CRAWL – Bundesstart 22.08.2019
Eine kleine Berichtigung, bevor weiterhin Missverständnisse verbreitet werden: In Amerika sind Einfamilienhäuser oftmals nicht mit Kellern gesegnet. Diese Häuser haben dafür einen sogenannten Crawl-Space zwischen Grund und dem Boden des Hauses. Hier verlaufen meist die Wasserleitungen und Abwasserrohre und können zwecks eventueller Reparaturen auf Knien erreicht werden. Gerade in Florida liegen die meisten Gebäude auf Meereshöhe oder darunter, da würden Keller nur ein ewig feuchtes Ärgernis sein. Das Haus von Dave und seiner Tochter liegt auf einer winzigen Steigung, weswegen ihr Crawl-Space etwas höher ausfällt, aber man darin noch immer nicht aufrecht stehen kann. Daher auch der Titel, der eben nicht auf Krokodile bezogen ist. Und Kritiker die mäkeln, es gäbe in Florida überhaupt keine Keller, haben zwar recht, sollten sich in Bezug auf den Film diesen auch erst einmal ansehen.
Grundsätzlich wirft CRAWL eine viel wichtigere Frage auf: Wer kommt heute noch auf die Schnapsidee, ein Drehbuch über attackierende Krokodile zu verfassen? Und wie schafft man es, einen der angesagtesten Horrorfilm-Produzenten dafür zu interessieren, und darüber hinaus einen der begehrtesten Horrorfilm-Regisseure? Die Antworten laufen im Kino unter dem Titel CRAWL. Endlich wieder ein cineastisches Gemeinschaftserlebnis, wo sich die Stimmung, die Spannung, das Grauen, auf alle Zuschauer überträgt und diese sich gegenseitig von der angespannten Atmosphäre anstecken lassen. Und das ohne Abfolge von billigen Jumpscares. Das ist nicht nur der straffen Regie zu verdanken, sondern insbesondere der außerordentlichen Arbeit der gesamten Effekte-Mannschaft. Auch wenn die Hurricane-Bilder manchmal befremdlich, nicht wirklich real, wirken, erreichen sie dennoch eine äußerst unangenehme, bedrohliche Stimmung. Doch die wirklichen Stars sind natürlich die Krokodile, meterlange Monstrositäten, die von ihren Programmierern aber wirklich sehr genau studiert worden sind, in Aussehen und Bewegungsabläufen.
Das ist noch lange kein Garant für einen guten Film. Der gute Film liegt in den Händen von Regisseur Alexandre Aja, der mit HIGH TENSION einen Instant-Klassiker des Splatter-Kinos schuf, und mit dem Remake von HILLS HAVE EYES selbst das hartgesottenste Publikum verstörte. Doch Ajas Arbeit wurde erleichtert durch das Drehbuch der Brüder Michael und Shawn Rasmussen. Die eckten zwar mit THE WARD für John Carpenter wegen leicht fehlender Originalität an, haben dafür mit CRAWL ordentlich zugelegt. Geradlinig, schnörkellos, ohne erzwungene Ironie, keine neunmalklugen popkulturellen Anspielungen.
Haley will ihren Vater aus einer eigentlich abgesperrten Hurricane-Zone herausholen, doch der beste Wille zählt nicht, wenn das Wetter nicht mitspielt. Zudem finden Krokodile bei Sturm und schlechtem Wetter leichter Beute, zumindest nach Brehm. Folgerichtig sind Haley und ihr Vater gern gesehene Gäste unter dem Haus, wohin es auch ein beachtliches Reptil verschlagen hat. Aber die Menschen sträuben sich, leichte Beute zu sein.
Aja behält durchweg die Spur, zieht nach nur wenigen Filmminuten die Spannung an und hält diese bis zum atemberaubenden Showdown. Die Exposition der Figuren erfolgt in den wenigen Verschnaufpausen, die dem Zuschauer auch gegönnt werden müssen. Verhältnisse und ein bisschen Vergangenheit werden aufgearbeitet, aber auch hier werden die Dialoge straff und prägnant gehalten. Das funktioniert aber mit einer Paarung wie Kaya Scodelario und Barry Pepper ganz hervorragend, die aufgeladen durch die Spannungssequenzen eine sehr einnehmende Natürlichkeit in ihrem Miteinander zeigen. An der Kamera hat Maxime Alexandre einiges zu tun gehabt, überhaupt in der Enge der gegebenen Räumlichkeiten zu arbeiten. Dennoch schaffen es seine Bilder immer den Überblick für das Publikum zu gewährleisten, gleichzeitig das Set nicht langweilig werden zu lassen. Seine Einstellungen, selbst in den schneller geschnittenen Sequenzen, verlieren nichts von der nervenzerrenden Stimmung. Schließlich ist das der Mann, der Ajas Schocker MANIAC zu einem optischen Wunder machte.
Natürlich bleibt es eine Schnapsidee, heute noch einen Tierhorror zu drehen, der auch noch ernst genommen werden will. Dass es dennoch funktioniert hat mit vielen verschiedenen Komponenten zu tun, die richtig ineinander greifen müssen. Bei CRAWL hat alles richtig ineinander gegriffen. Kein Film der Geschichte schreiben wird, kein Meisterwerk, aber ein Film der kaum jemanden enttäuschen wird. CRAWL hebt sich sehr angenehm, wenn man das vom Rande seines Kinositzes aus so sagen darf, von den allgemeinen Horror-Produktionen dieser Tage ab. Und im Kollektiv eines geschlossenen Auditoriums, gewinnt er eine ganz besondere Note. Und das ist ja leider sehr selten geworden.
CRAWL
Darsteller: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark, Ross Anderson, Jose Palmer, Anson Boon, Ami Metcalf u.a.
Regie: Alexandre Aja
Drehbuch: Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen
Kamera: Maxime Alexandre
Bildschnitt: Elliot Greenberg
Musik: Max Aruj, Steffen Thum
Produktionsdesign: Alan Gilmore
USA – Serbien – Frankreich / 2019
87 Minuten
Promofotos Copyright Paramount Pictures