Bandit bespricht – JOKER: FOLIE À DEUX

Poster Folie A Deux

JOKER: FOLIE À DEUX – Bun­des­start 03.10.2024 – Release 02.10.2024 (world)

Als Film ist JOKER: FOLIE À DEUX eine bril­lant düs­te­re Erfah­rung auf dem Weg durch das geis­ti­ge Laby­rinth eines Sozio­pa­then. Für Publi­kum und Kri­ti­ker wäre die muti­ge, weil her­aus­for­dern­de, Umset­zung ein ech­tes Ereig­nis. Als Fort­set­zung von JOKER aller­dings ist FOLIE À DEUX für sein begie­ri­ges Publi­kum ein frus­trie­ren­des Erleb­nis. Regis­seur Todd Phil­lips’ zwei­ter Aus­flug, zusam­men mit Scott Sil­ver erneut als Autor, lässt sich ein­fach nicht von sei­nem Vor­gän­ger tren­nen. Die Ent­täu­schung ergibt sich aus einer nar­ra­ti­ven Struk­tur, bei der Span­nungs­mo­men­te, Figu­ren­zeich­nun­gen und Emo­tio­nen fest an die intel­lek­tu­el­len Erfah­run­gen des ers­ten Teils geknüpft sind. Eine ver­ständ­li­che Erwar­tungs­hal­tung wird aber nicht erfüllt, auch wenn Joa­quin Phoe­nix über sich hin­aus­wächst, Lady Gaga ein her­aus­ra­gen­der Zuwachs ist, und Todd Phil­lips in wei­ten Tei­len bril­lant insze­niert. In wei­ten Tei­len, weil aus­ge­rech­net das Kon­zept eines Musi­cals bei eini­gen der gesun­ge­nen Ein­la­gen nur bedingt über­zeugt.

Arthur Fleck, bes­ser bekannt als Joker, erwar­tet im Ark­ham Asyl­um für kri­mi­nel­le Gestör­te sei­nen Pro­zess wegen fünf­fa­chen Mor­des. Den Mord an sei­ner Mut­ter behält er noch eine Wei­le für sich. Die Ver­tei­di­gung plä­diert auf straf­mil­dern­de Schi­zo­phre­nie, die Staats­an­walt­schaft klagt auf vol­le Zurech­nungs­fä­hig­keit, was mit der Todes­stra­fe enden wür­de. Als wun­der­ba­rer Fan­ser­vice wur­de, nach Tho­mas Way­ne im ers­ten Teil, mit Staats­an­walt Har­vey Dent erneut ein zen­tra­ler Cha­rak­ter aus dem DC-Uni­ver­sum als Neben­fi­gur in die Geschich­te geholt. Ansons­ten blei­ben erneut die gan­zen Super­hel­den-Ele­men­te ganz weit außen vor. Mit Hil­fe von Phoe­nix‘ fes­seln­der Aus­drucks­form gelingt Regis­seur Phil­lips die ein­dring­li­chen Vor­zei­chen von mög­li­chen Ant­ago­nis­ten. Har­ry Law­tey als über­heb­li­cher Har­vey Dent. Oder Arthurs Wär­ter Jackie Sul­li­van, bei dem Brendan Glee­son nie wirk­lich preis gibt, was in ihm vor­geht. Es gibt auch hier, wie beim Vor­gän­ger, kei­ne Tren­nung von Schwarz und Weiß bei den Cha­rak­te­ren.

Die Reduk­ti­on der Farb­sät­ti­gung und der nur spär­lich wahr­nehm­ba­re Grün­stich von Leucht­stoff­röh­ren för­dern die dif­fu­se Stim­mung von laten­ter Gewalt­be­reit­schaft. Das tech­nisch-krea­ti­ve Team ist gleich geblie­ben, wie Kame­ra­mann Law­rence Sher, der erneut den Stil von sym­me­tri­schen Bil­dern pflegt, die mit leich­ter Asym­me­trie opti­sche Unsi­cher­heit erzeu­gen. Was beson­ders inner­halb von Ark­ham Asyl­um die Atmo­sphä­re ver­fins­tert. Wegen Medi­ka­men­ten-bedingt guter Füh­rung darf Arthur an der Sing-Grup­pe teil­neh­men, bei der er die bezau­bern­de Har­leen Quin­zel ken­nen und lie­ben lernt. Har­leen gibt sich als lei­den­schaft­li­cher Fan des Jokers zu erken­nen, was Arthur sehr schnell aus sei­ner Lethar­gie holt, und schließ­lich auch sein Alter-Ego zurück­bringt.

 

Natür­lich braucht es die gesam­te Län­ge des ers­ten Songs, bis sich die Idee von gesun­ge­nen Dar­bie­tun­gen wirk­lich in der Akzep­tanz gefes­tigt hat. Aber das Kon­zept geht, mit Aus­nah­men, erstaun­lich gut auf. Es wird im spä­te­ren Ver­lauf sogar immer bes­ser. Die Tex­te der alten Stü­cke von Sina­tra oder Bacha­rach, Gershwin oder diver­sen ande­ren Musi­cal-Klas­si­kern, wer­den als inne­re Mono­lo­ge die domi­nie­ren­de Aus­drucks­form für die ver­stö­ren­den Gefühls­wel­ten von Arthur und Har­leen, die sich all­mäh­lich zur bekann­ten Har­ley Quinn wan­delt. Und natür­lich dem neu erstark­ten Joker. Die Arran­ge­ments sind aus­ge­zeich­net den stimm­li­chen Fähig­kei­ten von Lady Gaga und Joa­quin Phoe­nix ange­passt. Es weckt Erin­ne­run­gen an das SCHÖNSTE FREUDENHAUS IN TEXAS, als Burt Rey­nolds’ hal­be Lun­ge und die stimm­ge­wal­ti­ge Dol­ly Par­ton ins Duett gin­gen. Was zuerst merk­wür­dig anmu­te­te, ging damals wie heu­te beein­dru­ckend auf.

Es ist eine sich ins fana­ti­sche stei­gern­de Gefühls­welt, die aber kei­nen wirk­li­chen Gegen­satz zu der kal­ten, bru­ta­len Welt von Ark­ham Asyl­um bil­det, oder zu Got­ham City im All­ge­mei­nen. Todd Phil­lips insze­niert das mit exzes­si­ver Käl­te, in wel­cher sich die­se bei­den Wel­ten gegen­sei­tig antrei­ben. Was fast selbst­re­dend in einer erschre­cken­den Kol­li­si­on enden muss. Es war ein spe­zi­fi­sches Merk­ma­le von Phil­lips ers­tem Streich mit Joker, dass er ein gna­den­lo­ses Span­nungs­ge­rüst auf­zu­bau­en ver­stand. Dabei ging es nicht um die Fra­ge nach dem Was, son­dern nur nach dem Wann. Eine ähn­li­che Inten­si­tät von Unsi­cher­heit und Anspan­nung erreicht Phil­lips auch bei FOLIE À DEUX. Aller­dings for­dert der gute Ton einer Fort­set­zung auch einen dra­ma­ti­schen Wech­sel im Nar­ra­tiv. Dem kommt der Film zu hun­dert Pro­zent, mit allen Kon­se­quen­zen nach.

Die Anar­chis­ten-Sze­ne in Got­ham hul­digt dem Joker als Gal­li­ons­fi­gur. Drau­ßen in der wirk­li­chen Welt ist das Alter Ego von Arthur Fleck zu einer über­mensch­lich gro­ßen Figur gewor­den. Drin­nen in Ark­ham, unter dem Joch von anar­chi­schen Wär­tern, ist der Joker aus­ge­löscht. Nur ein in sich zusam­men­ge­fal­le­ner Arthur ergibt sich gleich­gül­tig der psy­chi­schen und phy­si­schen Unter­drü­ckung. Der Film wird nie kon­kret, was für Arthur Wahn oder Wirk­lich­keit ist. Dass aber Phil­lips und Sil­ver ihre Figur zur Schi­zo­phre­nie drän­gen möch­ten, wirkt wie ein Wider­spruch zum ers­ten Film. Ein gewis­ser Ein­fluss von Phoe­nix ist dabei nicht aus­zu­schlie­ßen, war er doch maß­geb­li­cher Initia­tor einer Fort­set­zung. Aber eigent­lich wur­de der Mann mit den unkon­trol­lier­ba­ren Lach­an­fäl­len nicht durch ein zwei­tes Selbst, son­dern durch rei­nen Selbst­schutz vor einer zuneh­mend ver­ro­hen­de Gesell­schaft in sein sozio­pa­thi­sches Ver­hal­ten gedrängt.

 

Aber das ist nicht das eigent­li­che Pro­blem, mit wel­chem der Regis­seur und sein Team das Publi­kum her­aus­for­dern. Es ist der mit teil­wei­se elek­tri­fi­zie­ren­den Span­nungs­bö­gen bewuss­te Auf­bau einer Erwar­tungs­hal­tung, die stän­dig gebro­chen wird. Meist sind Phoe­nix und Lady Gaga auch allei­ne schon genug und hin­rei­ßend anzu­schau­en. Die Che­mie der bei­den Dar­stel­ler scheint mehr aus dem rea­len Leben gegrif­fen zu sein, als das sie spie­len müss­ten. Die vor­ran­gi­ge Sän­ge­rin beweist wie kurz davor sie ist, die ganz gro­ßen Dar­stel­ler-Prei­se zu ver­die­nen, ohne frag­wür­di­ge Guc­chi-Merk­wür­dig­kei­ten bemü­hen zu müs­sen. Aber FOLIE À DEUX hat ja noch eine Hand­lung. Die­se Hand­lung geht in eine Rich­tung, die nur weni­ge begeis­tert wird, obwohl sie logisch ist. Den­noch erreicht der Film immer wie­der die Punk­te, an denen er frus­trie­ren kann.

FOLIE À DEUX hat den Sta­tus von PATE III – DER TOD DES MICHAEL CORLEONE, ohne den zwei­ten Teil. Er ist nüch­tern betrach­tet, los­ge­löst von sei­nem gigan­ti­schen Schat­ten, ein­fach wich­tig und not­wen­dig. Und wie PATE III ist auch FOLIE À DEUX ein star­kes, sehr inten­si­ves, weil per­fekt insze­nier­tes und außer­ge­wöhn­lich hin­rei­ßend gespiel­tes Ereig­nis. Als Fort­set­zung von JOKER aller­dings, ist FOLIE À DEUX für sein begie­ri­ges, erwar­tungs­fro­hes Publi­kum ein am Ende unbe­frie­di­gen­des Erleb­nis. Denn er hat zwar sehr viel mehr über Arthur Fleck zu erzäh­len, aber nichts mehr über des­sen Welt, über unse­re Welt, und auch nicht über pro­vo­kant kon­tro­ver­ses Kino.

JOKER: FOLIE À DEUX
Dar­stel­ler: Joa­quin Phoe­nix, Lady Gaga, Brendan Glee­son, Cathe­ri­ne Kee­ner, Zazie Beetz, Ste­ve Coo­gan, Har­ry Law­tey und Leigh Gill u.a.
Regie: Todd Phi­lIips
Dreh­buch: Todd Phil­lips, Scott Sil­ver
Kame­ra: Law­rence Sher
Bild­schnitt: Jeff Groth
Musik: Hil­dur Guðna­dót­tir
Music-Super­vi­sor: Rand­all Pos­ter, Geor­ge Dra­kouli­as
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Mark Fried­berg
USA 2024
138 Minu­ten

Bild­rech­te: WARNER BROS. ENTERTAINMENT

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