SCREAM VI – Bundesstart 09.03.2023
Ein Dutzend Fernsehkameras sind auf die Schwestern Samantha und Tara gerichtet, als sie aus dem Polizeirevier kommen. Die Kameras schauen auch noch zu, als Tara der in Ungnade gefallenen Gale Weathers ins Gesicht schlägt. Als sich drei Sekunden später Samantha, Tara und Gale zum klärenden Gespräch entfernen, ist weder ein Journalist, noch eine Kamera auf sie gerichtet. Die gesamte Pressemeute frönt weiter ihrem Müßiggang, als ob nicht geschehen wäre. Das ist die Logik in dieser Katastrophe eines Films, der nicht im geringsten berücksichtigt oder verstanden hat, was Wes Cravens Originale beliebt, erfolgreich und originell machte. Eine der Hauptverdächtigen in einer Mordserie schlägt einer renommierten, wenn auch nicht beliebten Journalistin mit der Faust ins Gesicht, und niemanden der vielen umstehenden Menschen interessiert das. Leider ist das nur ein exemplarisches Beispiel für die Unzulänglichkeiten des gesamten Films.
Vor fünfzehn Jahren hat James Vanderbilt das Drehbuch zu David Finchers ZODIAC geschrieben, und 2015 als Regisseur und Autor den Medien-Thriller TRUTH nach wahren Begebenheiten um die Sendung 60 Minutes gemacht. Co-Autor Guy Busick hat immerhin an READY OR NOT und der Gruselserie CASTLE ROCK mitgeschrieben. Es wird also ein Rätsel bleiben, wieso sich beide auf das Notwendigste innerhalb der für das Genre üblichen Blaupausen beschränken. Von der vollkommenen Abwesenheit an originellen Einfällen gar nicht zu reden.
Nach den traumatischen Erlebnissen im beschaulich mörderischen Woodsboro sind Samantha und Tara in New York sesshaft geworden. Tara ist darüber alles andere als glücklich, weil ihr die ältere Schwester in hysterischer Paranoia jeden Freiraum einschränkt. Was sich natürlich als begründet herausstellt, weil der bereits fünf Mal zur Strecke gebrachte Ghostface ihnen nach New York gefolgt ist. Doch warum, darum drehen sich über 115 sehr lange Minuten – ohne Abspann. Jeder der Figuren könnte Ghostface sein – und jeder ist und macht sich auch verdächtig.
Man bekommt eine Vorstellung vom Handlungsgerüst, weil man die Erzählstruktur exakt in dieser Weise schon fünf Mal gesehen hat. Nervenkitzel entsteht nur, weil in den unzähligen Spannungsmomente die erschreckende Dummheit der Figuren an den Nerven des Publikums zehrt. Es gehört zum mehr als fragwürdigen Konzept des Regie-Duos, Spannung und Schrecken dadurch erzeugen zu wollen, in dem beispielsweise drei Menschen den Killer überwältigen, niederschlagen, um dann wegzulaufen, damit der Killer doch noch einer seiner Opfer bekommt. Und das unablässig.
Tot geglaubte Figuren tauchen plötzlich wieder auf. Die Bürde des allerersten Killers schwebt über der Hauptfigur. Und alles ist selbstreferenziell und metaphysisch in filmtechnische Metaphern gepackt. In dieser Ausgabe sind es die Regeln, oder vielmehr die aufgehobenen Regeln des Franchise. Zum Beispiel, dass man nun Figuren aus den Originalfilmen gar nicht mehr bräuchte. Damit ist das Schicksal von Gale Weathers klar definiert vorweg genommen. Es bleibt nur die Frage nach dem Szenario ihres Ablebens. Courteney Cox erweckt ohnehin einen durchweg lustlosen Eindruck.
Den Höhepunkt an unfreiwilliger Komik erreicht SCREAM 6, wenn Mindy, Nichte des Original-Charakters Randy Meeks, ihren besten Freunde das Regelwerk dieser Fortsetzung erklärt. Was dereinst wirklich lustig war und einen unwirklichen Reiz erzeugte, wird mit der Energie von Jasmin Savoy Brown zu einer Sequenz die ins Lächerliche abgleitet, weil den Regisseuren die Kunstfertigkeit abgeht, die Absurdität in der Situation für sich zu nutzen. Aber es fehlt den Machern überhaupt das grundsätzliche Gespür für einen selbstironischen Umgang mit dem eigenen Material.
Hat Kameramann Brett Jutkiewicz in READY OR NOT und BLACK PHONE dem Genre mit raffinierten Bildgestaltungen Rechnung getragen und Atmosphäre erzeugt, wird er hier von den Regisseuren durch ihren hektischen Inszenierungsstil ziemlich alleine gelassen. Jutkiewicz tut sich merklich schwer, das Chaos in vielen Szenen übersichtlich zu halten und den unausgegorenen Szenenablauf plausibel zu gestalten. Einer dieser Sequenz ist die im Mini-Markt, die zudem in ihrer Umsetzung überhaupt keinen Sinn mehr ergibt, wenn man später die Absichten und Ziele von Ghostface erfahren hat.
Es war sonst üblich und ein origineller Running-Gag, dass der Killer im Grunde seinen Opfern körperlich unterlegen war, und nur wegen seiner Kaltblütigkeit dominierte. Das haben Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett hier sehr gut wieder aufgenommen. Allerdings offenbart sich am Ende, dass die ganze Zeit über die Voraussetzungen für dieses Stilmittel gar nicht gegeben waren, was die Inszenierung in weiten Teilen unsinnig macht. Und weil Bettinelli-Olpin und Gillett ganz klar Effekte über Logik stellen, erreicht Ghostface trotz nicht durchdachter Plänen sein viel zu weit gestecktes Vorhaben.
Natürlich ist die Atmosphäre in einem angenehm gefüllten Kinosaal stark angespannt. SCREAM 6 funktioniert wie ein herkömmlicher Thriller, der sich an den billigen Versatzstücken entlang hangelt. Der Unterhaltungswert beschränkt sich auf den Augenblick, doch mit dem angehenden Ausgangsleuchten verschwindet unvermittelt die Erregung. Was man erlebt hat sind lediglich schattenhafte Fragmente von dem was unter dem Titel SCREAM legendär wurde. Es bleibt die unlösbare Aufgabe Logiklöcher zu füllen, und Rätselraten um die offensichtlich zur Schau getragenen Zukunftsaussichten der Macher, die das Franchise eigentlich schon jetzt zu Tode geritten haben.
Die Filmemacher könnten etwas wie bei FAST AND THE FURIOUS oder SAW anstreben, wo einst kleine, gemeine, aber in sich stimmige Filme, zu einem überfrachteten, absurd versponnenen Kasperltheater ohne Seele aufgeblasen wurden. Diese Anmutungen können Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett nicht verleugnen. Aus dem einst kleinstädtischen Psychopathen als Killer wird ein räumlich übergreifendes, immer weiter verzweigtes Mysterium. Wenn sie dazu allerdings eine ehemals bahnbrechende und wegweisende Reihe missbrauchen müssen, zeigt das den fehlenden Respekt vor denen, die ihr Handwerk verstehen.
So flieht ein Opfer mit einer 15cm tiefen und ebenso weit nach oben aufgeschlitzten Bauchwunde noch selbstständig vom Täter. Das ist purer Unfug. Es sei denn, der bittere Zynismus solcher Szenen wird mit seinen eigenen Mitteln auf ein Niveau heruntergebrochen, mit dem die vorangegangenen Filme das Slasher-Kino selbstironisch zu persiflieren verstanden. Aber Bettinelli-Olpin und Gillett haben SCREAM zum augenblicklichen Zeitpunkt auf ein Level gebracht, um selbst persifliert zu werden.
SCREAM VI
Darsteller: Melissa Barrera, Courtney Cox, Jenna Ortega, Jasmin Savoy Brown, Mason Gooding, Devyn Nekoda, Samara Weaving, Dermot Mulrony u.a.
Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Drehbuch: James Vanderbilt, Guy Busick, nach Kevin Williamsons Idee
Kamera: Brett Jutkiewicz
Bildschnitt: Jay Prychidny
Musik: Sven Faulconer, Brian Tyler
Produktionsdesign: Michele Laliberte
USA 2023
123 Minuten
Bildrechte: PARAMOUNT PICTURES