DISCONNECT hält die Verbindung

Postermotiv "Disconnect"

DISCONNECT – Bun­des­start 30.01.2014

Andrew Stern hat ein sehr intel­li­gen­tes Dreh­buch geschrie­ben, aus dem Hen­ry Alex Rubin ein sehr intel­li­gen­tes Spiel­film-Debüt insze­nier­te. 13 und 15 Jah­re ist es her, das Rubin bei DURCHGEKNALLT – GIRL, INTERRUPTED und COP LAND bei der Second Unit die Regie über­nom­men hat­te. Auch sehr intel­li­gen­te Fil­me, vor allem COP LAND, der sich als einer der weni­gen Aus­rut­scher von Syl­ves­ter Stal­lo­nes prä­sen­tier­te, wo man ihn ein­mal schau­spie­lern sehen konn­te. Es ist also anzu­neh­men, dass Hen­ry Alex Rubin wirk­lich so lan­ge aus­har­ren konn­te, bis ihm ein für sei­ne Ver­hält­nis­se wür­di­ges Dreh­buch unter­kam. DISCONNECT ist ein neu­tra­ler Blick auf den aktu­el­len Zustand unse­re Gesell­schaft. Ver­füg­bar­keit zu jeder Zeit, Smart­phones, Chat-Rooms, sozia­le Netz­wer­ke. Eine Gesell­schaft, die unver­nünf­ti­ger wird, je glä­ser­ner ihr Leben für ande­re wird. Doch gegen was sich die Geschich­te sträubt, sind wer­ten­de Ansich­ten. DISCONNECT ist oft­mals düs­ter, manch­mal trau­rig, und sehr dra­ma­tisch. Aber Stern und Rubin ver­weh­ren sich den­noch jeder Stel­lung­nah­me. Denn es ist ganz klar, dass der Segen der moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on auch gleich­zei­tig Fluch ist.

Drei schein­bar unab­hän­gig von­ein­an­der erzähl­te Geschich­ten, die nur lose durch ein­zel­ne Figu­ren ver­bun­den sind. Die Repor­te­rin Nina Dun­ham glaubt mit einer Sto­ry über Por­no­sei­ten, mit Web­cam-Ange­bo­ten, einen ech­ten Knül­ler zu lan­den, bis sie das männ­li­che Model Kyle ken­nen­lernt, und ihm auf per­sön­li­cher Ebe­ne aus dem Geschäft hel­fen will. Cin­dy und Derek Hull haben nicht mehr über ihre Gefüh­le gere­det, seit sie ihr Kind ver­lo­ren haben, und stel­len fest, dass sie durch ihre Flucht in Selbst­hil­fe-Chat­rooms, Opfer eines Iden­ti­täts­die­bes wur­den. Der puber­tie­ren­de Ben Boyd, ein ver­schlos­se­ner Ein­zel­gän­ger, glaubt in Jes­si­ca eine See­len­ver­wand­te gefun­den zu haben, die über ein sozia­les Netz­werk mit ihm Kon­takt auf­ge­nom­men hat, nur um spä­ter her­aus­zu­fin­den, dass er Ziel­schei­be einer ganz üblen Mob­bing-Akti­on wur­de, die fatal enden wird.

Was DISCONNECT zu einem wirk­li­chen Glanz­licht macht, neben der höchst aktu­el­len The­ma­tik, das ist sein über­wäl­ti­gen­des Ensem­ble. Selbst Mun­ter­ma­cher Jason Bate­man darf sich als wirk­lich ernst­zu­neh­men­der Cha­rak­ter­dar­stel­ler pro­fi­lie­ren. Und eine auf ein Min­dest­maß an Neben­rol­le redu­zier­te Hope Davis strahlt in ihren weni­gen Auf­trit­ten. Lei­der fiel auch die Rol­le von Micha­el Nyq­vist zu klein aus, von dem man ger­ne mehr gese­hen hät­te. Aber alles in allem ist die­se lan­ge Lis­te an über­zeu­gen­den Dar­stel­lern Garant für phan­tas­ti­sches Schau­spiel-Kino. Aller­dings hat Andrew Stern auch wirk­lich exzel­len­te Figu­ren geschrie­ben. Als Bei­spiel der von Frank Gril­lo gespiel­te Inter­net-Detek­tiv Mike Dixon, der väter­li­cher Freund sein kann, um schnell zum kalt­her­zi­gen Mist­kerl zu wer­den. Aber auch Batem­ans Vater­rol­le, der das Schick­sal sei­nes Soh­nes nicht als sol­ches akzep­tie­ren kann, son­dern ver­bis­sen ver­sucht, durch Ein­bli­cke in das Leben von Ben, das Gesche­he­ne zu ver­ste­hen. Zwei von einer gan­zen Rei­he lebens­ech­ter, nicht künst­lich gene­rier­ter Figu­ren. Weder wer­den die Cha­rak­te­re der Geschich­te unter­ge­ord­net, noch umge­kehrt. Dar­aus wird DISCONNECT zu einer sehr span­nen­den, weil unvor­her­seh­ba­ren Geschich­te.

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Jede Figur hat einen ange­stamm­ten Platz, in die­sem Ner­ven auf­rei­ben­den Ablauf von Ereig­nis­sen, die als Selbst­läu­fer immer unkon­trol­lier­ba­re Aus­wir­kun­gen nach sich zie­hen. Cin­dy möch­te sich ihren Schmerz von der See­le reden, wird mit Frem­den im Chat-Room sehr per­sön­lich, bis auf ein­mal das Kre­dit­kar­ten-Kon­to leer­ge­räumt ist. Da ist es längst zu spät. Fol­gen, die nicht mehr rück­gän­gig gemacht wer­den kön­nen. Schein­bar ein Übel des digi­ta­len Zeit­al­ters, der aber nicht auf die Tech­nik zurück zu füh­ren ist. Der Feh­ler liegt nicht am Com­pu­ter, son­dern sitzt vier­zig Zen­ti­me­ter davor. Auch als Jason Dixon bemerkt, was er getan hat, als er sich gegen­über Ben Boyd als Jes­si­ca aus­ge­ge­ben hat, ist der unlus­ti­ge Streich längst nicht mehr auf­zu­hal­ten. Die Fol­gen eine Kata­stro­phe. Und wenn Nina Dun­ham ihre Ent­hül­lungs­ge­schich­te zu nah an sich her­an­lässt, löst sie damit eine Ket­te von Reak­tio­nen aus, in der jeder wei­te­re Schrit­te ver­hee­ren­de­re Kon­se­quen­zen nach sich zieht. Dun­ham ist ein gutes Bei­spiel, dass man ein Gefü­ge erst ver­ste­hen muss, bevor man als Gut­mensch ver­sucht, ein sol­ches auf­zu­rei­ßen. Aber­mil­lio­nen von Men­schen bewe­gen sich tag­täg­lich durch die Wei­ten des Welt­net­zes, und man muss zwangs­läu­fig die Fra­ge stel­len, wie vie­le von die­sen Men­schen auch ver­ste­hen, was sie dabei eigent­lich tun.

Schi­cken wir uns wirk­lich lie­ber über 20 Minu­ten SMS hin und zurück, anstatt wir drei Minu­ten kurz direkt mit­ein­an­der tele­fo­nie­ren? Ist uns die per­sön­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on tat­säch­lich so voll­kom­men abhan­den gekom­men? Was den Men­schen in DISCONNECT pas­siert, geschieht aus dem Man­gel an Kom­mu­ni­ka­ti­on. Es fin­det kei­ne ver­ba­le Aus­ein­an­der­set­zung mehr statt, weil die­se schwie­rig und zu emo­tio­nal wer­den könn­te. Aber dar­an kön­nen nicht die moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men schuld sein. Der Nut­zer schiebt die­se nur als Vor­wand vor­ne­weg. So ist auch hier das Pro­blem nicht in den sozia­len Netz­wer­ken oder Inter­net-Foren zu suchen, son­dern bei dem Groß­teil von Nut­zern, wel­che die­se moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men als Pro­blem anpran­gern. In DISCONNECT geht es in ers­ter Linie dar­um, dass Men­schen nicht mehr mit­ein­an­der reden. Kon­flik­te wer­den umgan­gen, in dem man sie aus­spart, und über ande­re Wege ver­ar­bei­tet, die aller­dings eine inti­me Auf­ar­bei­tung völ­lig außen vor lässt. Ein fal­scher Tas­ten­druck ist ein­fa­cher zu igno­rie­ren, als die Recht­fer­ti­gung für ein falsch gewähl­tes Wort.

Viel dis­ku­tiert ist der Höhe­punkt von DISCONNECT, der in einer atem­be­rau­ben­den Mon­ta­ge von extre­men Zeit­lu­pen­auf­nah­men gip­felt. Hier lau­fen alle Fäden zusam­men, in die­ser Sequenz löst sich das Dilem­ma aller Figu­ren, die sich ihrer auf­lö­sen­den Kon­flikt­si­tua­ti­on gegen­über sehen. Die Span­nung die­ser drei Hand­lungs­strän­ge kul­mi­niert in genau die­sen extrem ver­lang­sam­ten Sze­nen. Der Aus­gang die­ser Sequenz kann durch­aus laut­stark dis­ku­tiert, und soll­te indi­vi­du­ell inter­pre­tiert wer­den. Und genau das macht die­sen Höhe­punkt so ein­zig­ar­tig. Er ist die unter­schwel­li­ge Aus­sa­ge des Films an sich. Akzep­tie­ren wir die Unan­nehm­lich­kei­ten einer kaum kon­trol­lier­ba­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­form, oder will jemand genau­so indi­vi­du­ell etwas für sich ändern. Im Film selbst wird sich nichts ändern. Die Cha­rak­te­re wei­gern sich ihr Schick­sal anzu­neh­men, aber sie akzep­tie­ren den Grund, der für den Aus­gang die­ses Schick­sals ver­ant­wort­lich ist. Das hat durch­aus etwas von Schi­zo­phre­nie, ist im All­ge­mei­nen aber aner­kannt. Rich Boyd kann als Fami­li­en­va­ter nicht mit sei­ner Frau und Toch­ter über die tra­gi­schen Ereig­nis­se reden, die sei­nem Sohn Ben wider­fah­ren sind. Dafür ver­schwin­det er in der Anony­mi­tät von Inter­net und sozia­len Netz­wer­ken, um her­aus zu fin­den, wie es zu Bens Schick­sal kom­men konn­te. Dass weder Dreh­buch, noch Regie wirk­lich Stel­lung bezie­hen, macht DISCONNECT zu einem ehr­li­chen Abbild unse­res gesell­schaft­li­chen Sta­tus Quo.

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DISCONNECT
Dar­stel­ler: Jason Bate­man, Hope Davis, Frank Gril­lo, Pau­la Pat­ton, Alex­an­der Skars­gård, Andrea Rise­bo­rough, Max Thie­r­i­ot, Colin Ford, Jonah Bobo, Haley Ramm, Avi­ad Bern­stein, Micha­el Nyq­vist u.a.
Regie: Hen­ry Alex Rubin
Dreh­buch: Andrew Stern
Kame­ra: Ken Seng
Bild­schnitt: Lee Per­cy, Kevin Tent
Musik: Max Rich­ter
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Dina Gold­man
zir­ka 115 Minu­ten
USA /​ 2012

Pro­mo­fo­tos Copy­right LD Enter­tain­ment /​ Welt­ki­no Film­ver­leih

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