SICARIO

Poster Sicario

SICARIO – Bun­des­start 01.10.2015

Gibt es eigent­lich noch Schwarz und Weiß? Viel­leicht war die Welt es noch nie, und wir haben nur einen ver­klär­ten Blick auf die Ver­gan­gen­heit, und die Mensch­heits­ge­schich­te. Doch man muss nur einen Blick 50 Jah­re zurück wer­fen, als Tru­man Capo­te KALTBLÜTIG ver­öf­fent­lich­te, und damit eine lite­ra­ri­sche Sen­sa­ti­on unter das Volk brach­te. Es war die wie ein Roman geschrie­be­ne Auf­ar­bei­tung einer nicht fik­tio­na­len Geschich­te, in wel­cher die vier­köp­fi­ge Cut­tler-Fami­lie von zwei Gangs­tern ermor­det wur­de, nur um an Geld zu kom­men. Zu die­sem Zeit­punkt war Raub­mord und Über­fäl­le in Ame­ri­ka lan­ge nichts mehr Unbe­kann­tes. Doch der Fall der Cut­tlers spreng­te einen bis dahin nie da gewe­se­nen Rah­men, wo Unschul­di­ge ein­fach nur wegen des Tötens umge­bracht wur­den. KALTBLÜTIG war ein Schock, er traf die Leser zutiefst. Das hat mit der Situa­ti­on ent­lang der ame­ri­ka­nisch-mexi­ka­ni­schen Gren­ze zuerst wenig zu tun. Aber bei den Cut­tlers waren die Gren­zen von Schwarz und Weiß klar defi­niert und sicht­bar. 50 Jah­re spä­ter hat sich Ame­ri­ka deut­lich verändert.

Kate Macer ist eine idea­lis­ti­sche FBI-Agen­tin. Den Kampf gegen den Dro­gen­han­del und die Kar­tel­le kann sie nur schwer ver­ar­bei­ten, aber sie glaubt an sich, ihre Sache, und die Mög­lich­keit einer Ver­än­de­rung. Eine per­fek­te Agen­tin für CIA-Ope­ra­tor Matt Gra­ver, der Kate in sein Team holt, um als gemisch­te Ein­heit von diver­sen Bun­des­be­hör­den, den Kampf gegen das mexi­ka­ni­sche Kar­tell von Manu­el Diaz zu inten­si­vie­ren. Die Grau­sam­kei­ten, die Kate auf ihrem Weg erle­ben muss, sind kaum zu ver­ar­bei­ten. Doch wäh­rend die Dro­gen­schmugg­ler kla­re Zie­le ver­fol­gen und bere­chen­bar agie­ren, ver­schwim­men in Kates neu­em Team sämt­li­che Gren­zen. Wer betrügt nun wen, wer benutzt wen? Der Zweck scheint die Mit­tel zu hei­li­gen. Denn wenn der eine betro­gen wird, heißt dann doch lan­ge nicht, dass dies gegen die erklär­ten Absich­ten ver­stößt. Ist es tat­säch­lich ver­werf­lich, wenn man benutzt wird, um dar­aus einen Erfolg zu erzielen?

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Denis Ville­neuve war zuletzt mit ENEMY und PRISONERS im Kino auf­fäl­lig gewe­sen. Das sind die Zeug­nis­se, die nur posi­tiv für SICARIO spre­chen. Obwohl es der Fran­ko-Kana­di­er hier schafft, die Atmo­sphä­re noch ein­mal um eini­ge Grad zu ver­stär­ken. SICARIO ist effek­tivs­tes Span­nungs­ki­no, wel­ches sich sehr selbst­si­cher zwi­schen dem moder­nen Kino von TRAFFIC oder L.A. CRASH und Sid­ney Lumets Klas­si­kern bewegt. Die Bil­der sind natür­lich expli­zi­ter, die Gewalt vor­der­grün­di­ger. Aber jede Sze­ne atmet die Atmo­sphä­re von packen­dem Rea­lis­mus und scho­ckie­ren­der Authen­ti­zi­tät. Zwei Begrif­fe, die sich zu dop­peln schei­nen. Doch der Rea­lis­mus in SICARIO beschreibt den immer wie­der furcht­ein­flö­ßen­den Hand­lungs­ver­lauf, wäh­rend die Authen­ti­zi­tät das für den Zuschau­er aus­ge­brei­te­te Sze­na­rio beschreibt. Wenn Josh Bro­lin mil­de lächelt, heißt es nicht, dass er zwangs­läu­fig zu den Guten  gehört. Wenn jemand wie Emi­ly Blunt die Haupt­rol­le spielt, bedeu­tet dies nicht zwangs­läu­fig ihr Über­le­ben in der Geschich­te. Letzt­end­lich sind die­se zwei Hin­wei­se eine raf­fi­nier­te Andeu­tung von Din­gen die mög­lich sind. Aber nicht zwingend.

Von Anfang an macht Regis­seur Ville­neuve mit dem fan­tas­ti­schen Dreh­buch von Debü­tant Tay­lor Sheri­dan klar, dass in die­sem Film zu jedem Zeit­punkt alles mit jeder Figur pas­sie­ren kann. Das erzeugt eine elek­tri­fi­zie­ren­de Span­nung, die über die gesam­te Lauf­zeit anhält. Viel­leicht ist ja sogar Emi­ly Blunts Kate Macer eine der Bösen. Aber auch hier baut der Hand­lungs­ver­lauf vor, weil es in die­ser Geschich­te defi­ni­tiv kein Schwarz und Weiß gibt. Die Welt hat sich wei­ter gedreht. Am wahr­schein­lichs­ten ist, dass man Gutes bewirkt, was nicht gleich­zu­set­zen ist, dass man es im Guten tut. Es gibt eine Sze­ne mit einer Eltern und ihren Kin­dern, in der alles mög­lich ist, und doch nichts so pas­siert, wie man es aus her­kömm­li­chen Fil­men ver­mu­ten möch­te. Die­se Sequenz defi­niert im Grun­de das emo­tio­na­le Grund­ge­rüst von SICARIO. Was gesche­hen könn­te, kann auch gesche­hen, aber nichts zwangsläufig.

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Nach PRISONERS hat sich Ville­neuve in Kame­ra­mann Roger Dea­kins erneut einen star­ken Ver­bün­de­ten an die Sei­te gestellt. Es ist immer wie­der erstaun­lich, was Dea­kins über die The­ma­tik an sei­ne Bil­der wei­ter­ge­ben kann. Er ver­wan­delt ein­fa­che Land­schaf­ten in bizar­re Gebil­de von nicht zu erfas­sen­den Kon­struk­ten. Ein gewöhn­li­ches Ame­ri­ka wird zu einem kaum zu beschrei­ben­den Fremd­kör­per. Die­ser Fremd­kör­per ist eine Land­schaft, in der die Guten genau­so wie die Bösen agie­ren. Nur dass nie­mand die Defi­ni­ti­on von Gut und Böse vor­gibt. Doch Dea­kins kann genau­so geni­al die Atmo­sphä­re einer Sze­ne ver­dich­ten, wenn er ein­fach in die Per­spek­ti­ve sei­ner Figu­ren schlüpft, und aus deren Sicht die Hand­lung wei­ter fort­spinnt. Die Coen-Brü­der wuss­ten schon immer, was sie an dem Aus­nah­me-Bild­ge­stal­ter hat­ten. Ville­neuve hat es spä­tes­tens bei PRISONERS begriffen.

Wie lässt sich SICARIO tat­säch­lich beschrei­ben, um ein größt­mög­li­ches Publi­kum zu errei­chen? Schau­en Sie ehr­li­ches Kino, schau­en Sie rea­lis­ti­sches Kino, schau­en Sie bru­ta­les Kinos. Genau das ist es eben nicht. Obwohl die Beschrei­bung wirk­lich zutref­fend wäre. SICARIO ist eine wirk­li­che Über­ra­schung, die dadurch funk­tio­niert, dass man dem Zuschau­er Mög­lich­kei­ten in der Ent­wick­lung anbie­tet, aber die­se stets zu bre­chen ver­steht. Als 1959 die vier­köp­fi­ge Cut­tler-Fami­lie ermor­det wur­de, war das noch ein Ver­bre­chen, wel­ches durch sei­ne Bru­ta­li­tät eine gan­ze Nati­on in Schock ver­setz­te. Der Krieg um und mit Dro­gen, zwi­schen Dro­gen­kar­tel­len und Bun­des­be­hör­den hat nur 50 Jah­re spä­ter eine Dimen­si­on erreicht, die nicht mehr scho­ckiert. Es ist ein­fach nur abschre­ckend. Dafür ist SICARIO ein exzel­lent erklä­ren­des Beispiel.

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SICARIO
Dar­stel­ler: Emi­ly Blunt, Beni­cio Del Toro, Josh Bro­lin, Vic­tor Gar­ber, Jon Bern­thal, Dani­el Kalu­uya u.a.
Regie: Denis Villeneuve
Dreh­buch: Tay­lor Sheridan
Kame­ra: Roger Deakins
Bild­schnitt: Joe Walker
Musik: Jóhann Jóhannson
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Patri­ce Vermette
121 Minuten
USA 2015
Pro­mo­fo­tos Copy­right StudioCanal

AutorIn: Bandit

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