris­sen die Ereig­nis­se von den Dino­sau­ri­ern bis ins Heu­te zeigt. Wo spä­ter ein Wohn­zim­mer gebaut sein wird, und Kin­der gebo­ren und erwach­sen wer­den, ist ganz am Anfang ein Dino­sau­ri­er-Gele­ge mit lee­ren Eier­scha­len. Das Leben ist an die­ser Stel­le immer­zu prä­sent. Ein indi­ge­nes Paar wird hier an die­ser Wald­lich­tung eine Fami­lie grün­den. In Blick­rich­tung lässt Wil­liam Frank­lin (unehe­li­cher Sohn von Ben­ja­min) sein Land­haus errich­ten. Spä­ter wird das eigent­lich Haus der Geschich­te um die Kame­ra her­um errich­tet, mit Pan­ora­ma­fens­ter. Hier wird zum Bei­spiel, his­to­risch nicht wirk­lich kor­rekt, der Lay-Z-Boy Fern­seh­ses­sel erfun­den. Und nach dem zwei­ten Welt­krieg kau­fen schließ­lich Al und Rose Young das Haus, um glück­lich eine Fami­lie zu grün­den.

Wer eini­ger­ma­ßen Augen und Ohren offen hält, dem kann nicht ent­gan­gen sein, dass HERE nach drei­ßig Jah­ren, erneut die füh­ren­den FORREST GUMP-Hero­en ver­eint. Selbst­re­dend Zeme­ckis, in den Haupt­rol­len Robin Wright und Tom Hanks, Eric Roth fürs Dreh­buch, Kom­po­nist Alan Sil­ves­tri, Sound­de­sign von Ran­dy Thom, und Joan­na John­s­ton mit ihren Kos­tü­men. Was sich sehr gut anhört, aber nur in weni­gen Details auch wirk­lich gut gewor­den ist. In sei­ner gestal­te­ri­schen Umset­zung ist HERE ein rich­ti­ges Ereig­nis, bei dem man in vie­len Sze­nen gar nicht weiß, wohin man der Blick zuerst wen­den soll.

Der Film wird nicht line­ar erzählt, und wech­selt meist will­kür­lich, manch­mal mit raf­fi­nier­ten Über­gän­gen, zwi­schen den ver­schie­de­nen Schick­sa­len und Zei­ten. Nach Bedarf öff­nen sich dazu Fens­ter im Bild, die eine ande­re Ebe­ne frei­ge­ben. Der Fern­se­her aus 1965 kann somit sicht­bar blei­ben, wenn 1920 am sel­ben Ort der Laz-Y-Boy erfun­den wird. Oder einem Cha­rak­ter ver­sagt 1970 das Herz, wenn sich ein Fens­ter öff­net und 1918 im sel­ben Wohn­zim­mer ein Opfer der spa­ni­schen Grip­pe am offe­nen Sarg betrau­ert wird. So wer­den Figu­ren aus einer Epo­che, zu Prot­ago­nis­ten in einer ganz ande­ren Zeit­ebe­ne. Es kommt auch vor, dass gleich meh­re­re Hand­lungs­strän­ge im Bild agie­ren, oder ein geal­ter­ter Tom Hanks von sei­ner stark ver­jüng­ten Ver­si­on abge­löst wird.

 

Die Fami­lie Young nimmt die zen­tra­le Erzäh­lung ein. Kel­ly Reil­ly als Mut­ter Rose und Paul Bet­ta­ny als kriegs­ge­schä­dig­ter Al, der dem Alko­hol ver­fällt. Sie wer­den drei Kin­der bekom­men, Tom Hanks als Richard ist eines davon, der eines Tages Mar­ga­ret mit nach­hau­se bringt, gespielt von Robin Wright. Sie alle wer­den in die­sem Haus, von dem wir nur das Wohn­zim­mer mit Fens­ter­blick nach drau­ßen sehen, groß und alt wer­den. Jede Fami­lie, in jeder Zeit, hat mit all­täg­li­chen Pro­ble­men zu tun. Gesund­heit, Geld, ver­pass­te Chan­cen, uner­füll­te Träu­me, und immer kommt alles anders als gedacht.

Gestal­te­risch ist das herr­lich umge­setzt und sze­nisch exakt nach dem Kon­zept von Richard McGui­res Gra­phic Novel ent­wor­fen. Mit den sich öff­nen­den Bil­dern im Bild ent­ste­hen fas­zi­nie­ren­de Über­gän­ge, man kann stets die zeit­ge­mäß wech­seln­de Innen­ein­rich­tung ver­glei­chen. Die indi­ge­ne Fami­lie von vor 200 Jah­ren sitzt dann weni­ge Momen­te auf dem Sofa in der Neu­zeit. Das ist stets unge­wöhn­lich, aber wun­der­voll zu beob­ach­ten. Manch­mal regt das Gesche­hen zum Schluch­zen an, manch­mal ist es schwarz­hu­mo­rig. Die plat­zen­de Frucht­bla­se und der Was­ser­scha­den spre­chen für sich. Aber egal zu wel­cher Zeit, HERE hat kei­ne Sub­stanz. Es ist ein Film, der das gewöhn­li­che, das ech­te Leben reflek­tie­ren und fei­ern will. Und das tut er nicht. Das ima­gi­nä­re Ver­spre­chen aus den FORREST GUMP-Ver­bin­dun­gen ver­pufft im Nichts.

Kaum ein Kon­flikt wird gelöst – und derer gibt es vie­le. Viel schlim­mer noch, wann immer eine Kon­fron­ta­ti­on auf­bricht, wech­selt die Erzäh­lung auf eine ande­re Zeit­ebe­ne, zu ande­ren Figu­ren. Außer ihrem Leben am sel­ben Punkt auf die­ser Welt, sind die ein­zel­nen Schick­sa­le nicht mit­ein­an­der ver­bun­den und beein­flus­sen sich auch nicht. Die Dar­stel­ler sind zudem durch die star­re Per­spek­ti­ve sehr stark limi­tiert und müs­sen, oft einem Thea­ter­stück gleich, direkt der Kame­ra zuge­wandt agie­ren. Manch­mal, aber nur manch­mal, wirkt das unfrei­wil­lig komisch. Die indi­ge­ne und eine schwar­ze Fami­lie in den 2000ern, wur­den sehr auf­fal­lend wegen eth­ni­scher Ver­pflich­tung ein­ge­bun­den.

 

Das kom­plet­te Ensem­ble ist zwei­fel­los her­vor­ra­gend besetzt. Hin­der­lich ist ledig­lich die Tech­nik. Gedreht mit Meta­phy­sic Live, folgt Zeme­ckis sei­ner tie­fen Lei­den­schaft für neu­es­te Tech­no­lo­gien. Neu bedeu­tet in die­sem Fall aber nicht über­zeu­gend. Mit Meta­phy­sic Live wird die »Ver­jün­gung« oder »Alte­rung« der Dar­stel­ler direkt bei der Auf­nah­me umge­setzt und auf­ge­nom­men, ohne in die Nach­be­ar­bei­tung zu müs­sen. Das sieht an eini­gen Stel­len erschre­ckend gut aus, beson­ders beim an BIG erin­nern­den Tom Hanks. Aber in den meis­ten Auf­nah­men sind die Gesich­ter ein­fach wäch­ser­ne Flä­chen unter denen die wirk­li­chen cha­rak­ter­li­chen Züge eines Gesichts ver­bor­gen blei­ben. Robin Wright hat dar­un­ter am stärks­ten zu lei­den. HERE ist sicher­lich weg­wei­sen­der Vor­rei­ter die­ser Tech­no­lo­gie, Mani­pu­la­tio­nen direkt vor Ort umzu­set­zen. Und ganz sicher wird die Tech­nik bald per­fek­tio­niert sein. Aber in HERE wirkt sie noch sehr irri­tie­rend.

Vor­der­grün­dig sind es die visu­el­len Effek­te, die vom Auf­bau der Hand­lung und der ange­dach­ten Essenz der Erzäh­lung ablen­ken. Selbst die com­pu­ter­ani­mier­ten Land­schaf­ten und nach­träg­lich gene­rier­ten Bild­kom­po­si­tio­nen sind als sol­che sehr leicht zu erken­nen. Mit einem in allen Zeit­ebe­nen wie­der­keh­ren­den Koli­bri, des­sen sicht­ba­re Künst­lich­keit weh­kla­gen­de Stoß­seuf­zer ver­ur­sacht, wer­den unwei­ger­lich Asso­zia­ti­on an For­rest Gumps schwe­ben­de Feder geweckt. Der ohne­hin nicht sehr varia­ti­ons­rei­che Alan Sil­ves­tri wie­der­holt musi­ka­lisch den 30 Jah­re alten Klas­si­ker auch noch.

Das ist eben nur vor­der­grün­dig. Denn bereits mit ROGER RABITT oder auch dem POLAR EXPRESS hat Zeme­ckis bewie­sen, dass man das Unna­tür­li­che mit dem rich­ti­gen Gespür für Emo­tio­na­li­tät durch­aus plau­si­bel machen kann. Aber HERE fehlt die­se dra­ma­tur­gi­sche Aus­ar­bei­tung des eige­nen Anspruchs. Der Film, in dem es um das Leben als sol­ches gehen soll, sprüht vor Momen­ten, bringt die­se aber nicht als kom­ple­xes Gebil­de des wirk­li­chen Lebens zusam­men. HERE ist in Tech­nik, Gestal­tung, Insze­nie­rung und Dar­stel­lung eine per­fek­te Blau­pau­se gewor­den. Dar­auf könn­te man auf­bau­en, um einen Film wie HERE in all sei­nen Ansprü­chen stim­mig und per­fekt zu machen.

HERE
Dar­stel­ler: Tom Hanks, Robin Wright, Pault Bet­ta­ny, Kel­ly Reil­ly, Michel­le Dockery, Gwi­lym Lee u.a.
Regie: Robert Zeme­ckis
Dreh­buch: Robert Zeme­ckis, Eric Roth
Nach der Gra­phic Novel von Richard McGui­re
Kame­ra: Don Bur­gess
Bild­schnitt: Jes­se Golds­mith
Musik: Alan Sil­ves­tri
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Ash­ley Lamont
USA 2024
104 Minu­ten

Bild­rech­te: DCM

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