Neue Posse des Börsenvereins: inhaltsverändernde Wasserzeichen in eBooks

Offen­bar dringt es nach und nach auch bis zu den letz­ten Merk­be­frei­ten in den Chef­eta­gen der Publi­kums­ver­la­ge durch: har­te DRM-Maß­nah­men wer­den von den Kun­den nicht ange­nom­men, weil sie unbe­quem sind, das Hand­ling deut­lich ver­schlech­tern und dafür sor­gen, dass der Kun­de die eBooks nicht auf allen sei­nen Platt­for­men nut­zen kann. Das gilt übri­gens haupt­säch­lich außer­halb des Ama­zon-Uni­ver­sum, das ohne­hin ein geschlos­se­nes Sys­tem dar­stellt. Wer aber mal ver­sucht hat mit Ado­be-DRM zu han­tie­ren, oder gar, es mit Linux zu nut­zen, der weiß, was für ein – mit Ver­laub – Scheiß das ist. Außer­dem kann man sol­che Kopier­schutz­ver­fah­ren in Null­zeit ent­fer­nen – damit her­um­är­gern muss sich nur der ehr­li­che Kunde.

Eine Vari­an­te sind digi­ta­le Was­ser­zei­chen im Buch, soge­nann­tes Soft-DRM. Damit kann man erken­nen, wer das eBook ursprüng­lich erwor­ben hat und damit mög­li­cher­wei­se fest­stel­len, wer das Ding in die Tausch­bör­se gestellt hat (wobei ich die Beweis­ket­te wirk­lich gern mal vor Gericht sehen wür­de). Auch die sind aber leicht mani­pu­lier- oder entfernbar.

Der MVB (also der Bör­sen­ver­ein) hat jetzt das Fraun­ho­fer-Insti­tut Darm­stadt mit der Ent­wick­lung eines Was­ser­zei­chens beauf­tragt (Kor­rek­tur vom 13.06.2014: Bösen­ver­ein und MVB sind nicht Auf­trag­ge­ber, ent­wi­ckeln das Pro­jekt aber zusam­men mit dem Fraun­ho­fer-Insti­tut), das auf »Text­än­de­run­gen basiert«. Das Sys­tem trägt den bran­chen­ty­pisch klo­bi­gen Namen »Siche­re Doku­men­te durch indi­vi­du­el­le Mar­kie­rung« oder kurz SiDiM, das berich­tet das Börsenblatt.

Was sich auf den ers­ten Blick nicht gera­de schwer­wie­gend anhört, ist wenn man genau­er nach­sieht, eine gro­be Unver­schämt­heit gegen­über den Werk­schöp­fern. Sieht man sich die Bei­spiel­tex­te mal an (sie­he PDFs im ver­link­ten Arti­kel), stellt man fest, dass das Sys­tem dar­auf basiert, in einem eBook hau­fen­wei­se klei­ne und angeb­lich »nicht ins Gewicht fal­len­de« Ände­run­gen am Inhalt vor­ge­nom­men wer­den. Bei­spie­le gefäl­lig? Bitte:

Aus

Der Staub den er auf­wir­bel­te, ließ ihn unsicht­bar aus der Stadt verschwinden.

wird

Der Staub den er auf­wir­bel­te, ließ ihn nicht sicht­bar aus der Stadt verschwinden.

Oder aus

Heu­te leben wir in einem Para­dies, das in eurer Zeit nicht denk­bar gewe­sen wäre.

wird

Heu­te leben wir in einem Para­dies, das in eurer Zeit undenk­bar gewe­sen wäre.

Man weist mit nicht über­seh­ba­rem Stolz dar­auf hin, dass die­se Text­än­de­run­gen vom ent­wi­ckel­ten Sys­tem auto­ma­ti­siert in die eBooks ein­ge­fügt wer­den, wodurch es pro­blem­los in die bestehen­den Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se inte­griert wer­den kann.

Wie bit­te? Geht es nur mir so, oder müss­te bei Autoren und Lek­to­ren ange­sichts die­ses merk­wür­di­gen Sys­tem Übel­keit aus­bre­chen? Da ringt man wochen‑, mona­te- oder jah­re­lang mit den Wör­tern, damit sie so ange­ord­net wer­den, wie man es für am gelun­gens­ten hält, strei­tet sich aus­gie­big aber frucht­bar mit dem Lek­tor, weil der oder die das ganz anders sieht – und nach all die­sem Rin­gen soll man akzep­tie­ren, dass ein auto­ma­ti­sier­tes Sys­tem nach irgend­wel­chen Algo­rith­men belie­bi­ge und hau­fen­wei­se (es müs­sen vie­le sein, um bei gro­ßen Auf­la­gen eine ein­deu­ti­ge Iden­ti­fi­zier­bar­keit des Wer­kes her­zu­stel­len) Ände­run­gen am müh­sam erar­bei­te­ten Text durch­führt? Gera­de das ers­te Bei­spiel zeigt die Schwä­chen von SiDiM sehr deutlich.

Mei­ne Mei­nung: geht über­haupt nicht! Man kann aller­dings an die­sem »Was­ser­zei­chen« wie­der ein­mal erken­nen, wel­chen Respekt die Publi­kums­ver­la­ge vor dem Werk der Autoren und der Leis­tung der Lek­to­ren haben: gar keinen.

Ich wür­de als Ver­brau­cher um eBooks, die auf die­se Art und Wei­se ver­fälscht wur­den einen wei­ten Bogen machen. Oder ist das gar eine Mar­ke­ting­maß­nah­me für Print­bü­cher? Denn die wären ja nach wie vor so, wie sie ursprüng­lich sein sollten.

Eine der­ar­ti­ge Schnaps­idee kann nur aus den stau­bi­gen Kata­kom­ben des Bör­sen­ver­eins kommen …

Creative Commons License

Bild: eBook-Was­ser­zei­chen von mir, CC BY-SA-NC

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

12 Kommentare for “Neue Posse des Börsenvereins: inhaltsverändernde Wasserzeichen in eBooks”

sagt:

Damit kann man in Zukunft sogar erken­nen, wer von einer raub­ko­pier­ten Quel­le zitiert hat…

BTW: Dein mobi­les Tem­pla­te funk­tio­niert beim Kom­men­tie­ren nicht rich­tig. Irgend­ein php fehlt.

Rashka

sagt:

Ja wie geni­al ist das denn!!!

Man könn­te das mit einem Auto­ma­tis­mus kop­peln, der gleich alle mora­lisch bedenk­li­chen Text­pas­sa­gen umwan­delt. Damit sind dann zwei Flie­gen mit einer Klap­pe geschlagen.

Ja gar bes­ser noch: Unter­schei­det sich dadurch der publi­zier­te Text vom Ori­gi­nal signi­fi­kant, ver­fällt doch das Urhe­ber­recht des Autors und die Recht am neu­en Werk lie­gen auto­ma­tisch beim Puslisher!

Und ich bin mir sicher auch bei Koch- und Medi­zin­bü­chern macht sich das Sys­tem ganz doll!

Stefan Holzhauer

sagt:

oh, das höre ich zum ers­ten Mal. Ist eigent­lich ein ganz nor­ma­les WPTouch. Hast Du eine Feh­ler­mel­dung bekommen?

Stefan Holzhauer

sagt:

Ob man den auto­ma­tisch agie­ren­den, algo­rith­mus­bai­er­ten Bots eine Schöp­fungs­hö­he zuspre­chen kann? Ach was, das kriegt die Lob­by schon hin, zur Not kuschelt der Rös­ler wie­der mal mit jeman­dem wie dem Diek­mann, dann geht das schon …

Martin

sagt:

Ganz ehr­lich? Wenn ich vor einem Kauf davon Kennt­nis habe, daß ein Buch sol­cher­art ver­än­dert wur­de, wer­de ich es nicht kau­fen. Wie man auch so einen Mist über­haupt kom­men kann …

Sebastian

sagt:

Ich seh das so wie Mar­tin – wer solch eine Tech­nik ein­setzt, der wird von mir boykottiert.

sagt:

[…] Der Buch­han­del kommt auf put­zi­ge Ideen: Sie ver­fäl­schen Pas­sa­gen in eBooks, um nach­her nach­wei­sen z.… Wenn man doch die gan­ze Ener­gie statt in DRM in sinn­vol­le Pro­jek­te ste­cken könn­te, wie schön könn­te unse­re digi­ta­le Welt dann sein? […]

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