THE LION KING – Bundesstart 17.07.2019
Das war ein Jahr, als man den Löwen frei ließ. Es war schon die Zeit, dass traditionell jeder Zeichentrickfilm von Disney als »neues Meisterwerk« angekündigt wurde. Und selten konnte das Versprechen gehalten werden. Wie auch, war man seit Walt Disneys Tod mehr an Masse anstatt auf Klasse eingestellt. Inflationsbereinigt waren weiterhin die wahren Klassiker führend. SCHNEEWITTCHEN bleibt vorerst der erfolgreichste Disney-Zeichentrickfilm, gefolgt von 101 DALMATINER. Doch dann kommt schon der König aus der Neuzeit, wieder nur mit Klassikern wie FANTASIA, DSCHUNGELBUCH und DORNRÖSCHEN hinten an. Von den erfolgreichsten Filmen, gemessen am amerikanischen Markt, belegt KÖNIG DER LÖWEN Platz 20. Heute feiert man großartig AVENGERS: ENDGAME, allerdings nach reinen Zahlen. Tatsächlich ist der jetzt als erfolgreichste Film aller Zeiten gepriesene ENDGAME nur auf Platz 16. Also gar nicht so schlecht für KÖNIG DER LÖWEN, einen 25 Jahre alten, handgezeichneten Kinderfilm.
Jetzt streitet alle Welt über Sinn und Unsinn von Neuverfilmungen, Neuinterpretationen, oder wie man die Kinder nennen möchte. Doch damit sollte man diejenigen in Ruhe lassen, die gute Kinounterhaltung zu schätzen wissen, oder auch die ein oder andere Gurke in Kauf nehmen. Keine große Studioproduktion entwickelt sich aus Gutmenschen heraus, die dem Publikum einen Gefallen schuldig sind. Zuerst stehen die finanziellen Aspekte im Vordergrund, erst dann kommen die Egos, welche von oben herab von Regie, über Drehbuch hin zu Darstellern befriedigt werden müssen. Erst da wird der Zuschauer zum Spielball, der mit allerlei Phrasen in einen vermeintlichen Mittelpunkt gerückt wird. Für den will man ja schließlich nur das Beste. Diesen Gang und die daraus resultierenden Motivationen merkt man auch ganz stark bei der Neuverfilmung von KÖNIG DER LÖWEN.
Um bei abgedroschenen Phrasen zu bleiben, könnte man sagen: dieser Film ist ein Triumph. Auch wenn die Geschichte die althergebrachte bleibt. Mufasa, der von den Tieren verehrte Löwenkönig, und sein Sohn Simba, der naseweis glaubt, ein ebenso mächtiger König zu werden. Wäre da nicht Onkel Scar, der sich selbst als Thronfolger sieht, und dies mit allen unfairen Mitteln durchsetzen möchte. Da lebt es sich für Simba lieber nach Hakuna Matata. Bis ihn seine Bestimmung einholt. Dazwischen gibt es immer wieder die bekannten Ohrwürmer aus der Feder von Elton John und Tim Rice. Aber »Circle Of Life« oder »Can You Feel The Love Tonight« sind stimmlich und dank der deutschen Übersetzung noch immer keine Highlights. Dafür gibt es ein Neues von Elton John und eine Nummer von Beyoncé, die im Original auch Löwendame Nala spricht. Aber – Hand aufs Herz – kaum jemand kommt zum KÖNIG DER LÖWEN, um sich den Gesang um die Ohren wehen zu lassen.
Es ist die Animationstechnik, für die es noch keine offizielle Bezeichnung gibt. Am Computer generierte Bilder, die einen glauben lassen, das Hirn spielt einem einen Streich. Photorealismus wie er eigentlich nicht mehr verbessert werden kann. Regisseur Jon Favreau, der schon mit seiner Version vom DSCHUNGELBUCH die Messlatte für Animationen erschreckend hoch legen ließ, nennt es »technologische Durchbrüche«. Und nach diesen unglaublichen Fortschritten bei DSCHUNGELBUCH wollte er wissen, was man wirklich damit anstellen kann. Das klingt keck und nach einem flotten Spruch. Doch das Unmögliche wurde möglich gemacht und eine komplette Welt im Computer erschaffen, die nicht nur realistisch aussieht, sondern man förmlich etwas Reales zu spüren glaubt. Was wäre eine Steigerung von »echt«? Wenn Favreau wissen wollte, was man wirklich mit dieser Technik anstellen kann, dann hat er es heraus gefunden. Das Gerücht, es gäbe eine einzige echte Einstellung, hat sich noch immer nicht bestätigt. Wäre auch irrelevant, denn schöner, besser und realistischer geht nicht.
Und so sensationell sich der Film auch optisch ausnimmt, resultieren daraus seine, wenngleich geringfügigen, Schwächen. Bereits im Vorfeld warf man diesem Film vor, ihm würden die Emotionen fehlen, die Bindung zu den Figuren wäre schwach. Das mag durchaus zutreffen, wenn man bedenkt, dass die Animationskünstler darauf verzichteten, den Tieren vermenschlichte Züge zukommen zu lassen. Es ist schwierig genug, einem photorealistischen Löwen das sprechen glaubhaft angedeihen zu lassen. Menschliche Mimik kann bei klassischer Zeichentrick-Animation durchaus funktionieren, bei dem was dieser Film erreichen und zeigen wollte, wäre es geradezu unangebracht. Eine umgekehrte Reaktion hingegen erreichen gewisse Szenen mit Tieren in Gefahr. Die Möglichkeit für einen bevorstehenden Tod wird gerade bei Kindern wegen der für sie vermeintlich echten Tiere zu einer emotionalen Herausforderung.
KÖNIG DER LÖWEN hätte nicht nur wegen seiner von vornherein angepeilten Altersfreigabe bei zwei Szenen umsichtiger sein können. Die Herdenpanik und die Auseinandersetzung am Königsfelsen wären, etwas gekürzt und weniger dramatisch inszeniert, noch immer intensiv genug. Kinder sollten sich nicht an solchen Szenen aufreiben müssen und für Erwachsene bleiben noch immer mehr als genug Aha-Effekte, ohne die letzte Konsequenz zu sehen. Aufwühlend genug ist KÖNIG DER LÖWEN auch so. Ein aufregendes Erlebnis, bildgewaltig und allen negativen Bedenken zum Trotz, emotional überwältigend. Es gibt die Szene, in der Simba in einem Fußabdruck seines Vaters steht. Pranken, in die man erst einmal hineinwachsen muss. Einige Leute bei Disney werden sich das auch überlegt haben, dass es sehr große Abdrücke sind, die bei einer Neuverfilmung ausgefüllt werden müssen. Für Disney war es eine finanzielle Überlegung, für die Filmemacher eine Herausforderung, für den Zuschauer ist es pure Faszination.
DER KÖNIG DER LÖWEN – THE LION KING
Simba: Donald Clover / Leonard Hohm (Gesang Pat Lawson) – JD McCrary / Ludwig Niesner (Gesang Davit Nikalayan)
Nala: Beyoncé / Magdalena Turba – Shahadi Wright Joseph / (Gesang Anisa Celik)
Mufasa: James Earl Jones / Matti Klemm
Scar: Chiwetel Ejiofor / Torsten Michaelis
Timon: Billy Eichner / Marius Clarén
Pumbaa: Seth Rogen / Daniel Zillman
Sarabi: Alfre Woodard / Alexandra Wilcke
Rafiki: John Kani / Friedhelm Ptok
u.a.
Regie: Jon Favreau
Drehbuch: Jeff Nathanson, nach einer Geschichte von Brenda Chapman
Visuelle Effekte: Robert Legato, Elliot Newman, Adam Valdez
Kamera: Caleb Deschanel
Bildschnitt: Adam Gerstel, Mark Livolsi
Musik: Hans Zimmer, Elton John
118 Minuten
USA 2019
Promofotos Copyright WALT DISNEY STUDIOS MOTION PICTURE